Ein Sieg der Demokratie?

Die Ablehnung von Sylvie Goulard und zwei weiteren Anwärtern für die EU-Kommission erschüttert Brüssel. Die Regierung in Paris spricht von einer institutionellen Krise, das Europaparlament feiert einen Sieg der parlamentarischen Demokratie. Wer hat Recht?

Einen Teil der Antwort haben wir schon gegeben. Auch wenn alle drei EU-Institutionen erschüttert wurden, würden wir noch nicht von einer institutionellen Krise sprechen – sondern von einer Führungskrise.

Sie betrifft nicht nur Frankreichs Staatschef Macron und die künftige Kommissionspräsidentin von der Leyen, sondern auch Kanzlerin Merkel. Sie hat ihre Truppen im EU-Parlament nicht mehr im Griff.

Und was hat es mit der Behauptung auf sich, die Zurückweisung von drei Kandidaten, darunter erstmals auch eine Bewerberin aus Frankreich, sei ein Sieg der parlamentarischen Demokratie?

Nun, das ist mit Vorsicht zu genießen. Goulard wurde vor allem wegen ihrer Affären zurückgewiesen. Die EU-Abgeordneten müssen sich jedoch fragen lassen, warum dies so spät geschah.

Die Kandidaten aus Ungarn und Rumänien wurden bereits im Rechtsausschuss gestoppt. Genauso hätte es auch bei Goulard laufen können. In allen drei Fällen ging es um unsauberes Finanzgebaren und Interessenskonflikte.

Da dies nicht passiert ist, liegt der Verdacht nahe, dass Goulard letztlich doch an einem „Revanchefoul“ gescheitert ist – für Macrons Verhalten nach der Europawahl, aber auch, um die Liberalen zu treffen.

Im Ergebnis mußten sowohl Konservative als auch Sozialdemokraten und Liberale je ein „Bauernopfer“ bringen. Das spricht nicht für ein starkes Parlament, sondern für ein Gleichgewicht des Schreckens.

Die Straßburger Kammer ist seit der Europawahl nicht mehr zu Mehrheitsbildung fähig, wie wir schon am Beispiel der Spitzenkandidaten gesehen haben. Von einem Sieg der Demokratie kann daher keine Rede sein.

Wenn es seine demokratische Macht unter Beweis stellen wollte, hätte das EU-Parlament gleich nach der Europawahl handeln müssen – und von der Leyen abweisen. Damals schlug die Stunde der Demokratie – sie wurde verpasst.

Und noch eins: Warum haben die Abgeordneten sich eigentlich nicht mit den Affären und Skandalen von Frau von der Leyen befasst? Sie wiegen mindestens ebenso schwer wie die von Goulard…

Siehe auch „Macron gegen Leyen: Die nächste Führungskrise“ sowie die Serie zur Europawahl „Der große Schwindel“