Ektoplasmatischer Streit – Junckers wahre Bilanz
Die Suche nach einem Nachfolger von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gestaltet sich schwierig. Parlament und Rat blockieren sich gegenseitig – und nun sorgt auch noch eine Französin für Streit.
Die Rede ist von Nathalie Loiseau, der glücklosen Spitzenkandidatin der Präsidenten-Bewegung LREM aus Paris. Die Statthalterin von Emmanuel Macron soll den deutschen Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) in einem Gespräch mit Journalisten als “Ektoplasma” bezeichnet haben.
Der “Spiegel” machte daraus einen Skandal. Nicht nur Loiseau, sondern auch Macron habe eine “Bruchlandung im Europaparlament” hingelegt. Dabei ist der französische Staatschef nicht im Parlament, sondern im Rat unterwegs – genau wie Kanzlerin Angela Merkel, die Webers Kandidatur überhaupt erst möglich gemacht hat.
Im Rat ist Merkel aber mittlerweile in die Defensive geraten. Denn dort, in der Vertretung der 28 EU-Länder, dürfte Macron mittlerweile über eine Blockade-Minorität gegen CSU-Mann Weber verfügen. Das, und nicht Loiseaus Sprüche, ist entscheidend – wie ein Sondierungstreffen in Brüssel zeigte .
Manche Dinge lassen sich nicht übersetzen, sondern nur umschreiben. Aktuelle Lieblingsdefinition aus dem französischen Larousse-Wörterbuch: #ectoplasme “Personnage superficiel, inexistant dans le milieu où il gravite.”
— Martin Trauth (@MarTrauth) June 7, 2019
Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis Webers Kandidatur um die Juncker-Nachfolge zurückgewiesen werde, schrieb “Politico” nach dem Dinner der sechs EU-Regierungschefs am Freitagabend. Denn die drei Parteien, die die sechs Chefs repräsentieren, können sich nicht einigen.
Die Suche nach einem Juncker-Nachfolger dürfte sich deswegen hinziehen, die Chancen für Weber sinken. Zum Kommissionschef kann er nämlich nur werden, wenn er vom Rat nominiert wird – und eine Mehrheit im Europaparlament bekommt. Doch auch die zeichnet sich nicht ab.
Wenn es so weiter geht, erhält Loiseau nachträglich doch noch recht. Der deutsche Spitzenkandidat von Merkels Gnaden wird zunehmend zu einer Schimäre – “inexistant dans le milieu ou il gravite”… Zu gut deutsch: “In seinem Milieu nicht auffindbar, nicht-existent“…
Doch wenn Weber an Frankreich scheitert, dann wird Merkel wohl auch keinen französischen Kandidaten durchgehen lassen. Wer bleibt dann noch? Frans Timmermans? Margrethe Vestager? Oder eine dritter Mann / eine zweite Frau? Oder die große deutsch-französische Leere?
Siehe auch “Die Wahl der Chefs” und “Der heimliche Machtkampf, der EUropa zerreißen könnte”
Watchlist
- Ist der Iran-Deal nun endgültig tot? Bei einem Besuch in Teheran geriet Außenminister Heiko Maas heftig mit seinem Amtskollegen Mohammed Dschawad Sarif aneinander. Der hatte konkrete Zusagen zum Schutz des Atomabkommens und der Handels mit Europa erwartet. Doch Maas kam mit leeren Händen – und drohte Iran mit internationaler Isolierung. Damit hat der SPD-Mann der EU wohl einen Bärendienst erwiesen!
Was fehlt
- Das Interview mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf “Politico”. Denn erstens war der “Live-Blog” während des Gesprächs gähnend leer – und zweitens wahren wir lieber eine kritische Distanz zu den EU-Granden. Bei Juncker ist diese besonders angebracht; schließlich vermag der Luxemburger nicht einmal seine Landsleute zu überzeugen. Kein Wunder – Junckers Bilanz fällt mager aus; mehr dazu hier
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Peter Nemschak
12. Juni 2019 @ 17:07
@Oudejeans Durch Unterzeichnung des Iranabkommens im Jahre 2015 wollten die USA die Region Mittlerer Osten den Europäern überlassen. Ob diese ein glaubwürdiger Ersatz für die US-Militärmacht gewesen wären, ist zumindest diskussionswürdig. Schließlich hatte das Abkommen bedeutende Lücken (Entwicklung von Mittelstreckenraketen war ausgenommen). Überdies hat sich der Iran in der Region seitdem nicht als Friedensstifter erwiesen. In Zukunft werden sich wieder Israel, unterstützt durch die USA, um das Atomprogramm des Iran in deren Eigeninteresse “kümmern” müssen. Die EU hat, das hat sich gezeigt, weniger Machtmittel als die USA. Europäische Unternehmen verzichten lieber auf das Iran- als das Amerikageschäft.
Oudejans
12. Juni 2019 @ 22:08
Soweit ich Ihre Antwort richtig verstehe, muß ich klarstellen, daß meine Antwort unironisch und zustimmend war.
Nach den politischen Verwerfungen der letzten Jahre ist auch nicht mehr unmittelbar klar, ob Maas‘ Besuch noch eine Grenzüberschreitung oder nur eine weitere unsägliche Manifestation einer zunehmend gefährlichen deutschen Außenpolitik war.
Zufällig fuhr das ZDF gestern Mittag eine Kurzreportage über den Sanitätsdienst der Bundeswehr in Afghanistan, in dem ein O-Ton einer nur mit Vornamen identifizierten Soldatin vorkam, deren Halsbekleidung weniger nach einem Uniformstück aussah, denn nach einem farblich abgestimmten Kleidungsstück aus dem örtlichen Bedarf, ähnlich dem in diesem Bild aus 2017:
https://twitter.com/TristanVeith/status/878202853931622400
Peter Nemschak
13. Juni 2019 @ 07:21
Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass die deutsche und europäische Außenpolitik gefährlich sondern eher illusionistisch waren. Wie sich zeigt, scheitern beide an den Realitäten und müssen diese zur Kenntnis nehmen. Das sogenannte Friedensprojekt der EU mag weltweit einmalig sein und von vielen bewundert werden, eignet sich aber nicht als Exportartikel, um andere Staaten und Kulturen damit zu beglücken..
Peter Nemschak
11. Juni 2019 @ 13:44
Im Grunde ist es egal, ob Maas mit vollen oder leeren Händen kommt. Sollte der Iran die Atomanreicherung forcieren und die Entwicklung von Mittelstreckenraketen vorantreiben, wird er sich nicht nur die USA sondern auch die EU zum Feind machen und weiter isoliert werden. Das Vorgehen von Maas dürfte mit Frankreich abgestimmt sein. Wo ist da der Bärendienst für die EU?
ebo
11. Juni 2019 @ 20:34
Zu wenig, zu spät, kommentiert SPON: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/heiko-maas-im-iran-konflikt-zu-wenig-zu-spaet-kommentar-a-1271918.html
Peter Nemschak
11. Juni 2019 @ 21:50
Wenn die EU auf Grund der Wiederaufnahme des iranischen Atomprogramms auf die harte Sanktionslinie der USA einschwenkt, sind wir dort wo wir 2015 waren – auch kein Unglück.
Oudejans
12. Juni 2019 @ 13:18
>”– auch kein Unglück.”
In der Tat. Der Skandal ist, daß Maas überhaupt gefahren ist. An Pfingsten nichts Besseres zu tun, als Islamisten die Füße zu lecken und eine Bühne zu bereiten. Schändlich.
Holly01
11. Juni 2019 @ 12:31
Gänzlich OT, aber zu Ektoplasma ;-P also in dem Fall die SZ mit ihrer zwar veröffentlichten aber nicht statt findenden Berichterstattung zur Frauen WM:
Überschrift:
“Der deutschen Mannschaft fehlt ihre Beste”
Text:
“Das Wetter bei dieser Weltmeisterschaft in Frankreich ist bisher eher launisch. Manchmal schaut die Sonne zwischen den voluminösen Wolken hervor, zwischendurch hatte sie auch mal Lust, den ganzen Himmel mit ihrem Strahlen einzunehmen, aber sehr oft haben sich wieder die Regenwolken durchgesetzt und dann alles von sich gegeben, was sie konnten. Zumindest in der Bretagne war das so,…… ”
Kann sich irgend jemand vorstellen, das ein Reporter über eine EM der Männer schreibt und seinen Text so einleitet?
Was fehlt sind hinweise auf die Kleidung und die (züchtige) Unterbekleidung.
Überreichen sich die Damen vor dem Anpfiff Blumensträuße?
Wir sind wirklich wieder komplett in den spät fünfzigern gelandet.
Ich warte nur darauf, das mir die katholische Kirche erzählt das man die Frauen wegen der Periode ja nicht ernst nehmen kann und das man das mit Globuli behandeln sollte.
Wird Zeit das die Männer (die solche Probleme wie PMS ja nicht haben) auf den Thron zurück kehren………
Da paßt eine AKK dann wieder ins Bild ….
vlg
Holly01
11. Juni 2019 @ 09:51
Es wird ein Komissionspräsident aus einem kleinen Land sein.
Also ein abhängiger Hampelmann. Nicht zu deutsch, nicht zu französisch aber auf jeden Fall AtlantikerInn und neoneoliberal.
Ich denke Vestager wäre so eine Konsenslösung. Dagegen spricht die Eitelkeit der EU Parlamentsfraktionen.
Ob man da tauschen kann “ich gebe dir einen Spitzenkandidaten” und “du gibst mir dafür die Zustimmung ohne parlamentarischen Rückhalt” muss man eben sehen.
Das Parlament wird tun, was die Regierungschefs anordnen.
vlg