Drei Coups gegen die Demokratie, Abfuhr für Kiew und Aufruhr in Tiflis
Die Watchlist EUropa vom 07. Dezember 2024 – heute mit der Wochenchronik.
Dies war die erste Arbeitswoche der neuen EU-Kommission. Ihre deutsche Chefin von der Leyen nutzte sie für einen Coup: Gegen den erklärten Willen von drei großen Mitgliedsstaaten – Frankreich, Polen und Italien – schloß sie ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten.
Das ist ihr gutes Recht. Die Handelspolitik ist vergemeinschaftet, die EU-Kommission kann allein handeln.
Allerdings waren die Verhandlungen alles andere als transparent. Und es ist politisch nicht klug – und auch nicht demokratisch – sich über wichtige EU-Staaten hinwegzusetzen.
Wieder einmal standen deutsche Interessen über europäischen – der Deal nützt vor allem der deutschen Industrie.
Und wieder einmal gab die Geopolitik den Ausschlag – es geht darum, den USA und China zuvorzukommen und sich Märkte (und Rohstoffe) zu sichern.
Doch dies war nicht der einzige Coup gegen die Demokratie.
Volkswillen missachtet
___STEADY_PAYWALL___
Der zweite ereignete sich in Paris, wo die Regierung Barnier durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde. Barnier und das Lager von Präsident Macron haben keine Mehrheit im Parlament.
Doch Macron weigert sich, die Verantwortung zu übernehmen. Er will bis zum Ende seiner Amtszeit weitermachen, obwohl er keinen Rückhalt mehr hat. Der Volkswille wird mißachtet.
Aus EU-Sicht ist dies aber kein Problem. Schließlich steht Macron für die “pro-europäische” Mitte. Außerdem setzt er die Reformen um, die Brüssel fordert. Ca suffit.
Wahl annuliert
Der dritte Coup ereignete sich in Rumänien. Hier wurde die Präsidentschaftswahl annulliert, weil der Geheimdienst (!) russische Einflussnahme via TikTok vermutet.
Nachgewiesen wurde aber nur eine Kampagne zugunsten des rechtslastigen, Nato-kritischen Kandidaten Georgescu. Der Beweis, dass sie aus Russland kommt und zu seinem Wahlerfolg beitrug, steht aus.
Aus Sicht vieler Rumänen wurde hier, kurz vor der für Sonntag geplanten Stichwahl, die Demokratie ausgehebelt. Für Brüssel könnte dies ein Präzedenzfall werden.
Zum einen nimmt die EU seit langem die “Social Media” und “ausländische Einflussnahme” ins Visier – sie fühlt sich bestätigt und könnte ihre Regeln verschärfen. Zum anderen steht ein Verbot von TikTok im Raum.
Über die mit all dem verbundenen, gravierenden Demokratie-Probleme redet in Brüssel keiner…
Siehe auch Fehlende Legitimität: Der EUropäische Makel
Was war noch?
- Die Nato hat Präsident Selenskyj eine Abfuhr erteilt. Einen Blitz-Beitritt der Ukraine oder eine Garantie für die Aufnahme nach einer möglichen Friedenslösung wird es nicht geben.
- In Georgien gerät die Lage außer Kontrolle. Der Aufruhr vor dem neu gewählten Parlament in Tiflis reißt nicht ab, die Regierung geht immer härter gegen die pro-europäischen Demonstranten vor. Die EU tut nichts zur Beruhigung der Lage.
- In Syrien rücken Islamisten und andere Regimegegner immer weiter vor; sie könnten sogar die Hauptstadt Damaskus erobern. Brüssel schweigt, obwohl die Terrorgefahr steigt und neue Flüchtlingswellen drohen…
Mehr Newsletter hier.
Die meistgelesenen Beiträge der Woche:

Trumps Ukraine-Deal erschüttert EU und Nato
Die Nachricht vom geplanten Ukraine-Deal zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin ist in Brüssel wie eine Bombe eingeschlagen.

Krieg um die Ukraine: Zwei neue Hardliner bei der Nato
Nach dem Machtwechsel in Washington sah es zunächst so aus, als würde die Unterstützung für die Ukraine nachlassen. Doch bei der Nato zeigt sich ein ganz anderes Bild.

Schlag gegen “freie” Medien in der Ukraine, Georgien und Moldau
US-Präsident Trump will die Regierungsagentur USAID abwickeln und Hilfsgelder streichen. Das hat unerwartete Nebenwirkungen bei den EU-Beitrittskandidaten in Osteuropa.
Michael
7. Dezember 2024 @ 18:55
… und in Moldavien kauft die EU aka UvdL die Wahlen fūr 1.3 Milliarden Euro! Etc., etc.! Alles keine Neuigkeiten!
Ute Plass
7. Dezember 2024 @ 15:02
@Kleopatra: „…wo ist dann das Problem?“
„Das Problem“ ist, dass dies alles nichts mit Demokratie zu tun hat, in dem „SouveränInnen“ all die Belange mit gestalten, die das eigene (Gemeinwohl) Leben betreffen. Das gilt auch für „…das beste Deutschland, das es jemals gegeben hat“.
Zitiere Ibrahim Ardalan:
„Wie jemals konnten wir auf die Idee kommen, dass etwas „Demokratie“ heißen könnte, dass wir etwas „Demokratie“ nennen sollten, das ohne Begegnungen auskommt? Ohne dass die, die sich da „demokratisch miteinander verbinden“ je in einem Raum zusammenkommen, ohne dass sie sich die Hände schütteln, ohne dass sie sich in die Augen schauen, ohne dass sie den anderen auf sich wirken lassen und sich auf den anderen wirken lassen, als Personen, als Menschen? “
https://wyriwif.wordpress.com/2019/02/21/demokratie-ohne/
WBD
7. Dezember 2024 @ 14:33
Naja, wenn ein Kandidat kurz vor der Stichwahl mit 63 zu 37 Prozent in den Befragungen vorne liegt, _UND_ einige der herrschenden Lehrsätze der aktuellen NATO und EU Strategie in Frage stellt (Ukraine-Unterstützung), dann wirkt die Argumentation sehr, sehr dürftig. Nahezu unbeweisbare Allerweltsargumente (russische Einflussnahme, Tik-Tok-Kampagne) wirken letztlich wie ein Abwürgen eines ungewollten Kandidaten.
Früher sagte man mal:
‘Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten’
Heute verbietet man unbequeme Kandidaturen – natürlich im Namen der Demokratie…
Kleopatra
7. Dezember 2024 @ 12:21
Was soll daran undemokratisch sein, wenn die Kommission das tut, wozu sie durch die Verträge explizit ermächtigt ist? Die Demokratie kommt erst dann ins Spiel, wenn der Mercosur-Handelsvertrag ratifiziert wird (oder die Ratifikation abgelehnt wird). Vorauseilender Gehorsam gegenüber den Interessen einzelner Mitgliedstaaten (hier nennen Sie Deutschland) sollte für die Kommission ein No-Go sein.
Was ist daran undemokratisch, wenn ein Präsident bis zum verfassungsmäßigen Ende seiner Amtszeit im Amt bleiben will? Da Marine Le Pen wegen eines laufenden Strafverfahrens möglicherweise nur noch wenige Monate lang für eine Kandidatur bei Präsidentschaftswahlen in Frage kommt – wollen Sie ernsthaft Marine Le Pen als französische Präsidentin?
Und wenn das rumänische Verfassungsgericht bei dem Beschluss, den ersten Wahlgang zu wiederholen, seine Zuständigkeit nicht überschritten hat (ich kenne das rumänische Verfassungsrecht in diese Punkt nicht) – wo ist dann das Problem?
ebo
7. Dezember 2024 @ 16:21
Die Annullierung einer laufenden Präsidentschaftswahl wie in Rumänien hat es in der EU noch nie gegeben.
Frankreich hat nun zum ersten Mal einen Präsidenten, der jahrelang ohne Mehrheit regiert, gegen das Parlament.
Und bei Mercosur kommen demokratische Verfahren erst nach dem Deal zur Anwendung, wie Sie ganz richtig sagen.
Wenn das Ihren demokratischen Standards genügt – meinen nicht.
Kleopatra
8. Dezember 2024 @ 09:50
Der französische Präsident ist nicht auf das Vertrauen des Parlaments angewiesen; vielmehr ist er durch die Verfassung bewusst als Gegenmacht zum Parlament installiert. Und Macron wurde mit Mehrheit der Wählerstimmen für eine zweite fünfjährige Amtszeit gewählt.
Die Annullierung des ersten Wahlgangs in Rumänien ist genausowenig prinzipiell abwegig wie die der Abgeordnetenhauswahl in Berlin und eines Teils der Bundestagswahl in Berlin.
Was die Zuständigkeitsverteilung in der EU betrifft, so wird die durch die Verträge geregelt. Man kann sie in Einzelheiten demokratisch zweifelhaft finden, daraus folgt aber nichts. Und den Verträgen haben die Mitgliedstaaten sämtlich gemäß ihren eigenen demokratischen Verfassungen zugestimmt.
Skyjumper
8. Dezember 2024 @ 11:37
@Kleopatra
Njein. Es ist richtig, dass der franz. Präsident und das franz. Parlament bewußt als mögliche Gegengewichte in der Verfassung aufgebaut sind. Insoweit würde ich Ihnen folgen wenn Sie festhalten, dass Macron seine eigene Mehrheit hat und nicht zurücktreten muss, vielleicht auch wirklich nicht sollte.
Aber: Die Verfassung sieht nun einmal auch eine erhebliche Beteiligung des Präsidenten an der Regierungsbildung vor. Und damit auch eine erhebliche Verantwortung an der Herstellung einer handlungs- und beschlußfähigen Staatsverwaltung. Dieser Verantwortung wird Macron derzeit nicht gerecht.
Nach meinen (subjektiven) Verständnis sollte die Regierung das ausführende Organ des Parlamentes sein. Und der Präsident hat in Frankreich genügend Machtbefugnisse um als Gegengewicht zu dem Parlament UND der Regierung agieren zu können.
Wenn Macron diesen beschwerlichen Weg scheut, dann sollte er zurücktreten.
ebo
8. Dezember 2024 @ 13:34
Macron hat keine eigene Mehrheit mehr. Weder in den Umfragen noch im Parlament. Es gibt jedoch auch keine alternative Mehrheit – sonst hätten wir eine “Cohabitation”.
Die Situation ist “inédit”, noch nie da gewesen. Eine Lösung wird erst im Sommer möglich, wenn Macron erneut das Parlament auflösen darf, so dass es zu Neuwahlen kommt.
Doch was, wenn er auch diese verliert?
Skyjumper
7. Dezember 2024 @ 20:44
Ich habe jahrzehntelang so ähnlich argumentiert wie @Kleopatra. Allerdings wurde in diesen Jahrzehnten der Geist der Gesetze/Verfassungen/Verträge nie so eklatant verletzt wie das zunehmend zum Normalfall wird.
Man sollte sich nur mal für einen ruhigen Abend entspannt zurücklehnen und darüber sinnieren was wirklich und wahrhaftig undemokratische, vielleicht inhumane Parteien daraus machen können wenn sie denn tatsächlich einmal an die Macht kommen? Die NSDAP hat ihre totalitäre Macht auf der Grundlage der Präzedenzfälle aufgebaut die ihr die demokratischen Parteien frei Hand geliefert haben. Genau das gleiche passiert aktuell wieder. Und wer aus der Geschichte nichts gelernt hat ist dazu verdammt sie zu wiederholen.
umbhaki
7. Dezember 2024 @ 22:16
Skyjumper schreibt:
„… sinnieren was wirklich und wahrhaftig undemokratische, vielleicht inhumane Parteien daraus machen können wenn sie denn tatsächlich einmal an die Macht kommen?“
Das ist der entscheidende Gedanke! Wir stellen nicht nur auf EU-Ebene fest, wie Verfahren immer selbstverständlicher werden, durch die unsere demokratischen Systeme immer fragiler werden.
Da sind auch etliche Gesetze zu nennen, die beispielsweise in Deutschland diese Gefahr ebenfalls beinhalten. Spontan erwähnt seien hier nur die diversen Polizeigesetze/Polizeiaufgabengesetze der Bundesländer, durch die die rechtliche Situation von Beschuldigten oder auch nur potentiell zu beschuldigenden Leuten verschlechtert werden, sowie der Entwurf zur sog. „Vorratsdatenspeicherung“, der gerade wieder auf die Tagesordnung kommt – immer wieder und solange, bis er durchgesetzt ist.
Die Zeiten werden schwieriger, die schönen Versprechungen, die uns mit der „liberalen freien und sozialen Marktwirtschaft“ gemacht wurden, können zunehmend nicht mehr eingelöst werden. Jetzt müssen die Vorbereitungen getroffen werden für die Zeit, in der die Menschen unzufrieden werden. Nicht nur solche Parteien, die wir vielleicht heute als „wahrhaftig undemokratische, vielleicht inhumane Parteien“ wahrnehmen, werden sich in absehbarer Zukunft als ebensolche herausstellen.