ESC: Zweierlei Maß und null Transparenz
Der “European Song Contest” ESC sorgt wieder für Ärger: Dass Israel trotz des Gaza-Kriegs zugelassen wurde, sorgt für eine krasse Politisierung. Auch die fehlende Transparenz ist ein Problem.
Wenige Stunden vor dem Finale verkündete die Europäische Rundfunkunion EBU das Aus für den Niederländer Joost Klein. Grund sind Polizeiermittlungen, nachdem eine Frau aus dem ESC-Produktionsteam Anzeige erstattet hatte, meldet die “Tagesschau“.
Was genau passiert ist, ist nicht bekannt. Die EBU weigert sich, Details bekanntzugeben. Hat Klein die Frau beleidigt, gar geschlagen? Oder wurde er rausgeworfen, weil er Kritik an Israel geäußert hatte? Da die EBU nicht transparent handelt und keine Erklärung vorlegt, machen wilde Gerüchte die Runde.
Für Ärger sorgt auch, dass Israel teilnehmen darf, Russland aber nicht. Dabei ist Israels Krieg in Gaza aktuell noch grausamer als die russische Invasion in der Ukraine. Der ESC misst ganz offensichtlich mit zweierlei Maß, was zu massiven Protesten in Malmö führt.
Gleichzeitig läuft eine Diffamierungs-Kampagne gegen alle, die gegen die israelische Teilnahme protestieren. Gegen die angeblichen Antisemiten machen sogar europäische Regierungen mobil – und fordern zur Unterstützung der israelisch-russischen (!) Sängerin Golan auf.
Es würde mich nicht wundern, wenn Golan aufgrund dieser sachfremden Einmischung den ESC 2024 gewinnen würde. Und wenn es danach erneut zu massiven Protesten käme. Mit Musik hat das Ganze nichts mehr zu tun, die Idee des ESC wurde schon lange pervertiert…
P. S. Die EBU soll verboten haben, die Europafahne in Malmö zu zeigen. Auch dazu keine Stellungnahme, keine Transparenz. Dies ruft nun sogar die EU-Kommission auf den Plan; diese Show wird ein Nachspiel haben…
Thomas Damrau
13. Mai 2024 @ 22:05
@Kleopatra
Exakt: Terror ist in der Regel ein Kommunikationsakt. Eine Terror-Organisation ist selten (es sei denn, der Terror ist nur ein Teilaspekt eines Guerilla-Kriegs) in der Lage, ihre Gegner physisch zu überwältigen. Stattdessen versucht sie, ihre Feinde zu beschäftigen, zu demoralisieren oder einfach nur Aufmerksamkeit zu erregen.
Kleopatra
14. Mai 2024 @ 05:34
Die Mitteilung ist angekommen, und die Israelis haben sie korrekt so verstanden, dass die Hamas ein Feind ist, mit dem normale Zusammenarbeit nicht möglich ist, sondern der so effektiv wie möglich aufs Haupt geschlagen gehört. Der Inhumanitätsexzess lässt sich auch meiner Meinung nach nur so interpretieren, dass die Hamas auf eine Massenerhebung der „arabischen Straße“ spekuliert hat, zu der es dann nicht kam (so dass die Adressaten der Botschaft nicht Israel, sondern arabische Unterschichten waren). Für die etablierten arabischen Staaten (und ihre Führungsschichten) sind wohl die Palästinenser ein lästiges Pack, das mit seinen Aktionen die Beziehungen zu Israel stört.
Hätten die Gaza-Palästinenser nicht jahrelang der Hamas zugejubelt und wäre die nicht in ihrer Gesellschaft geschwommen wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, könnten sie heute noch friedlich in ihren Häusern wohnen, als Grenzgänger in Israel Geld verdienen etc.
Thomas Damrau
13. Mai 2024 @ 15:08
@Kleopatra
Die Hamas bedroht Israel in erster Linie dadurch, dass durch den Terroranschlag im Oktober zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt die Kontrolle des palästinensischen Siedlungsgebiets durch Israel in einer breiteren Welt-Öffentlichkeit hinterfragt wird (was ich eine Ironie der Geschichte nennen würde: durch Terror aus dem toten Winkel).
Ansonsten ist der Konflikt komplett asymetrisch – was auch die Hamas weiß. Daher ist die Hamas abseits des Propanda-Gelärms sehr wohl zu Kompromissen bereit.
Das „from the river to the sea“, das die israelische Rechte fordert, ist sehr eher militärisch umzusetzen.
Kleopatra
13. Mai 2024 @ 15:13
Heißt das, für Sie ist Massenmord in widerlichster und im strengen Wortsinn un-menschlicher Weise, Vergewaltigung im großen Maßstab, Geiselnahme einschließlich diversester Misshandlung der Geiseln etc. in erster Linie ein Kommunikationsakt, der an den Rest der Welt gerichtet ist? Es ist klar, dass die Hamas gehofft hat, mit ihrem Wahnsinnsakt ein Fanal zu einem regionsweiten Pogrom auszulösen, und Palästinenser in Deutschland beispielsweise scheinen das ja auch bejubelt zu haben. Aber aus israelischer Sicht hat sich damit die Hamas irreversibel als Feind zu erkennen gegeben, der zur eigenen Sicherheit entschieden bekämpft werden muss. Und was Kompromisse mit der Hamas betrifft: die waren bis zum 6. Oktober möglich. (Ähnlich wie die russische Armee durch ihr Vorgehen als Besatzungsmacht auch die von vielen herbeiphantasierten „territorialen Kompromisse“ unmöglich gemacht hat – seit Buča kann man in der Ukraine nicht mehr darüber nachdenken, Russland irgendwelche Territorien „zu überlassen“, wenn sie mit der dortigen Bevölkerung so umgehen).
Karl
13. Mai 2024 @ 06:47
Die dümmstmögliche Kriegspropaganda verschlingt sowohl die Kunst als auch Europa.
Beim missbrauchten Wettbewerb „WM in Katar“ schrieben Zeitungen: „Quotenkatastrophe des bizarren Wüstenspektakels“. Beim ESC verhinderte die nationalistische Kriegspropaganda noch schlimmere Einbrüche.
Kleopatra
13. Mai 2024 @ 06:13
Nicht die „Zulassung zur Teilnahme“, sondern der Ausschluss vom Wettbewerb wäre eine Entscheidung, die getroffen und begründet werden muss. Israel ist Mitglied der Europäischen Rundfunkunion und als solches grundsätzlich teilnahmeberechtigt. Russland wurde m.W. explizit ausgeschlossen.
Egal wie kritikwürdig die Kriegführung Israels konkret sein mag, niemand kann bestreiten, dass Israel auf eine echte existenzielle Bedrohung reagiert und auf einen Angriff, bei dem die „Kämpfer“ der Hamas offenbar gezielt einen Maßstab an Inhumanität setzen wollten; die von Putin geltend gemachte potenzielle Bedrohung Russlands ist hingegen an den Haaren herbeigezogen. Wenn es Parallelen im Ukrainekrieg gibt, dann würde ich die russischen Besatzungstruppen (Stichwort Buča) mit der Hamas vergleichen.
Stef
13. Mai 2024 @ 10:57
Doch, ich kann das bestreiten. Ich halte die Art wie Sie hier vergleichen für absurd. Die Hamas reagierte ebenso auf die seit Jahrzehnte erfolgende unmenschliche Art der Besetzung der Palistinensergebiete und die Isolation des Gazastreifens durch Israel, wie Russland auf jahrzehntelange westliche Provokationen und Überschreiten roter Linien reagierte. Ihre einseitige Verkürzung der Perspektive steht für die Denke unserer Ampe-Regierung und ist ein Garant dafür, dass es bis auf weiteres keinen Frieden geben kann. Sie macht aus dem ESC als ehemaligen Fest zur Völkerverständigung ein Instrument im Krieg.
Richtig wäre es, den ESC ebenso wie die Olympiade und andere sportliche und kulturelle Ereignisse nicht zum Schlachtfeld der Politik zu machen. Dass dies im Westen seit ein paar Jahren mit aller Macht erfolgt, führt zu einer Erosion der Kulturszene, zu einem Rückzug kritischen Denkens und es trägt massiv zur Zerstörung demokratischer Debatten bei. Daran kann man ein Interesse haben, wenn man Krieg will und dafür lieber auf Gegenargumente und zvilen widerstand verzichtet.
Richtig wäre es von der EBU, direkte politische Äußerungen für unerwünscht zu erklären und mit für den Fall von Zuwiderhandlungen mit einem Rausschmiss aus dem Wettbewerb zu drohen. Für echte Demokraten und Demokratien kann es eigentlich nur diese Haltung geben.
Kleopatra
13. Mai 2024 @ 11:28
Sie wollten mir zwar widersprechen, haben aber kein Wort zu der entscheidenden Frage verloren, ob sich Israel seitens der Palästinenser einer echten existenziellen Bedrohung ausgesetzt sieht. Sowohl Propagandasprüche wie „from the river to the sea“ als auch die Grausamkeiten der Hamas vom 7.10.2023 (die „bestialisch“ zu nennen eine Beleidigung für alle Raubtiere wäre) sprechen doch dafür, dass eine reale Bedrohung Israels durch die Hamas vorliegt, unabhängig davon, ob man sich eine andere Reaktion wünschen würde.
Die russischen Bedrohungsfantasien sind hingegen nicht ernst zu nehmen. Und was Ihre „roten Linien“ betrifft: es gibt zwischen Staaten genau eine rote Linie, nämlich die Staatsgrenze, und die hat niemand auf ukrainischer Seite versucht zu überschreiten, jedenfalls nicht vor dem Beginn des russischen Angriffskrieges.
Stef
13. Mai 2024 @ 13:09
Israel sieht sich jedenfalls nicht durch Proteste rund um den ESC oder von kritischen Statements von Künstlern bedroht. Und wenn jede Demonstration mit Polizeigewalt aufgelöst wird, nur weil ein Plakat „from the river to the sea“ auftaucht, dann ist das ein Rezept zur Aushöhlung des Versammlungsrechts. In der Geschichte der Bundesrepublik hat es in solchen Fällen bisher gereicht, die Plakate abzuhängen und bei wiederholter Zuwiderhandlung mit Maßnahmen zu drohen.
Die russischen Bedrohungsfantasien nicht ernst zu nehmen, das ist die Politik des Westens, die uns genau an den Rand des dritten Weltkrieges gebracht haben. Wären nämlich alleine die Staatsgrenzen die einzigen roten Linien, die es zu bachten gilt, hätten wir Atomraketen auf Kuba und Taiwan wäre keine Diskussion wert. Ganz abgesehen davon, dass der Respekt Israels vor Staatsgrenzen sagen wir mal höflich recht schwach ausgeprägt ist.
Karl
13. Mai 2024 @ 14:02
Da Israel die UNO-Charta zerreißt, kann Europa auch den Vertrag der Rundfunkunion und alles andere zerreißen.
Arthur Dent
12. Mai 2024 @ 22:36
Früher mussten die Teilnehmer einen Ton treffen und die Melodie halten können, Abba und Johnny Logan haben Weltkarrieren nach ihrem Sieg gemacht. Heute ist es eine Veranstaltung für Liebhaber des Bizarren, Grotesken und Exzentrischen. Nicht das Publikum, die Künstler selbst sind meisten von ihren Darstellungen ergriffen. Schön schaurig 🙂
Stef
12. Mai 2024 @ 10:55
Die allenfalls durchschnittlichen Beiträge von Israel und der Ukraine sind durch das Publikumsvoting ganz nach oben katapultiert worden. Durch die erhebliche Verlängerung des Zeitraums für die Stimmabgabe sind organisierte Stimmkampagnen einfacher geworden. Die EBU hat damit den Rahmen für eine noch stärkere Politisierung des ohnehin belasteten ESC selbst gesetzt.
Das Event hat damit den Rest an Authentizität eingebüßt.
ebo
12. Mai 2024 @ 11:11
Twelve points from Germany went to… Israel!