Diese Deals muß von der Leyen honorieren

Die neue Kommissionschefin hat bei ihrer Rede im Europaparlament den Eindruck geweckt, als könne sie Wunder wirken. In Wahrheit darf sie kaum etwas frei entscheiden – die EU-Länder haben ihr eine lange Wunschliste hinterlassen. Außerdem muß sie einige mehr oder weniger heimliche Deals honorieren.

So würde Frankreich gern den nächsten Generalsekretär der Kommission stellen. Der bisherige Amtsinhaber, der umstrittene deutsche Jurist Martin Selmayr, räumt seinen Posten, nachdem ihm von der Leyen bedeutet hatte, in der Führungsetage der EU-Behörde sei nur Platz für eine Deutsche. Präsident Emmanuel Macron lauert seit langem  auf eine Gelegenheit, Selmayr auszuwechseln.    

Italien fordert einen mächtigen Wirtschaftskommissar, Polen und Ungarn hoffen auf Nachsicht bei den laufenden Rechtsstaats-Verfahren. Dänemark und die Niederlande erwarten, dass ihre EU-Kommissare – Margrethe Vestager und Frans Timmermans – zu mächtigen Vizepräsidenten ernannt werden. Und Spanien pocht auf den EU-Beschluss, Josep Borrell zum Außenbeauftragten zu machen. 

Viel „Beinfreiheit“ bleibt von der Leyen also nicht mehr, zumal sie ein weiteres Wahlversprechen des Rates einlösen will: Mindestens die Hälfte ihrer Kommission soll weiblich sein. Bisher haben die Staaten aber kaum Frauen nominiert. Im Zweifel werde sie nicht zögern, mehr Frauen anzufordern, erklärte von der Leyen bei ihrer Bewerbungsrede am Dienstag. Doch zunächst hat sie den Ärger.

Die Besetzung des Teams ist dabei nur eine Aufgabe, die auf die neue Kommissionschefin zukommt. Danach müssen die Kommissarinnen und Kommissare auch noch die Anhörungen im Europaparlament bestehen. Doch was passiert, wenn Länder wie Ungarn oder Italien rechtslastige Politiker nominieren? Was ist, wenn ein Land sich weigert, nicht mehrheitsfähige Bewerber zurückzuziehen?

Dies dürfte der erste Härtetest für die neue EU-Präsidentin werden; er kommt kurz nach der Sommerpause im September. Danach muß sie ihr Arbeitsprogramm vorstellen. Doch wer glaubt, es werde sich an ihrer Rede im Europaparlament orientieren, irrt gewaltig. Denn die Staats- und Regierungschefs haben schon vor der Europawahl eine „Strategische Agenda“ beschlossen – und die geht im Zweifel vor.

Last but not least muß VdL auch noch die großen und kleinen Deals honorieren, die sie für ihre Wahl geschlossen hat – oder die über ihren Kopf hinweg vereinbart wurden. So soll Kanzlerin Merkel der polnischen Regierung in letzter Minute Zusagen gemacht haben, auch Viktor Orban dürfte einen Preis für seine „freundliche Unterstützung“ fordern. Anders gesagt: die neue Kommissionschefin sitzt in der Falle.

Doch sie erweckt den Eindruck, als könne sie Wunder wirken…

Siehe auch „Links blinken, rechts fahren?“