Drei Bücklinge vor Salvini
Alle reden von Ursula Von der Leyen. Dabei wird ein anderer Europapolitiker immer wichtiger: Italiens rechtsradikaler Innenminister Matteo Salvini. Zuletzt hat die EU drei Bücklinge vor ihm gemacht.
Vor allem Kanzlerin Merkel nahm auffällig viel Rücksicht auf den Rechtsausleger aus Norditalien. Aber auch EU-Kommissionschef Juncker knickte vor Salvini ein. Hier die drei Bücklinge:
- Beim Personalpoker: Weil Salvini und die Visegrad-Staaten Nein sagten, konnte der sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans sich nicht durchsetzen. Merkel sagte, sie wolle Timmermans nicht gegen große EU-Staaten durchboxen; gemeint war offenbar Italien.
- Im Flüchtlingsstreit: Salvini verweigerte der deutschen Sea Watch die Einfahrt in den Hafen von Lampedusa. Weder Merkel noch Juncker wagten es, dem italienischen Innenminister zu widersprechen. Kapitänin Rackete steuerte den Hafen dennoch an – doch die EU schwieg.
- Im Defizitstreit: Bereits zum zweiten Mal hat die Juncker-Kommission ein Defizit-Verfahren gegen Italien eingestellt. Das erste Mal, um keinen Ärger bei der Europawahl zu haben – und nun, um keine Regierungskrise in Rom und einen Durchmarsch Salvinis zu riskieren.
Regiert der rechtsradikale Italiener als bereits in Brüssel mit, wie die französische Nationalisten-Führerin Marine Le Pen frohlockt? Ganz so hart kann man es (noch) nicht sagen. Aber die EU wagt es nicht mehr, gegen ihn und seine Politik vorzugehen. Das zeigt, welchen Einfluß die Rechte bereits hat.
Und das trotz des relativ schwachen Abschneidens der Rechten bei der Europawahl. Das Hauptproblem sind denn auch nicht die Nationalisten und Populisten im neuen Europaparlament, sondern die Angsthasen im Rat, die sich nicht trauen, klare Kante gegen Rechts zu zeigen – nicht wahr, Frau Merkel?
Mehr dazu im neuen Podcast. Siehe auch „Angst vor Salvini“ und „Wie Orban zum Königinnen-Macher wurde“
Holger Jeltsch
15. Juli 2019 @ 10:53
Losgelöst von rechtlichen Überlegungen ist doch mehr als erschreckend, peinlich und unglaublich, daß ein Minister eines Gründungsstaates ungebremst von eigenen kolle-
gialen Herrschaften unkritisiert in Gossensprache und -manier Beleidigungen und Lügen gegen/über eine mutige Frau, die noch Anstand/Bildung kennt und zeigt verbreiten und sich auch noch dafür Beifall und Anerkennung sicher sein kann. Was für eine Schande !!! Pfui Teu fel!!!
Georg Soltau
8. Juli 2019 @ 15:45
@zykliker,wer oder was ist bitte mit MIK gemeint ?
zykliker
8. Juli 2019 @ 16:44
Militärisch Industrieller Komplex:
https://de.wikipedia.org/wiki/Milit%C3%A4risch-industrieller_Komplex
Georg Soltau
10. Juli 2019 @ 12:31
@zykliker , der „Komplex“ ist bekannt, konnte nur mit der Abkürzung nicht anfangen, vielen Dank für die Antwort!
amelia57
8. Juli 2019 @ 13:07
„Murksel“ 🙂 🙂 🙂
zykliker
8. Juli 2019 @ 10:47
„sondern die Angsthasen im Rat, die sich nicht trauen, klare Kante gegen Rechts zu zeigen – nicht wahr, Frau Merkel?“
ich beneide diese „Angsthasen“ nicht um ihre mehrfache Sandwich-Lage:
– die neoliberalen Ansprüche einer Feudalschicht aus MIK und Finanz-Oligarchie
https://www.rationalgalerie.de/home/wahlkampf-ohne-wahl.html
– die Rufe einer wachsenden Unterschicht – besonders aber derer aus der Mittelschicht, die schon abgestiegen sind oder vom Abstieg unmittelbar bedroht sind (die Zahl derer, die sich auf ihre Altersarmut „freuen,“ wird nur von der Zahl derer übertroffen, die immer noch nicht aufgewacht sind) – nach einem menschenwürdigen Dasein
– die aus dem Protest der vorigen hervorgegangenen Populisten, die zwar keine wirklichen Verbesserungen zu bieten haben (z.B. neoliberales Wirtschaftsprogramm der AfD), aber für den, der sehen kann, ein „great“ Fieberthermometer abgeben.
Wem soll es denn da ein vergleichsweise erbärmlich bezahltes „Murksel“ recht machen?
Jede Politik/Propaganda gegen rechts wirkt nur kurzfristig, stärkt aber wegen erwiesener eigener Unglaubwürdigkeit über das Märtyrer-Prinzip nur deren Wählerpotenzial.
Jede Politik gegen MIK/Finanz-Oligarchie und pro „Kleine Leute“ gefährdet das eigene Leben. So einfach ist das, und dementsprechend sinkt über die Jahrzehnte auch das Niveau des gesamten Personals incl seiner Herolde.
Peter Nemschak
8. Juli 2019 @ 12:22
Die Trennlinien in der Gesellschaft verlaufen anders als Sie meinen. Hie eine kosmopolitisch akademisch gebildete obere Mittelschicht, welche kulturell weltweit vernetzt ist und die kulturellen Codes der postindustriellen weltweiten Dienstleistungsgesellschaft lebt – solche Milieus finden sich in allen Weltstädten mit ähnlichen Lebensgewohnheiten und Einstellungen – auf der anderen Seite eine unabhängig von der sozial-ökonomischen Schicht lokal verwurzelte Gesellschaft, die traditionellen Werten nachhängt und sich von den linksliberalen Eliten missverstanden fühlt. Die Anhänger rechtspopulistischer Parteien kommen keineswegs ausschließlich aus der Unterschicht. Teile der alten Mittelschicht und des konservativen Bürgertums finden sich von diesen Parteien verstanden. Wir erleben derzeit einen Kulturkampf der Gegenmoderne zur Moderne in Gestalt von rechtspopulistischen Parteien wie der AfD aber auch anderen auf der Welt. Trump und Teile der weißen Amerikaner, die sich in ihren Privilegien und Ansichten bedroht fühlen, gehören dazu. Der politische Epochenbruch nach 1989 verlief parallel mit einem kulturellen – so die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch.
zykliker
8. Juli 2019 @ 15:51
auch mit dieser Sicht einverstanden; da ich es aber mit Brechts „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ halte, ist mir das materialistische Erklärungsmuster mindestens genauso wichtig.
Wir wissen ja auch, daß „Zurückbleiben“ oft zwangsläufig auch materiellen Rückschritt bedeutet, und so treffen sich die Ansätze in schöner Symbiose.
Kleopatra
8. Juli 2019 @ 03:50
Die Rechten haben bei der Europawahl in Italien nicht schwach abgeschnitten, sondern stark. Salvinis Lega hat sich m.W. von etwa 17 % auf über 30 % verbessert, und speziell seine Anti-Flüchtlings-Haltung scheint populär zu sein. Die Lega hat im Europäischen Parlament fast soviele Abgeordnete wie die CDU/CSU. Nebenbei gesagt ist die maßgebliche Beteiligung an der Regierung eines Mitgliedstaates in der Praxis für die Machtverteilung wichtiger als Sitze im Parlament. Außerdem stimmt es einfach, dass Italien zu groß ist, als dass man einen harten langen Konflikt mit ihm riskieren könnte.
ebo
8. Juli 2019 @ 09:17
Nun ja. Bei der Juncker-Wahl 2014 hat Merkel auch UK übergangen. Und UK war damals viel wichtiger als Italien heute…
Holly01
8. Juli 2019 @ 09:34
Das UK hat Merkel machen lassen ….
Der Briefkasten Juncker mit den laxen Banken- und Steuerregeln hat der CoL sehr gut ins Konzept gepasst.
vlg
Andreas Müller
8. Juli 2019 @ 11:53
Man kann den Brexit auch als Quittung interpretieren.
Peter Nemschak
8. Juli 2019 @ 16:24
Danke für ihre nüchterne und emotionslose Analyse fern jeden Wunschdenkens.
Peter Nemschak
7. Juli 2019 @ 20:26
Im Flüchtlingsstreit hatte Rackete das Recht nicht auf ihrer Seite.
ebo
7. Juli 2019 @ 20:36
Das hat die italienische Justiz offenbar anders gesehen
Peter Nemschak
7. Juli 2019 @ 20:51
Laut Völkerrecht jedenfalls nicht, so die NZZ. Wenn Rettungsaktionen wie jene von Rackete die Überlebenschance von Flüchtlingen erhöhen, werden mehr Leute über das Meer kommen. Daran ist nicht zu rütteln. Bis heute sind die Linken ein glaubwürdiges und effektives Lösungspaket des Flüchtlingsproblems schuldig geblieben, was die Erfolge der Rechten befeuert. Die Deutschen sollten im eigenen Interesse endlich das Moralisieren lassen. Es kommt in der EU nicht gut an.
Rudi Ehm
8. Juli 2019 @ 09:05
Haben wir was verpasst? Gab es schon ein Gerichtsverfahren?
Holly01
8. Juli 2019 @ 08:38
Können Sie das genauer definieren, welches Recht hat Rackete gebrochen?
vlg
Peter Nemschak
8. Juli 2019 @ 12:08
Hier finden Sie eine ausführliche Antwort: https://www.nzz.ch/international/der-andere-blick-die-deutschen-waeren-gerne-moralweltmeister-ld.14939. Völkerrechtlich ist das Vorgehen der Kapitänien nicht gedeckt. Wer sich absichtlich in Seenot begibt – niemand hat die Flüchtlinge gezwungen sich in Schlauchbooten der Gefahr auszusetzen, hat keinen Anspruch auf Rettung aus Seenot. Wenn jeder macht was er will, und selbst aus noch so edlen Motiven, haben wir Chaos auf der Welt.