Ein Haftbefehl, drei Auslegungen
Das kann kein Zufall gewesen sein. Dass der katalanische Separatistenführer Puigdemont in Deutschland festgenommen wurde, geht offenbar auf eine Absprache zwischen Madrid und Berlin (bzw. auf einen gezielten Hinweis der spanischen Dienste) zurück.
Denn wie sonst wäre es zu erklären, dass die deutschen Behörden genau wußten, wann sie Puigdemont festsetzen konnten? Und das unmittelbar nach seiner Einreise aus Dänemark? Puigdemont wurde nicht zufällig “erwischt”, sondern bewußt gestoppt.
Für eine Absprache spricht auch die Tatsache, dass Kanzlerin Merkel dem spanischen Regierungschef Rajoy seit Monaten treu die Stange hält. Seine repressive Politik wurde auch von der letzten GroKo gedeckt.
Ob die neue GroKo mit der neuen Justizministerin Barley anders denkt, dürfte sich am Montag zeigen. Fest steht, dass es innerhalb der EU nun drei verschiedene Auslegungen für denselben Sachverhalt gibt.
In Belgien bekam Puigdemont freies Geleit, nachdem sich gezeigt hatte, dass der europäische Haftbefehl auf unsicherem juristischen Grund stand (Madrid setzte ihn deshalb auch aus).
In Finnland durfte Puigdemont nicht nur ein- und ausreisen, sondern sogar vor dem Parlament reden. In Deutschland wurde er wie ein Schwerverbrecher festgenommen. Nun hat Berlin den ersten politischen Gefangenen, kommentiert die “Süddeutsche”.
Und was macht die EU in Brüssel? Sieht sie die Probleme mit dem europäischen Haftbefehl, der über Nacht aus- und wieder eingesetzt wird? Sorgt sie sich um die unterschiedliche Auslegung, die den gemeinsamen Raum des Rechts infrage stellt?
Wir wissen es nicht. Denn die EU-Kommission schweigt – wie immer, wenn es um Katalonien geht. Linke und Grüne, die nun nach Freilassung oder Vermittlung rufen, machen sich Illusionen. Das EU-Bündnis der Hardliner steht.
Es reicht von Rajoy über Merkel (s.o.) bis zu Juncker. Alle drei sind auf Gedeih und Verderb in der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) verbunden; zuletzt haben sie den spanischen Finanzminister De Guindos in die EZB gehievt.
Für Juncker hat die Eskalation um Katalonien und Deutschland sogar noch einen Vorteil: Sie lenkt von seinen eigenen, hausgemachten Problemen im Fall Selmayr ab – und schweißt die zweifelnde EVP wieder zusammen…
Mehr zu Puigdemont und der EVP-Seilschaft hier
WATCHLIST!
- Hunde, die bellen, beißen nicht. So scheint es auch im europäisch-türkischen Verhältnis zu sein. Nachdem beim EU-Gipfel am Freitag noch geharnischte Erklärungen abgegeben wurden, wollen Kommissionschef Juncker und Ratspräsident Tusk Türkei am Montag einen Kotau vor Sultan Erdogan machen. Das Treffen im bulgarischen Warna dient vor allem dazu, den Merkel’schen Flüchtlingsdeal zu verlängern und noch einmal 3 Mrd. Euro locker zu machen – trotz des Angriffs auf Afrin.
WAS FEHLT?
- Ein Follow-up zum Handelskonflikt mit den USA. Am Freitag hatte die EU noch getönt, man lasse sich keine Pistole an die Schläfe setzen. Seitdem herrscht Schweigen zwischen Brüssel und Washington. Dabei läuft der EU die Zeit davon – Ende April läuft die neue Frist von US-Präsident Trump aus, bis dahin müsste ein Kompromiss stehen.
- Entspannung mit Russland. Statt dessen zeichnet sich eine neue Eskalation ab. Nach Angaben von CNN wollen am Montag auch Deutschland, Frankreich und weitere EU-Staaten russische Diplomaten ausweisen. Ironie von der Geschichte: Diese Kalte-Kriegs-Aktion scheint – wieder laut CNN – mit US-Präsident Trump abgestimmt zu sein…
Claus
26. März 2018 @ 19:59
Art. 25 GG: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“
Art. 1, Charta der Vereinten Nationen: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“
Deutschland und Spanien sind UN-Vertragsstaaten. Eine Sezession Kataloniens von Spaniens steht unter dem Schutz des UN-Völkerrechtes, somit auch Puigdemonts Handeln. Die gegen ihn gerichtete Anklage der Veruntreuung hat vor den obigen Rechtsgütern allenfalls folkloristische Bedeutung zu haben.
Finnland, Schweden und Dänemark waren clever genug und wollten sich nicht zum Büttel in einem politischen Schmierentheater machen. Aber auf Deutschland ist hundertprozentig Verlass in puncto Ein- und Durchreisekontrollen.
Peter Nemschak
27. März 2018 @ 11:28
Lassen wir die unabhängige deutsche Justiz entscheiden, was mit Puigdemont zu geschehen hat. Der politische Zwist ist Sache der Spanier und Katalanen und von diesen zu lösen. Die EU, die kein Interesse an einer Ausbreitung des Separatismus in Europa hat, kann dazu inhaltlich wenig beitragen, weil sie aufgrund ihres eigenen Interesses die spanische Position unterstützen muss und daher parteiisch ist. Gleiches gilt für Frankreich mit seiner katalanischen Minderheit. Die Alternative zu den Nationalstaaten ist ein supranationales Europa. Letztlich ist der Streit zwischen Madrid und Barcelona eine Frage des Geldes und wird auf dieser Ebene zu lösen sein.
Oudejans
26. März 2018 @ 18:42
>>”Politik soll nicht Recht brechen, denn Recht schützt die Bürger vor demokratischer Willkür.”
Wenn auch Sie Kontakt zu Новичок-5 hatten, wenden Sie sich bitte an Werderscher Markt 1, 10117 Berlin. Das geht ja so nicht. Wenn Sie weiterbloggen, als wäre nichts geschehen (“dumme Masse”), machen Sie sich am Ende nur Vorwürfe.
Claus
26. März 2018 @ 13:35
„Nun hat Berlin den ersten politischen Gefangenen, kommentiert die “Süddeutsche”.“
Da muss die „Süddeutsche“ wohl noch etwas beim Titeln üben. Korrekt müsste das lauten: „Seit dem 8. Mai 1945 hat Berlin jetzt wieder politische Gefangene.“
Oudejans
26. März 2018 @ 15:01
Verbatim: “Nun hat die Bundesrepublik Deutschland ihren ersten politischen Gefangenen: …”
Völlig korrekt.
ebo
26. März 2018 @ 15:05
@Oudejans Nicht nur das, wir haben auch schon eine politische Vorgabe zum Umgang mit dem politischen Gefangenen: “Ausliefern, auf der Stelle!” Sagt E. Brok (CDU). “Spanien ist ein Rechtsstaat!” Sagt S. Seibert, Sprecher von Kanzlerin Merkel (CDU). Und was sagt die eigentlich zuständige Justizministerin Barley (SPD)? Nichts. Ich vermute, sie hat nichts zu melden in dieser rechtslastigen GroKo.
Peter Nemschak
26. März 2018 @ 16:35
Falsch. Kein politischer Gefangener sondern Rechtsbrecher. Politik soll nicht Recht brechen, denn Recht schützt die Bürger vor demokratischer Willkür.
Oudejans
26. März 2018 @ 18:32
>>““Ausliefern, auf der Stelle!” Sagt E. Brok (CDU).
Das ist mir zu ungenau.
‚Der Mann ist auf der Stelle auszuliefern!‘
Beunruhigend ist, daß wir mit dem gestrigen Tage 18 Jahre in die Zukunft gesprungen sind. Ich war gerade dabei, mich auf das erste Kabinett Maas vorzubereiten. Gottlob ist die Wehrmacht flügellahm wie – 18.
Peter Nemschak
26. März 2018 @ 11:46
Puigdemont hat wissentlich und willentlich Deutschland provoziert. Er hätte mit dem Flugzeug, ohne Aufsehen zu erregen, aus Finnland nach Belgien zurückfliegen können. Wegen zweier Machtpolitiker mit übersteigerten Egos (Rajoy und Puigdemont) wird halb Europa belästigt und die dumme Masse in Barcelona, voll von ressentiments, schlägt sich die Köpfe blutig. Kluge Menschen lassen sich davon nicht beeindrucken und gehen wie gewohnt ihren Geschäften nach. Europa hat Wichtigeres zu tun als sich mit solchem infantilen Unsinn herumschlagen zu müssen.
Reinard Schmitz
26. März 2018 @ 10:40
Bedarf dieses Verhalten noch eines Kommentars?