Die Wahl der Chefs

Sieht so die neue EU-Demokratie aus? Nicht das Europaparlament, sondern die Regierungen sondieren, wer der nächste Kommissionschef werden soll. Derweil beraten die Abgeordneten über einen Koalitionsvertrag – doch für welche Koalition?

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Es ist eine illustre Runde, die sich am Freitag zum Abendessen in Brüssel trifft, und sie hat eine heikle Mission: Sechs Regierungschefs aus drei Parteienfamilien sollen ausloten, wer die Topposten in der EU ergattern könnte. Zwei Wochen nach der Europawahl werden sie auch über den künftigen Kommissionschef reden.

Doch die neu gewählten EU-Abgeordneten werden an den Sondierungs-Gesprächen ebenso wenig beteiligt wie die Wahlgewinner von den Grünen. Das Wort führen Konservative (u.a. mit Kroatiens Regierungschef Andrej Plenkovič), Sozialdemokraten (mit Spaniens Pedro Sanchez) und Liberale (mit dem Niederländer Mark Rutte). 

So hat es der EU-Gipfel vor zehn Tagen beschlossen – und damit das Verfahren an sich gerissen. Weil sich Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron nicht auf offener Bühne über den Nachfolger von Jean-Claude Juncker streiten wollten, wurden die sechs „Koordinatoren“ eingesetzt – eine Premiere.

Das neugewählte Europaparlament hat dem wenig entgegen zu setzen. Denn auch hier rangeln die(selben) Parteien um die Macht. Weil sich die Spitzenkandidaten gegenseitig im Weg stehen, hat das Parlament eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die ein Koalitionsprogramm ausarbeiten soll. Hier dürfen die Grünen mitmachen, die EU-kritischen Parteien aber nicht.

Für die EU-Bürger, die sich zahlreicher denn je an der Wahl beteiligt haben, dürfte all das schwer verständlich sein. Schließlich hatte das Europaparlament doch versprochen, die Bürger könnten den nächsten Präsidenten der EU-Kommission selbst wählen – und den Kurs bestimmen. Stattdessen regieren nun erst einmal die Brüsseler Hinterzimmer.

Was bei den Koalitionsverhandlungen und dem Postengeschacher herauskommt, ist selbst für EU-Insider schwer abzusehen. Die sechs Regierungschefs tagen hinter verschlossenen Türen, die Presse ist nicht eingeladen. Auch im Europaparlament weiß niemand bescheid. „Alles Chefsache“, sagen sonst gut informierte Pressesprecher.

Nur einer wagt sich vor: der scheidende deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU). Er sieht gute Chancen, dass ein Deutscher gewinnt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Manfred Weber (CSU) der nächste Kommissionschef werde oder Bundesbankpräsident Jens Weidmann die EZB führe, liege bei 60 Prozent, sagte Oettinger.

Na, dann ist ja alles gut…

Siehe auch “Ist Weber schon abgeschrieben?” und “Wie man die Europawahl richtig bewertet”

Watchlist

  • Bye, bye, Theresa May! Die vermutlich letzte Britin, die noch irgendwie an den EU-Austrittsvertrag glaubt, gibt am Freitag den Parteivorsitz bei den Tories ab. Sie wird bis Ende Juli auch als Regierungschefin ersetzt. Ihr Nachfolger könnte der Hardliner Boris Johnson werden. Der will UK bis Ende Oktober auf jeden Fall aus der EU führen – egal, ob mit oder ohne Abkommen. Brüssel dürfte May schon bald nachtrauern…

Was fehlt

  • Das gesprochene Versprechen bei der Sommerzeit. Kurz vor der Europawahl hatte EU-Kommissionschef Juncker das baldige Ende der Sommerzeit angekündigt. Nun, kurz nach der Europawahl, ist gar kein Ende mehr absehbar. Es brauche noch eine intensive Debatte in den EU-Ländern, sagte die niederländische Infrastrukturministerin Cora van Nieuwenhuizen. “Anschließend sehen wir, wo wir stehen.” Mein Tipp: Nirgendwo.

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