Erpressung mit Corona-Hilfen

Das “historische” neue EU-Budget steht auf der Kippe, die Schweiz hält das Tor für EU-Bürger auf – und die Türkei gießt Öl ins Feuer in Berg-Karabach: Die Watchlist EUropa vom 28. September 2020.

Das neue EU-Budget und der damit verbundene Corona-Hilfsfonds – insgesamt rund 1800 Mrd. Euro – stehen auf der Kippe. Sowohl im Rat, der Vertretung der 27 Mitgliedsstaaten, als auch im Parlament hakt es.

Das Parlament fordert weiter, den Rechtsstaats-Mechanismus mit Blick auf Länder wie Ungarn und Polen nachzuschärfen und einige wichtige EU-Programme zu Gesundheit, Forschung und Bildung kräftig aufzustocken.

Doch der deutsche EU-Vorsitz weigert sich, frisches Geld nachzuschießen und den (faulen) Rechtsstaats-Kompromiss wieder aufzumachen. Er weigert sich sogar, in echte Verhandlungen einzusteigen.

Weder Kanzlerin Merkel noch Finanzminister Scholz sind bereit, sich politisch einzubringen. Die Verhandlungen werden vom deutschen EU-Botschafter Clauß geführt – auf einer rein technischen Ebene.

„Ich würde mir eine aktivere Rolle von Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Scholz in den EU Haushaltsverhandlungen wünschen. Frau Merkel hat sich seit dem Ratsgipfel im Juli nicht mehr spürbar für ein gutes Verhandlungsergebnis engagiert. Aufforderungen von der Seitenlinie doch einfach dem Ratspaket zuzustimmen sind arrogant und werden nicht zum Ergebnis führen.“

Rasmus Andresen, grüner Europaabgeordneter

Auch im Rat hakt es. Dort drohen Polen und Ungarn mit einem Veto, falls der Rechtsstaatsmechanismus nachgeschärft wird. Es ist ein klarer Fall von Erpressung.

Zudem weigert sich eine Gruppe von EU-Ländern, neue Eigenmittel (Steuern und Abgaben) für Brüssel zu bewilligen, solange der Gesamthaushalt nicht steht. Auch das ist nicht die feine englische Art.

Schließlich wird der neuen Haushalt zu einem Großteil durch Schulden finanziert. Ohne neue Eigenmittel werden diese Schulden kaum zurückzuzahlen sein – oder es geht zulasten des Budgets.

Die Krone setzt dem Ganzen aber der deutsche EU-Vorsitz auf. Er gibt den Schwarzen Peter einfach an das Europaparlament weiter – und fordert mehr “Tempo”. Zu gut deutsch: die Abgeordneten sollen alles abnicken.

Berlin will nur kosmetische Änderungen

Nur mit kleinen, kosmetischen Änderungen, so die Argumentation, könne man die Blockade im Rat lösen. Wenn die Abgeordneten hingegen partout mehr wollten, seien sie schuld, wenn die Corona-Hilfe nicht oder zu spät kommt.

Das ist “gelebte parlamentarische Demokratie” – at its worst. Bleibt zu hoffen, dass die Abgeordneten in diesem Powerplay standhaft bleiben.

Schließlich geht es diesmal wirklich ums Ganze: um das neue EU-Budget, die neuen EU-Schulden und die damit finanzierten Corona-Hilfen – und um die parlamentarische Kontrolle…

Siehe auch “Das Parlament muß für seine Rechte kämpfen” und “Eine hoffnunslos zerstrittene Union”

Watchlist:

Kann die EU das Feuer in Berg-Karabach löschen? In der seit Jahrzehnten umstrittenen Region kam es am Sonntag zu kriegerischen Handlungen zwischen Aserbaidschan und Armenien. Die Türkei nahm sofort für Aserbaidschan Partei, die EU und Russland riefen zum Dialog auf. Der dürfte aber kaum möglich sein, wenn der türkische Sultan Erdogan noch Öl ins Feuer gießt und z.B. syrische Kämpfer schickt. Der deutsche EU-Vorsitz müßte ihn zur Ordnung rufen – doch Berlin ist Erdogan bisher noch nie in die Arme gefallen..

Was fehlt:

Der Schwexit. In einer Volksabstimmung hat sich die Mehrheit der Schweizer gegen eine Abschottung von der EU ausgesprochen, die Freizügigkeit bleibt erhalten. In Brüssel wird dies als Sieg gefeiert – dabei steht eine Einigung über das viel wichtigere Rahmenabkommen immer noch aus. Obwohl die EU der Schweiz entgegengekommen ist, hat die Alpenrepublik dieses Abkommen bisher nicht unterzeichnet. Denn viele Schweizer wollen den Lohn- und Arbeitnehmerschutz nicht aufweichen – irgendwie verständlich, oder?

Das Letzte

Griechenland soll zu Hunderten Migranten in Booten abgeschoben haben. Dies sagen Reporter, die an von der türkischen Regierung organisierten Fahrten in der Ägäis teilnahmen. Der griechische Schifffahrtsminister Giannis Plakiotakis räumt ein, man habe in diesem Jahr mehr als 10.000 Menschen von der Einreise abgehalten. Wenn das stimmt, so widerspricht es dem EU-Recht – doch Brüssel drückte bisher beide Augen zu. Ob sich das mit dem neuen “Migrationspakt” ändert? Er setzt ja auf schnelle Abschiebung… – Mehr hier

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