Eine ketzerische Bemerkung zum Binnenmarkt
Im vergangenen Jahr sind so viele EU-Bürger nach Deutschland zugewandert wie nie zuvor, vor allem aus Osteuropa. Insgesamt leben nun gut 4 Mio. EU-Ausländer in der BRD. Was, es wenn es noch mehr werden?
Bisher wird diese Frage in Berlin nicht gestellt. Dabei haben wir ja gerade in Großbritannien gesehen, was passieren kann, wenn der Migrationsdruck zu hoch wird, oder wenn die Bürger dies glauben.
Auch in der Schweiz gibt es schon eine Bewegung gegen die Zuwanderung, in diesem Fall witzigerweise aus Deutschland. Offenbar trifft das Problem vor allem wirtschaftlich attraktive Staaten.
Der EU-Binnenmarkt gibt darauf keine Antwort, im Gegenteil: Er kennt keine Grenzen – weder für die Zuwanderung von Arbeitnehmern, noch für die (noch gefährlichere) Abwanderung von Kapital.
Bisher macht in Deutschland auch niemand Anstalten, das zu ändern. Der Binnenmarkt ist heilig, wie wir gerade in den Sondierungen zum Brexit sehen. Niemand darauf daran rütteln!
Dennoch erlaube ich mir eine ketzerische Bemerkung: Wenn es Deutschland irgendwann “zu viel” wird, dann wird bestimmt auch an der Arbeitnehmer-Freizügigkeit gerüttelt – wetten, das?
Bei Schengen, einem anderen angeblich unantastbaren Grundpfeiler der europäischen Einigung, hat Berlin ja schon Sonderregeln durchgesetzt…
Klaus
5. Juli 2016 @ 20:05
Was ist an dem Posting ketzerisch ?
Die neoliberale Ideologie der Grundfreiheit für Kapital/Waren/Arbeitskraft (bei denen auch eine Ware) macht Gesellschaften “unregierbar”. Regionen von hyperventilierendem Business und Multikulti stehen absterbende Regionen des Zerfalls gegenüber in denen die Wertschöpfung verschwindet. Das verrückte and dieser Konstellation ist daß jede Krisenintervention wiederum nur den Gewinnern zugute kommt (Geldpolitik / Sozialpolitik )
Nun kommt man sogar auf die Idee daß Bürgerkriegsflüchtlinge (die ja ohne Frage zumindest vorübergehend Hilfe und einen Lebensort brauchen) das unbedingte Recht hätten in den Boomregionen zu siedeln.
Die vollständige Aufhebung von Siedlungs und Aufenthaltsrestriktionen wird zum Idealbild “modernen” Gesellschaftsverständnis. Dann wäre es sinnig auch alle Regularien des Gewerberechtes abzuschaffen.
Der Neoliberalismus führt in eine Gesellschaft wie sie viele nicht wollen. Dieser Konflikt ist nun notwendigerweise auszufechten.
S.B.
3. Juli 2016 @ 20:29
Das “Ketzerische” an der Bemerkung zum Binnenmarkt ist, dass sie die Realität aufzeigt. Die wirklichen Fachkräfte kommen nicht. Dafür gibt es eine ungeregelte (= Freizügigkeit) Einwanderung aus den armen EU-Ländrrn ins Sozialsystem, die sich niemals rechnen wird. Eine der wesentlichen EU-Freiheiten, die bedingungslose Arbeitnehmerfreizügigkeit, gereicht den leistungsstarken Ländern, insbesondere deren Steuer- und Abgabenzahlern, im Wesentlichen nur zum Nachteil. Ein weiterer evidentes Argument gegen die EU.
Peter Nemschak
4. Juli 2016 @ 07:41
Stimmt nicht ganz: am Bau, bei Wohnungsrenovierungen sowie im Logistikbereich kommen sehr wohl Fachkräfte. Durch die räumliche Nähe zu ihren Heimatländern Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Kroatien (letztere im Fall Österreichs) sind sie oft Wochenpendler. Die Hauptstädte Wien und Bratislava befinden sich in einer Entfernung von bloß 55 km. Dauerhaft niedergelassene EU-Ausländer zahlen nachweislich mehr in das Sozialsystem ein als sie ihm kosten. Allerdings stellen niedrigqualifizierte Arbeitskräfte eine Konkurrenz zu den einheimischen dar. Gleichzeitig fehlen in bestimmten Branchen Fachkräfte. Das eigentliche Problem besteht darin, dass, unabhängig von der Herkunft, Niedrigqualifizierte oft wenig Interesse am Erwerb einer Qualifikation haben. Ziel intelligenter EU.Politik muss es sein, bei Aufrechterhaltung der Personenfreizügigkeit auf Grund des unterschiedlichen Entwicklungsstandes der Wirtschaften Sozialstaatsarbitrage und falsche Anreize zu vermeiden und richtige zu setzen.
Skyjumper
4. Juli 2016 @ 09:23
“Stimmt nicht ganz: am Bau, bei Wohnungsrenovierungen sowie im Logistikbereich kommen sehr wohl Fachkräfte.”
In Bezug auf Österreich kann ich natürlich nicht aus eigener Kenntnis widersprechen. Bezogen auf meine berufsbedingten persönlichen Erfahrungen im Baubereich kann ich jedoch einschränken: Es kommen AUCH Fachkräfte. Der überwiegende Teil sind jedoch angelernte Kräfte die willig und fleissig sind, aber nicht über das erforderliche Knowhow verfügen und auch nicht das in DE vom Endkunden erwartete Qualitätsniveau erreichen.
Eine Ergänzung auch zu Ihrer folgenden Bemerkung:
“auch wenn im Durchschnitt, Betonung auf Durchschnitt, ausländische Arbeitskräfte mehr in das System einzahlen als sie dem System kosten.”
Das stimmt nur unter der Prämisse dass die ausländischen Arbeitskräfte temporär im Land/System sind (die besten und produktivsten Jahre im Ausland). Sowie aus dem zeitweiligen Aufenthalt ein lebenslanger Aufenthalt wird (mit gestiegenen Gesundheitskosten in zunehmenden Alter und späteren Rentenbezug) kippt das Bild wieder. Insoweit haben Sie bezogen auf die EU-Ausländer wahrscheinlich Recht.
Peter Nemschak
3. Juli 2016 @ 16:46
Rund die Hälfte, d.h. 7 % der, gemessen an der Gesamtbevölkerung, in Österreich lebenden Ausländer stammen aus EU und EWR-Ländern, davon allein rd. 30 % aus Deutschland und der Schweiz. Diese zuletzt genannten Zuwanderer werden auf Grund der sprachlichen Ähnlichkeit kulturell nicht als Ausländer wahrgenommen und sind in der Mittelschicht und oberen Mittelschicht integriert. Als fremd und sozial auffällig werden Unterschichten vom Balkan, aus Osteuropa, türkischstämmige Einwanderer und solche aus dem Nahen Osten und Afrika wahrgenommen. Für die Integration dieser Gruppen sind die Erlernung der deutschen Sprache und Bildung ausschlaggebend. Wenn das unterschiedliche Sozialstaatsniveau in der EU als Migrationsbeschleuniger von der Bevölkerung wahrgenommen wird, fördert das Ausländerfeindlichkeit, auch wenn im Durchschnitt, Betonung auf Durchschnitt, ausländische Arbeitskräfte mehr in das System einzahlen als sie dem System kosten. Im Grunde geht es um die Begrenzung der Anzahl der jährlichen Migranten, will man den sozialen Frieden erhalten.
ebo
3. Juli 2016 @ 17:06
In der Schweiz werden auch Deutsche als störend empfunden, es geht also nicht nur um Sprache und/oder Kulturkreis.
Peter Nemschak
3. Juli 2016 @ 18:29
Doch: sowohl die Schweizer wie unsere Vorarlberger sind uns Ostösterreichern kulturell (ein wenig) und sprachlich (sehr) fremd. Unter den Gebildeten ist der Unterschied allerdings gering. Das gilt auch für Osteuropäer, Russen, Muslime, Asiaten, Afrikaner, Amerikaner…. und den Rest der aufgeklärten Welt. Faszinierend zu beobachten, wie zwei türkische Studentinnen im Bus mühelos zwischen gepflegtem Deutsch, wie es bei vielen Einheimischen keine Selbstverständlichkeit ist, und türkisch wechseln. Auch nach einem Brexit wird englisch die dominierende Sprache der Wissenschaft, aber auch lingua franca in Europa bleiben.