Die Unvollendete
Was bedeutet die Juncker-Wahl? Handelt es sich um einen “Coup des Europaparlaments”, wie die “Süddeutsche” kritisiert? Oder um eine glorreiche “demokratische Revolution”, wie die Föderalisten jubeln? Die EU-Chefs sind sich selbst nicht sicher – sie planen schon ihre Revanche.
Man werde noch einmal über das Verfahren zur Nominierung des Kommissionschefs reden, sagte Kanzlerin Merkel nach dem EU-Gipfel, der Juncker nominiert und den britischen Premier Cameron brüskiert hatte.
Es müsse geklärt werden, wie mit Parteien umzugehen sei, die per se nie eine Mehrheit bei der Europawahl erreichen (und daher auch keinen siegreichen Spitzenkandidaten stellen) können.
Offenbar meint Merkel damit die britischen Tories, die sich von der konservativen EVP-Fraktion abgespalten haben. Warum bilden beide nicht einfach eine Koalition – dann ist das Problem gelöst 🙂
Leider hat das neue demokratischere Nominierungs-Verfahren aber noch ein paar andere Haken, die mich zweifeln lassen. Wenn überhaupt, würde ich daher von einer unvollendeten Revolution sprechen.
Erstens fehlen europaweite Wahllisten. In Brüssel konnte niemand den Spitzenkandidaten Juncker wählen, in London schon gar nicht. Ohne EU-weite Listen bleibt die Entscheidung aber im Kern national.
Zweitens fehlen Koalitionsaussagen vor der Wahl. Diesmal durfte man zwar erstmals Spitzenkandidaten unterstützen – doch dass sie am Ende eine ganz große Koalition bilden würden, blieb im Dunkeln.
Drittens fehlt immer noch, was man so schön “europäische Öffentlichkeit” nennt. Wahlsieger Juncker ist seit Wochen auf Tauchstation, er kommuniziert nicht und durfte nicht einmal beim EU-Gipfel reden.
Viertens ist es ein Unding, dass die EU-Chefs Juncker ein Arbeitsprogramm vorschreiben – und nicht das neu gewählte Europaparlament. Das wäre so, als würde der Bundesrat dem Kanzler seine Agenda diktieren!
Last not least fehlt das Bekenntnis des Rates zum neuen, demokratischeren Verfahren. Cameron will sich damit offenbar nicht abfinden, er plant ein Rollback. Wird ihm Merkel erneut helfen?
Johannes
30. Juni 2014 @ 14:15
Ein Pole ist im EU-Parlement mehr wert als ein Deutscher, ein Engländer ist mehr wert als ein Deutscher wenn es um die Stimmen im Parlament geht.
Das EU-Parlament wird NIE demokratisch sein. In einer Demokratie sind ALLE Menschen gleich, wir Deutschen sind leider nicht gleich mit den anderen wenn es um das Stimmengewicht nach Anteilen geht!
Außerdem: Das EU-Parlament hat Juncker gewählt, mehr Banken- und Steuerparadiesfreundlichkeit geht nicht. Brüssel hat seine hässliche Fratze endlich gezeigt.
JUNCKER IS NOT MY PRESIDENT
winston
30. Juni 2014 @ 09:06
Es gibt noch eine zweite Möglichkeit, Deutschland erhöht die Löhne um 30% und passt sie an Ihrer Produktivität an. Dies halte ich allerdings für ausgeschlossen.
Erstens ist es für das Deutsche Fussvolk wichtiger den Status des Exportweltmeisters inne zu haben als 30% mehr Lohn, zweitens würde der Arbeitgeberverband Sturm laufen und zwar gewaltig.
Tim
30. Juni 2014 @ 14:51
Und drittens würde es Frankreich nicht viel bringen.
winston
30. Juni 2014 @ 08:46
Die Europäischen Eliten können nicht zugeben das der Euro gescheitert ist und werden Europa ins Chaos stürzen.
Schon lustig wie man jetzt auf Frankreich einschlägt, Frankreich das einzige Land das sich strikt an die Inflationsziele gehalten hat und die Löhne der Inflation angepasst hat.
Also jetzt hat Holland zwei Möglichkeiten, entweder er tritt aus dem Euro aus, dann wertet der Franc sofort 30% ab oder er kürzt die Löhne um 30%.
Natürlich wird Holland die zweite Option wählen, sein grosses Vorbild ist ja Peter Hartz, wünsche Holland gutes gelingen.
Wie vermutet stellt sich auch Tsirpas hinter Juncker, Juncker steht wie kein anderer für den Status Quo. Das Europaparlament besteht von links aussen bis rechts aussen aus einem einzigen Block, die Partei des Euro, so was ist eigentlich nur in Diktaturen üblich.
Und einmal mehr sind die Engländer die ersten die begriffen haben, das der Fisch langsam anfängt zu stinken in Europa.
Michael
29. Juni 2014 @ 23:02
Dass das Europaparlament seit langem faktisch kontinuierlich mit einer informellen Großen Koalition arbeitet, kann man in der einschlägigen Literatur wohl überall nachlesen. Ein Grund liegt darin, dass das EP nur dann seinen Standpunkt in einem Rechtsakt verbindlich geltend machen kann, wenn es für eine Meinungsäußerung mindestens die Hälfte seiner Mitglieder zusammenbekommt.
Freilich: Wenn man öffentlich zugeben würde, dass vor wie nach den Wahlen eine Große Koalition herrschen wird – wer würde dann noch wählen gehen?
niklgramm
29. Juni 2014 @ 22:41
Sie schreiben ,”dass sie [die Fraktionen im Europäischen Parlament] am Ende eine ganz große Koalition bilden würden, blieb im Dunkeln”… Also nee, jeder, der sich ein ganz klein wenig mit der Brüsseler EU-Politik beschäftigt, weiß, dass es dort fast immer eine ganz ganz große Koalition aus neoliberalen Ex-Sozialdemokraten und neoliberalen Ex-Christdemokraten und neoliberalen Ex-Liberalen gibt, die meist auch noch von neoliberalen Ex-Grünen unterstützt wird. Freilich tun die Ex-Sozialdemokraten (oder sollte man sagen: die Ex-Ex-Sozialisten?) und ihre grünen Kollegen gelegentlich so, als wären sie nicht ganz so neoliberal, aber das ist doch einfach allzu durchsichtiges und schlecht gespieltes Martin-Schulz-Theater!
luciérnaga rebelde
29. Juni 2014 @ 15:42
Ich möchte immerhin zur Diskussion beitragen mit:
Gladio-Luxembourg: Juncker zum Abtritt gezwungen (http://www.voltairenet.org/article179427.html)
Daraus ginge hervor dass Herr Juncker der Mann der NATO, sprich Amis, ist…