Eskalation vor dem Fest
Kurz vor Weihnachten wird auch in Brüssel Ruhe einkehren, sollte man meinen. Doch weit gefehlt. Binnen 24 Stunden hat die EU-Kommission zwei neue Fronten eröffnet – und das ohne Not.
Der erste Schlag galt Großbritannien: EU-Verhandlungsführer Barnier will die Übergangsphase nach dem Brexit schon am 31.12.2020 beenden – das sind weniger als die angepeilten zwei Jahre.
In der Zwischenzeit soll London alle EU-Regeln einschließlich neuer Gesetze anerkennen, ohne selbst noch ein Mitspracherecht zu haben. Auch die Rechtsprechung des EuGH muss London respektieren.
Das klingt nach Knebelvertrag, nicht nach einem gütlichen Abschied in die Freiheit. Selbst nach dem endgültigen Aus will Brüssel den Briten weiter Vorschriften machen – ob das wohl gut geht?
Ärger gibt es schon jetzt mit der Schweiz. Denn auch da hat die Kommission die Daumenschrauben angezogen. Die Schweizer Börsen sollen nur für ein Jahr Zugang zur EU bekommen, nicht unbefristet.
Damit werde man gegenüber den USA und anderen Drittländern diskriminiert, heißt es in Bern. Bundespräsidentin Leuthard stellte als Reaktion künftige Unterstützungszahlungen an die EU infrage.
Und das alles passiert, nachdem der Streit mit Polen über den Rechtsstaat eskaliert ist. Da fragt man sich schon, was die Herrschaften in der Kommission reitet. Müssen sie wirklich alles kontrollieren?
Gibt es doch so etwas wie einen “Deep State” in Brüssel? Wenn nein – warum kann man dann nicht einfach mal “leben und leben lassen” – wenigstens zu Weihnachten?
Siehe auch “Angst vor dem Deep State”
WAS FEHLT? Eine Reaktion der EU auf das Wahlergebnis in Katalonien. Bis Mitternacht kam nichts von Juncker & Co. Dabei gratulieren sie sonst so gerne den Wahlsiegern, sogar in Österreich…
Waiting for @JunckerEU statement on Catalonia. Or on the defeat of his dear friend @marianorajoy. Which lessons will the #EU learn, if any?
— Eric B. (@LostinEU) 21. Dezember 2017
P.S. Dies war die letzte WATCHLIST EUROPA für dieses Jahr. Weiter geht’s am 08. Januar!
Manifesto
22. Dezember 2017 @ 23:25
Wenn die EU sich nicht mäßigt, wird ihr wohl ohnehin unvermeidlicher Untergang eben noch etwas beschleunigt.
In Brüssel ist man sich mittlerweile nicht mehr im Klaren darüber, dass man nur ein schwächliches Verwaltungskonstrukt und kein Staat ist. Lässt sich leicht auflösen!
hyperlokal
22. Dezember 2017 @ 19:53
Kann man es einer Region verübeln, dass Sie sich unabhängig machen möchte von diesem Sumpf?
https://www.hintergrund.de/wirtschaft/weltwirtschaft/blackrock-kapitalismus/
Ich würde auch gerne einer Separatistenbewegung beitreten, wenn es die in NRW gäbe. Leider nichts in Sicht.
Manfred Waltermann
22. Dezember 2017 @ 10:34
EU in der Agonie
Die Rundumschläge der Brüsseler Kommission nehmen zu:
Nach dem für die EU verheerenden Brexitvotum und den Flüchtlingsverteilungskämpfen sowie der Konfrontation mit Polen und anderen östlichen Mitgliedsstaaten kommt der Konflikt der Separatisten in Katalonien mit der Zentralregierung in Madrid quasi als “Weihnachtspaket mit Überraschungseffekt” zusätzlich auf den Gabentisch der EU-Bürger! –
Dies alles – man nennt es Agone – erinnert an die letzte Phase im Leben eines altersschwachen Menschen.
Warum kommt mir da Bertolt Brecht ins Gedächtnis?
“Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt! –
Der Regierung wird empfohlen, das Volk aufzulösen und sich ein anderes zu wählen!!”
Achim
22. Dezember 2017 @ 10:31
Gratuliert die EU-Kommission tatsächlich den Wahlsiegern von Regionalwahlen? NRW? Bayern? Interessant.
ebo
22. Dezember 2017 @ 10:39
@Achim Nein, bei Regionalwahlen gratuliert sie normalerweise nicht. Aber war das wirklich eine Regionalwahl? Hat Juncker nicht zu Rajoy gehalten? Er war sogar mehrfach in Spanien, um ihn seiner unverbrüchlichen Treue zu versichern…
Peter Nemschak
22. Dezember 2017 @ 10:54
Juncker als Präsident der EU.Kommission kann verständlicherweise dem Separatismus in der EU wenig abgewinnen. Er ist auch ein Irrweg auf dem Weg zu einem vereinten Europa. Offenbar schlägt das Pendel der Globalisierung mittlerweile so weit zurück, dass auch der Nationalstaat mittlerweile in Frage gestellt wird. Demnächst werden die Katalanen für “ihre” Katalanen in Frankreich einen katalanischen Pass ausstellen wollen so wie es Ungarn bei seinen Minderheiten in der Slowakei und Rumänien wollte. Nach dieser Logik könnten die Elsässer einen deutschen Pass beantragen, und die Südtiroler einen österreichischen. Übrigens ein – bisher zarter – Vorstoß unseres jungen Bundeskanzlers bei seinem Antrittsbesuch beim EU-Parlament. Kurz kann offenbar der Andreas Hofer Legende etwas abgewinnen – eine alte Vorstellung stockrechtskonservativer Kreise in der ÖVP. Haben wir in der EU keine drängenderen Probleme als auf Kleinteiligkeit zu machen?
Kein Wunder, dass uns die Chinesen gemeinsam mit den Russen als “losing world powers” einschätzen. Die USA kommen wenigstens mit einem “defending world power” weg. Der Westen ist tatsächlich in eine tiefe Krise seines Selbstbewusstseins geraten. Er ist es nicht gewohnt, seine historisch alleinige Definitionsmacht der Geschichte mit den aufstrebenden Staaten der Welt zu teilen.
Peter Nemschak
22. Dezember 2017 @ 09:29
Die EU möchte auf Großbritannien Druck ausüben, um herauszufinden, was den Briten der BREXIT wert ist. Durchaus möglich, dass dies den harten BREXIT beschleunigt oder jene Kräfte begünstigt, welche den BREXIT überhaupt absagen wollen – eine riskante aber nachvollziehbare Strategie.