Dieser Gipfel wird nichts bringen – dabei geht es um alles
Die EU-Chefs beraten über den Wiederaufbau nach der Coronakrise, das höchste EU-Gericht kassiert das ungarische NGO-Gesetz – und die EU-Kommission reagiert auf Coronafälle in deutschen Schlachtereien: Die Watchlist EUropa vom 19. Juni 2020.
Mit einer Videokonferenz steigt die EU am Freitag in die Verhandlungen über den Wiederaufbau und das Gemeinschaftsbudget ein. Die Differenzen sind groß, die Erwartungen eher niedrig. Aber was steht eigentlich auf dem Spiel?
Eigentlich alles.
Es geht ums Ganze – das künftige EU-Budget bis 2027, die Bewältigung der Coronakrise und die Glaubwürdigkeit. Die EU sei derzeit besonders verletzlich, räumte Kommissionspräsidentin von der Leyen kürzlich ein, sie sei geschwächt aus der Krise gekommen.
Umso mehr kommt es nun darauf an, daß es nicht wieder zum Eklat kommt – wie beim letzten Budgetgipfel Ende Februar oder beim Streit über „Coronabonds“ im März. Damals stand Merkel noch auf Seiten der „Frugal Four“, mittlerweile hat sie ihre Position geändert.
Die Kanzlerin ist auf Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zugegangen, der bereits zu Beginn der Coronakrise auf finanzielle Solidarität gepocht hatte. Nun muß sie zeigen, dass sie auch ihre ehemaligen Verbündeten aus Nordeuropa ins Boot holen kann.
Das ist nicht nur für Brüssel wichtig, sondern auch für die Bundesregierung in Berlin. Deutschland übernimmt am 1. Juli für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz. Merkel möchte unbedingt verhindern, dass ein Streit ums Geld die deutsche Präsidentschaft überschattet.
Schließlich lautet das Motto „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“. Eine lange Hängepartie beim Wiederaufbau würde die EU jedoch zwangsläufig weiter schwächen.
Wie geht es weiter?
Wahrscheinlich mit einem weiteren EU-Gipfel im Juli. Für eine Einigung sei ein „physisches“ Treffen nötig, heißt es in Brüssel. Eine Videokonferenz wird also nicht genügen – die EU-Chefs müssen auch die Möglichkeit haben, Kompromisse in Vieraugen-Gespräche auszuloten.
Doch wird ein „echter“ Gipfel reichen? Nein, heißt es aus dem französischen Präsidialamt, womöglich seien sogar noch zwei Spitzentreffen nötig.
„Es wird schwierig“, sagte ein Berater von Präsident Emmanuel Macron. „Aber wenn Deutschland durchhält, können wir es schaffen.
Wenn Deutschland durchhält – gibt es daran etwa irgendwelche Zweifel? Dafür haben wir doch Merkel, die sich pünktlich zum deutschen EU-Vorsitz als überzeugte EUropäerin geoutet hat.
Zu Beginn der Coronakrise war sie noch ganz die eiserne deutsche Kanzlerin…
Siehe auch „Merkel und Leyen hatten es nicht eilig“ und „Der Tag, an dem die EU starb“
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Watchlist
Werden die Wirtschaftssanktionen gegen Russland verlängert? Auch darüber sprechen die EU-Chefs bei ihrem Videogipfel am Freitag. Bereits am Donnerstag hatte der Rat die Krim-Sanktionen verlängert. Die EU erkenne „die illegale Annexion der Krim“ durch Russland weiter nicht an und verurteile sie als Verletzung internationalen Rechts, erklärte Brüssel. Nun wollen Kanzlerin Merkel und Präsident Macron darlegen, wie es weiter geht.
Was fehlt
Die neueste Schlappe für die Regierung in Ungarn. Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass ein Gesetz zu Nichtregierungsorganisationen (NGO) gegen das EU-Recht verstoße. NGOs, die größere Spenden aus dem Ausland erhalten, müssen sich bei den ungarischen Behörden registrieren lassen. Das zielt vor allem auf den US-Mäzen G. Soros. Der EuGH sprach jedoch von „diskriminierenden und ungerechtfertigten Beschränkungen“.
Das Letzte
Die Coronafälle in deutschen Schlachtereien könnten europaweite Konsequenzen haben. EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit hat die prekären Arbeitsverhältnisse für temporäre und ausländische Arbeitskräfte kritisiert. Den Arbeitern müssten Schutzausrüstung und Hygieneprodukten bereitgestellt werden, sagte Schmit im Europaparlament. EU-Parlamentarier kritisierten bei der Debatte vor allem die Unterbringung der Arbeiter.
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Claus Hiller
19. Juni 2020 @ 23:14
Nun der Orban schon wieder – und der EuGH macht das, was er am besten zu können scheint: Mit irrlichternder Rechtsprechung für allgemeines Stirnrunzeln zu sorgen, wenn nicht gar das Erscheinungsbild der EU weiter zu demontieren.
Ein „NGO-Gesetz“, das im Laufe der Zeit als Foreign Agents Registration Act (FARA) weiterentwickelt und verschärft wurde, haben die USA bereits 1938 eingeführt. Zuwiderhandlungen dagegen bringen bis zu 5 Jahre Haft und / oder 10.000 Dollar Geldstrafe, da verstehen die Amis keinen Spaß. Ich erinnere mich nicht, dass sich in Brüssel jemand deshalb aufgeregt oder den US-Botschafter zwecks Überreichung einer Protestnote einbestellt hätte. Ganz anders, als Russland vor einigen Jahren mit einem ähnlichen Gesetz nachzog, da allerdings unter erheblichem Bohei der zuständigen Empörungsbeauftragten in Brüssel und Berlin.
Und nun „Schlappe für die Regierung in Ungarn“? Warum sollte ein Regierungschef nicht wissen, welche mit ausländischem Kapital alimentierten politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich oder religiös-missionarisch tätigen, teils obskuren Organisationen im Land tätig sind, was deren (angebliche) Ziele sind und woher welche Menge Geld kommt?
These: Jede Regierung, die diese Dinge nicht im Auge behält, handelt ignorant.
ebo
19. Juni 2020 @ 23:19
Nun ja, das FARA richtete sich zunächst gegen Nazis…