Vergessene Übergewinne, Wilders bildet Regierung – und Attentat auf Fico
Die Watchlist EUropa vom 16. Mai 2024 – Heute mit den Profiteuren der Krise, dem Rechtsruck in den Niederlanden und der Saat des Hasses in der Slowakei.
Eine Übergewinnsteuer könnte Haushaltslöcher in Deutschland und der EU füllen und Sozialkürzungen unnötig machen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit vorgelegt hat.
Energiefirmen, Internet-Konzerne und Banken hätten von den Krisen der letzten Jahren profitiert, würden aber nicht zur Kasse gebeten. Allein Deutschland hätte 2022 etwa 50 Mrd. Euro zusätzlich einnehmen können, heißt es in der Studie, die die Linke in Auftrag gegeben hat.
In der EU würde eine progressive Übergewinnsteuer jedes Jahr rund 107 Mrd. Euro einbringen – mehr als die Hälfte des EU-Budgets. Zur Begründung verweist Trautvetter auf die exorbitanten Profite der letzten Jahre.
Laut der Studie, die sich auf OECD-Zahlen stützt, haben die 209 größten und profitabelsten Firmen 2022 weltweit Übergewinne im Wert von fast 2 Billionen Euro erzielt. Doch nicht nur diese Zahl ist schockierend.
Microsoft spart 300 Milliarden
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Die größten Gewinner betreiben auch die erfolgreichste Steuerflucht. Allein der US-Konzern Microsoft hat in den letzten 20 Jahren etwa 300 Mrd. Euro an Steuern vermieden.
Um diesen Misstand zu beheben, schlägt Trautvetter eine progressive Steuer von 20 bis 40 Prozent vor. Damit würden die 25 größten Ölunternehmen jedes Jahr etwa 25 Mrd. Euro zahlen, Microsoft 4 Mrd. und LVMH und Philip Morris bis zu 1 Mrd.
„Mit einer Übergewinnsteuer auf die unverdienten Monopolgewinne mächtiger Konzerne ließen sich die Haushaltslöcher leicht stopfen und Armut bekämpfen“, kommentiert Linken-Chef Martin Schirdewan, der als Spitzenkandidat bei der Europawahl im Juni antritt.
Doch bisher spielt dieses Thema im Wahlkampf keine Rolle. Auch die EU hält sich auffällig zurück. Sie hatte 2022 zwar eine Übergewinnsteuer, die etwa 20 Mrd. Euro einbrachte.
Doch nach dem Abflauen der Energiekrise wurde sie nicht verlängert – auch Deutschland wollte nicht mehr. Dabei steckt das größte EU-Land in der Krise, und Berlin braucht dringend Geld…
Siehe auch Rekordinflation und Übergewinne: Wie EU und EZB versagen
News & Updates
- Wilders bildet rechts”liberale” Regierung. Der niederländische Rechtspopulist Wilders hat sich mit drei Parteien auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Neben Wilders’ Partei für die Freiheit sind auch die rechtsliberale VVD, die Neue Gesellschaftsvertragspartei und die Bauernbewegung an Bord. – Dass die Liberalen den Rechten die Hände reichen, sorgt für Empörung in Brüssel. Allerdings war Ähnliches in Kroatien passiert. Dort lassen sich Konservative mit Nationalisten ein – und von der Leyen gratuliert!
- Brüssel sperrt noch mehr russische Medien. Die Internetseite “Voice of Europe” soll russische Propaganda verbreitet haben. Zur Strafe sperrt Brüssel gleich noch drei andere Medien. Betroffen sind neben “Voice of Europe” die staatliche russische Agentur Ria Nowosti sowie die Zeitungen “Iswestija” und “Rossiskaja Gaseta”. – Mehr im Blog
- Startschuß für neues Ethikgremium. Die EU-Kommission und sieben weitere EU-Institutionen haben die Gründungsvereinbarung für das neue Ethikgremium unterzeichnet. Das achtköpfige Gremium soll dazu beitragen, die Einhaltung gemeinsamer Standards zu überwachen. – Zuvor hatten mehrere Skandale das Europaparlament erschüttert. Sanktionen soll das neue Gremium nicht verhängen – wird es ein zahnloser Tiger?
Das Letzte
Attentat auf Fico. Seit seiner Wahl im Herbst ist er als “Putin-Freund” und “EU-Spalter” verleumdet worden – auch in der deutschen Presse. Weil er keine Waffen an die Ukraine liefern wollte, haben ihn die EU-Sozialdemokraten verstoßen. Nun ist der slowakische Premier Robert Fico zum Opfer eines offenbar politisch motivierten Attentats geworden. Und plötzlich vergießen alle Krokodiltränen und beklagen ein Klima des Hasses. Dabei ist dieser Haß systematisch geschürt worden. Viele von jenen, die nun von einem “Attentat auf die Demokratie” sprechen, wollten den demokratisch gewählten Politiker noch gestern isolieren und mit EU-Sanktionen überziehen. Schließlich sei er ein gefährlicher Linkspopulist, dem man das Handwerk legen muß – oder?
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Kleopatra
16. Mai 2024 @ 08:40
Was ist ein Übergewinn und wodurch unterscheidet er sich von einem anderen Gewinn? Ohne eine saubere Definition kann man alles und nichts behaupten, und man kann ohne Arbeitsdefinition auch jeden beliebigen Betrag von “Übergewinnen” in den Raum stellen. Wie soll das “Profitieren von Krisen” funktionieren? Und mit welchen anderen Organisationen hängt das “Netzwerk Steuergerechtigkeit” zusammen?
ebo
16. Mai 2024 @ 09:04
Steht alles in der Studie, die erst heute früh veröffentlicht wurde. Wir hatten es vorab 🙂
Hier der Link:
https://left.eu/issues/excess-profits-for-a-few-excessive-cuts-for-the-many/
Karl
16. Mai 2024 @ 09:30
Eine brauchbare allgemeine Definition der Übergewinnsteuer (windfall profits tax) steht auch in Wikipedia.
Kleopatra
16. Mai 2024 @ 09:53
Vielen Dank. Dass die Studie in den Kontext der Linksfraktion des Europäischen Parlaments gehört, ist doch eine für die Einordnung sehr wichtige Information, ebenso die Berufung auf eine auf EU-Ebene bereits existierende Steuer für „windfall profits“…
ebo
16. Mai 2024 @ 10:18
Steht gleich im 2. Absatz des Textes 🙂
european
16. Mai 2024 @ 07:53
Uuuhhh, Steuern auf Übergewinne. Was für eine Forderung. 😉 Ganz böse. Ich sehe schon Christian Lindner vor mir, wie er sich schützend vor das Kapital, das scheue Reh, wirft und “Entlastung, Entlastung” ruft. Die Lebensmittelkonzerne gehören übrigens auch zu den Absahnern, zumindest in Deutschland. Es gibt ja nur noch 4. Man ist nahezu konkurrenzlos.
Allein in Deutschland sorgen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung von Großkonzernen für Mindereinnahmen in Höhe von ca. 130 Milliarden Euro pro Jahr. Aber damit sich darüber niemand aufregt, gräbt man irgendeinen Bürgergeldempfänger aus, der das System “missbraucht”, um die Agenda dagegen fortzusetzen. Ganz ähnlich wie seinerzeit den Florida-Rolf. Lenkt auch sehr schön davon ab, dass nicht das Bürgergeld das Problem ist, sondern das zu niedrige Lohnniveau in Deutschland, was unwillkürlich die Kaufkraft senkt. Aber wer braucht schon einen Binnenmarkt. 😉
Karl
16. Mai 2024 @ 10:14
An dem, was Sie sagen, ist etwas dran: die leistungslosen Einkommen bzw. die vom Staat ohne Zutun des Investors generierten Extra-Profite.
Ähnlich lautet die Begründung der Bodenreform durch Hans-Jochen Vogel, SPD-Bundesvorsitzender bis 1991, als in dieser Partei noch Sozialdemokratie drin war, zuvor Oberbürgermeister von München; einst hatte er dort als Mieterberater angefangen: Er schlägt eine Bodenreform vor, weil den völlig unverhältnismäßigen Steigerungen der Mieten und Immobilienpreise, die die Vermieter in allen großstädtischen Gebieten Deutschlands und Europas kassieren, keinerlei Gegenwert gegenüber stehe.
https://www.sozialoekonomie-online.de/archiv/zfsoe-online-archiv-folge-192-200.html?file=files/archiv/archiv%20156-heute/Z-196-197/Hans-Jochen%20Vogel%3A%20Bedarf%20es%20wirklich%20keiner%20Bodenrechtsreform%20-%20Eine%20verdraengte%20Herausforderung.pdf