Draußen das Feuer, drinnen der Zerfall
Was bleibt von der EU-Politik der vergangenen Woche? Die Blockade bei den Belarus-Sanktionen wurde überwunden, Verstöße gegen den Rechtsstaat werden erstmals EU-weit diskutiert. Doch hinter diesen guten Nachrichten verbirgt sich eine traurige Realität.
Fangen wir mit der Außenpolitik an: Der EU-Gipfel hat die seit Wochen angekündigten Belarus-Sanktionen beschlossen und auch gleich umgesetzt. Laut EU-Amtsblatt werden 40 Personen mit Kontensperrungen und Einreiseverboten belegt.
Unter ihnen sind Innenminister Juri Karaeu, Mitglieder der staatlichen Wahlkommission, des Geheimdienstes KGB sowie der Spezialeinheiten Omon und SOBR. Kanzlerin Merkel feiert die Strafliste als großen Erfolg für die EU und den deutschen Vorsitz.
Allerdings dürfte die praktische Wirkung gering sein. Die EU verfügt in Belarus kaum über Hebel – und selbst die hat sie in den letzten Jahren falsch eingesetzt. So wurden die (alten) Sanktionen gelockert, obwohl das Land auch damals schon eine Diktatur war.
Dass Belarus nun zum Gipfel-Thema wurde, enthüllt eine traurige Realität: Die EU ist mit ihrem Ziel, ihre Nachbarschaft zu befrieden, zu öffnen und zu demokratisieren, krachend gescheitert. Statt von einem “Ring von Freunden” ist sie von einem Feuerring umgeben.
Belarus, Ukraine, Türkei, Syrien, Libyen – überall brennt die Lunte, nirgendwo geht es voran. Besonders schlimm ist die Lage in der Türkei – doch ausgerechnet dem islamischen Quasi-Diktator von Sultan Erdogan stellt Merkel einen Freibrief aus.
Und wie sieht es im Innern der Union aus? Auch nicht schön, wie der erste umfassende Rechtsstaats-Report der EU-Kommission gezeigt hat. Obwohl er zahlreiche blinde Flecken enthält, wird doch deutlich, dass die “Wertegemeinschaft” im Innersten zerfällt.
Nicht nur Ungarn und Polen, auch Bulgarien, Rumänien, Kroatien und die Slowakei tun sich schwer mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Medien. Ungarn greift nun sogar die zuständige EU-Kommissarin Jourova frontal an und will Zusammenarbeit verweigern.
Der Streit könnte auch das neue EU-Budget und den “historischen” Coronafonds gefährden. Doch der deutsche EU-Vorsitz will das alles nicht wahrhaben. Draußen das Feuer, drinnen der Zerfall – und Merkel tut so, als gehe es voran…
ebo
4. Oktober 2020 @ 14:02
Was stört Sie denn? Bitte um kurze Antwort, sonst wird dieser Kommentar gelöscht
Claus Hiller
4. Oktober 2020 @ 10:10
Ich lese: „Belarus, Ukraine, Türkei, Syrien, Libyen – überall brennt die Lunte, nirgendwo geht es voran. Besonders schlimm ist die Lage in der Türkei – doch ausgerechnet dem islamischen Quasi-Diktator von Sultan Erdogan stellt Merkel einen Freibrief aus.“
Eine Liste mit Ländern, in denen Menschen drangsaliert, misshandelt, gefoltert, ausgepeitscht, politisch oder glaubensbedingt inhaftiert oder hingerichtet werden, wo Diktatoren sich die Taschen vollstopfen, und damit überall dort, wo den Vorstellungen der EU oder Deutschlands für „Werte“ nicht entsprochen wird, ließe sich ja weit über die obige Liste fortführen.
Verhängt die EU Sanktionen, Reisesperren, Einfrieren von Vermögen gegen alle infrage kommenden Länder? Fehlanzeige! Wenn es keine „Hebel“ gibt, bleibt man lieber schön geschmeidig und rollt, wenn opportun, auch noch den roten Teppich aus.
Dann lese ich „Nicht nur Ungarn und Polen, auch Bulgarien, Rumänien, Kroatien und die Slowakei tun sich schwer mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Medien.“
Wirklich ein Problem nur in diesen Ländern? Unabhängigkeit der ÖR-Medien oder politische Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften in Deutschland? Haben die Regierungschefs in Polen oder Ungarn je darauf bestanden, demokratische Wahlen zu wiederholen, weil das Ergebnis nicht genehm war? Haben sie ihren Verfassungsschutz (o.ä.) missbräuchlich gegen die Opposition eingesetzt? Haben sie versucht, die Demonstrationsfreiheit unter billigen Vorwänden auszuhebeln, weil ihnen das Thema der Demonstration nicht passte?
„Wertegemeinschaften“ und „Werte“ richten sich offenbar danach, aus welchem politischen Lager und unter welchen wirtschaftlichen Interessen sie betrachtet und beurteilt werden.
asisi1
4. Oktober 2020 @ 07:59
Von Demokratie , Menschenrechten, Solidargemeinschaft und Rechtsstaat reden immer nur die, die vom Geld der Anderen leben!
Holly01
5. Oktober 2020 @ 08:16
Das ist ein dummer Kommentar.
Reich werden kann man nur in funktionierenden Gesellschaften, denn nur da funktionieren Besitz- und Pfandrechte.
Für diese Funktionen benötigt man auch ein Minimum an “Verteilungsgerechtigkeit”.
Das kann man an Deutschland sehr gut ablesen.
Deutschland war schon seit dem DoppelWK von einer extrem kleinen Gruppe Geldinhaber abhängig.
Als in den 70ern die Verteilung immer mehr gestört war, mussten diese Leute anfangen ihr Geld immer stärker im Ausland zu verdienen.
Der deutsche Binnenmarkt ist völlig verzerrt und besteht aus einem verschwindend kleinen Teil der Gesellschaft der überhaupt noch zum Konsum fähig ist.
Es ist nur folgerichtig, wie die Wissenschaft und Forschung in Abhängigkeit der Geldgeber abdriften.
Da ist wenig Genie und sehr viel bezahlte Wunschwissenschaft.
Kein Wunder, denn 70% der Bevölkerung hat nur rudimentäre Mathematik- und Schreibfähigkeiten.
Teilen ist ein Gesellschaftsprinzip, weil es sich für alle lohnt.
Dieser Schmarotzergedanke wird ganz gezielt von den MM betont und gepusht.
Wir haben aber H4 nicht wegen den Migranten.
Wir haben H4 wegen den asozialen Geldeliten in Deutschland.
vlg
Art Vanderley
3. Oktober 2020 @ 20:14
„dass die “Wertegemeinschaft” im Innersten zerfällt.“
So ist es, aber gibt es nicht noch andere blinde Flecken?
Auch in Deutschland erodiert der Rechtsstaat- in Berlin wird mal eben die Unschuldsvermutung über Bord geworfen, um Minderheiten vor vermeintlicher Diskriminierung zu „schützen“. In Thüringen war es ausgerechnet die Flügel-AfD, die ähnliche Übergriffe ins Parteirecht verhindert hat, sowie das Thüringer VerfG. Ähnliche Vorgänge in NRW, und weiteres erledigt die Sparpolitik, die zu einer „Einstelleritis“ von Verfahren bei den Staatsanwaltschaften führt.
Weite Teile der Medien betreiben eine regelrechte Idenditätspropaganda…Rechtsstaat und Meinungsfreiheit sind auch in den Ländern gefährdet, die sich für liberale Demokratien halten.
Auch Immigration wird instrumentalisiert, verbunden mit versteckten Haltungen gegenüber den „unteren Schichten“, die man auch als faschistoid bezeichnen könnte.
Wie will eine solche Wertegemeinschft glaubwürdig auftreten?
Holly01
4. Oktober 2020 @ 09:50
Ich fürchte das Innere zerfällt nicht. Es wird nur sichtbar und war schon immer, aber zumindest sehr lange so.
vlg
Art Vanderley
5. Oktober 2020 @ 20:03
Immer nicht, auf die Art kann man kein “europäisches Haus” gründen, aber vielleicht so seit 20,25 Jahren. Neoliberale Ära eben, die EU selber ist nicht das Problem, der politische Zeitgeist ist es.