Die vergessenen Übergewinne
Eine Übergewinnsteuer könnte Haushaltslöcher in Deutschland und der EU füllen und Sozialkürzungen unnötig machen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit vorgelegt hat.
Energiefirmen, Internet-Konzerne und Banken hätten von den Krisen der letzten Jahren profitiert, würden aber nicht zur Kasse gebeten. Allein Deutschland hätte 2022 etwa 50 Mrd. Euro zusätzlich einnehmen können, heißt es in der Studie, die die Linke in Auftrag gegeben hat.
In der EU würde eine progressive Übergewinnsteuer jedes Jahr rund 107 Mrd. Euro einbringen – mehr als die Hälfte des EU-Budgets. Zur Begründung verweist Trautvetter auf die exorbitanten Profite der letzten Jahre.
Laut der Studie, die sich auf OECD-Zahlen stützt, haben die 209 größten und profitabelsten Firmen 2022 weltweit Übergewinne im Wert von fast 2 Billionen Euro erzielt. Doch nicht nur diese Zahl ist schockierend.
Microsoft spart 300 Milliarden
Die größten Gewinner betreiben auch die erfolgreichste Steuerflucht. Allein der US-Konzern Microsoft hat in den letzten 20 Jahren etwa 300 Mrd. Euro an Steuern vermieden.
Um diesen Mißstand zu beheben, schlägt Trautvetter eine progressive Steuer von 20 bis 40 Prozent vor. Damit würden die 25 größten Ölunternehmen jedes Jahr etwa 25 Mrd. Euro zahlen, Microsoft 4 Mrd. und LVMH und Philip Morris bis zu 1 Mrd.
„Mit einer Übergewinnsteuer auf die unverdienten Monopolgewinne mächtiger Konzerne ließen sich die Haushaltslöcher leicht stopfen und Armut bekämpfen“, kommentiert Linken-Chef Martin Schirdewan, der als Spitzenkandidat bei der Europawahl im Juni antritt.
Doch bisher spielt dieses Thema im Wahlkampf keine Rolle. Auch die EU hält sich auffällig zurück. Sie hatte 2022 zwar eine Übergewinnsteuer, die etwa 20 Mrd. Euro einbrachte.
Doch nach dem Abflauen der Energiekrise wurde sie nicht verlängert – auch Deutschland wollte nicht mehr. Dabei steckt das größte EU-Land in der Krise, und Berlin braucht dringend Geld…
Dieser Beitrag ist zuerst in unserem Newsletter “Watchlist Europa” erschienen. Mehr Newsletter und Abonnement per Mail hier. Siehe auch Rekordinflation und Übergewinne: Wie EU und EZB versagen
Arthur Dent
20. Mai 2024 @ 17:59
Man wird natürlich genau definieren müssen, was windfall profits sind. Und dann gibt es auch wieder neue Lücken im Gesetz.
Subventionen gibt’s in der EU noch und nöcher. Im Welthandel fällt die EU mehr und mehr zurück. Wer nachhaltig und klimaneutral produzieren will, muss das umständlicher und teurer tun als andere.
Helmut Höft
19. Mai 2024 @ 11:53
Rhetorisch gefragt: Gibt’s auch “Untergewinne” … und dann Subventionen? Das System ist absolut dysfunktional:
– erst Einnahmen (unbegrenzt) ermöglichen: Alle tun mit, einer schöpft ab. Wenn es nicht “die Alle” gäbe hätte “der Eine” nichts zum Abschöpfen. (insofern ist das Abschöpfen schon okay als Beteiligung “der Allen”)
– Pferdefuß: <i>Das Nataritiv der Ungerechtigkeit und des staatlichen Diebstahls (aka Steuer) wird erzeugt!</i> Außerdem entsteht der falsche Eindruck, dass der Staat (allein) durch Steuern finanziert wird. (trifft nur auf die oberste, die Bundesebene zu)
– einzige Möglichkeit: Höchste Einkommen gar nicht erst ermöglichen, Einkommen schon im Ursprung begrenzen.
Wie man das macht? Weiß ich auch nicht … man muss eine ergebnisoffene, transparente Diskussion <i>aber auch</i> in dieser Richtung führen.
Wer noch ein paar Gedanken zur Steuer sucht könnte hier fündig werden: https://www.hhoeft.de/mythos/index.php/2023/08/09/warum-der-mainstream-auf-den-pruefstand-muss-4-b-die-sache-mit-den-steuern-beardsley-ruml/ oder hier: https://www.hhoeft.de/mythos/index.php/2023/09/04/warum-der-mainstream-auf-den-pruefstand-muss-6-b-gute-und-schlechte-steuern-wray/
Unternehmen zahlen keine Steuern, Steuern sind Kosten, Kosten sind Bestandteil der (Preis)Kalkulation. Ergo: Unternehmenssteuern zahlt der Konsument.
Thomas Damrau
19. Mai 2024 @ 07:30
Um die exorbitanten Gewinne von Microsoft & Co. abzustellen, bedarf es keiner Übergewinnsteuer. Man müsste nur die Steuersparmodelle abschaffen, die einige EU-Mitgliedsstaaten den Multis anbieten:
— Such Dir ein EU-Land mit niedrigen Steuersätzen (Irland, Malta, Niederlande, …)
— Gründe eine (Briefkasten-)Firma in diesem Land.
— Lass diese Firma den Niederlassungen in anderen EU-Ländern aberwitzig hohe Rechnungen für Intellectual Property und obskure Dienstleistungen in Rechnung stellen.
— Mache die Rechnungen aus dem Briefkasten-Land in den anderen Ländern als Kosten geltend. Dadurch fallen Gewinne hauptsächlich im Briefkasten-Land an, wo sie nur minimal besteuert werden.
Dadurch ergibt sich eine Win-Win-Lose-Situation:
— Der Multi spart massiv Steuern.
— Das Briefkasten-Land erzielt Steuern, ohne dass der Multi in diesem Land viele Kosten generiert (die Wartung von Briefkästen kostet nicht viel).
— Die anderen EU-Ländern erhalten kaum Steuern vom Multi – bleiben aber auf den (Infrastruktur-) Kosten der eigentlichen Geschäftstätigkeit sitzen.
Das alles ist seit gefühlt 100 Jahren bekannt. Aber die Profiteure dieser Konstruktion haben null Interesse, die Spielregeln zu ändern. Die zuständigen Lobbyisten sorgen dafür, dass das Thema schon seit Jahren aus der öffentlichen Diskussion verschwunden ist. Die Medien sind wie üblich wenig an solch unappetitlichen EU-Aspekten interessiert („Hoch lebe die EU, die sich für die Belange ihrer BürgerInnen einsetzt!“) – und feiern stattdessen die Dynamik des Kapitalismus, der es einem Land wie Irland erlaubte, zeitweise das höchste BIP pro Kopf in der EU auszuweisen.
Krämer, Ralf
19. Mai 2024 @ 10:38
Schon richtig im Prinzip, aber so eine Steuer ist dennoch sinnvoll zu fordern. Es geht bei diesen Großkonzernen mit besonders hohen Renditen auch darum, ökonomische Renten (Monopolprofite) so abzuschöpfen, dass sie in den Ländern ankommen, wo die Kunden durch überhöhte Preise geschröpft wurden, nicht nur im Sitzland des Konzerns, wie es sonst bei höherer Besteuerung der Fall wäre. Das ist besonders relevant bei den profitabelsten und am schnellsten wachsenden Konzernen der Digitalwirtschaft, die US-basiert sind und im Ergebnis gewaltige Einkommensumverteilungen zugunsten der USA und zu Lasten des Rests der Welt (außer China und wenigen anderen Ländern) bewerkstelligen.