Eine merkwürdige WG, ein extremer Kandidat – und eine bizzare Sprachregelung

Die Watchlist EUropa vom 1. Dezember 2021 –

Wer kontrolliert die Kontrolleure? Diese Frage hatten wir am Montag gestellt, nachdem bekannt geworden war, dass es der Präsident des Europäischen Rechnungshofs, Klaus-Heiner Lehne, mit seiner Miete und seinen Spesenrechnungen offenbar nicht so genau nimmt.

Die französische Tageszeitung „Libération“ hatte über eine „fiktive“ Wohnung Lehnes in Luxemburg und überhöhte Spesenabrechnungen berichtet. Für die Wohnung habe Lehne Mietschüsse über 325.000 Euro erhalten. Dem muß doch nachgegangen werden, oder?

Doch mit der Kontrolle ist es in Brüssel so eine Sache. Am Dienstag gab es zwar ein Hearing im Europaparlament, das die Vorwürfe gegen Lehne aufklären sollte. Doch die Anhörung ging schon nach einer Stunde zu Ende – ohne Ergebnis.

Lehne wies alle Vorwürfe zurück und tat so, als habe er sich nichts vorzuwerfen. „Es ist meine Privatsache, wo und mit wem ich wohne“, sagte er auf die Frage, warum er sich sein Luxemburger Appartement mit mehreren Mitarbeitern teilt.

Für den Präsidenten einer EU-Institution sei es „ungewöhnlich“, in einer Wohngemeinschaft zu leben, konterte der deutsche Europaabgeordnete Daniel Freund. Auch andere Parlamentarier nahmen die Erklärungen Lehnes nicht ohne weiteres hin.

Warum er denn so viel reise und wieso er so selten in Luxemburg sei, wollten die Abgeordneten wissen. Der Rechnungshof habe eine Vorbildfunktion – wenn dessen Chef nicht alles auf den Tisch lege, werde das Ansehen der EU noch weiter sinken.

Doch Lehnes Rücktritt forderte keiner, nicht einmal eine Suspendierung bis zur Aufklärung aller Vorwürfe ist im Gespräch. Stattdessen soll es nun erstmal ein internes Audit geben, zudem dürfen die Abgeordneten schriftlich Fragen nachreichen.

Ein ungesunder Korpsgeist

___STEADY_PAYWALL___

Effektive Kontrolle sieht anders aus. Dabei könnten nicht nur die Abgeordneten mehr tun. Auch die EU-Kommission, die Lehnes Gehalt zahlt, und die Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF könnten sich in den Fall einschalten und die Vorwürfe prüfen.

Doch daran besteht wohl kein Interesse. In den EU-Institutionen hat sich ein ungesunder Korpsgeist ausgebreitet, ihre Chefs fühlen sich über alles erhaben. Lehne will sogar rechtliche Schritte gegen „Libération“ und den Autor J. Quatremer prüfen.

Dabei hatte die EU-Kommission gerade erst erklärt, dass sie Journalisten besser gegen diffamierende Klagen schützen will. „Wir sichern die Pressefreiheit“, brüstet man sich in Brüssel. Bis in die WG in Luxemburg ist das wohl noch nicht durchgedrungen…

Siehe auch „Rechnungshof: Kontrolleure außer Kontrolle?“

Watchlist

Werden die Karten in der französischen Rechten neu verteilt? Diese Frage stellt sich, nachdem der Journalist und Polemiker E. Zemmour am Dienstag offiziell seine Kandidatur für die französische Präsidentschaftswahl erklärt hat. In Umfragen hatte Zemmor zeitweise mehr Zustimmung erhalten als Nationalistenführerin M. Le Pen. In seinem Bewerbungsvideo präsentierte er sich als stramm rechter Verteidiger traditioneller Werte, der gegen die „Überfremdung“ Frankreichs kämpft…

Was fehlt

Die neue, vorläufig ausgesetzte interne Sprachregelung der EU-Kommission. Demnach sollen nicht nur diskriminierende Begriffe vermieden werden (eine Selbstverständlichkeit), sondern auch harmlose christliche Begriffe wie Weihnachten oder Maria und Josef. Als das bekannt wurde, setzte es einen Proteststurm, sogar der Vatikan kündigte Widerstand an. Am Ende sah sich die Kommissarin für Gleichstellung, Helena Dalli, gezwungen, die Leitlinien zurückzuziehen und eine „Überarbeitung“ anzukündigen…