Die unselige Europapolitik der Merkel-CDU
Ab Freitag entscheiden 1.001 Delegierte über die neue Führung der CDU. Die Wahl ist nicht nur für Deutschland wichtig, sondern für ganz Europa. Schließlich gibt die CDU (und ihre Kanzlerin) in der EU den Ton an. Zuletzt waren die deutschen Christdemokraten auf keinem guten Kurs.
Die CDU, das war einmal „die“ Europapartei. Unter Adenauer und Kohl hatte sie eine Vision von Europa, die auch andere christdemokratische Parteien in der EU teilen konnten. Das ist längst vorbei. Heute wollen die deutschen Christdemokraten der Europastadt Straßburg den Rücken kehren.
Als deutsch-französische Vision fällt ihnen bestenfalls ein gemeinsamer Flugzeugträger ein (so Noch-Parteichefin AKK).
In der konservativen Parteienfamilie EVP haben CDU/CSU den Rauswurf von Fidesz verhindert, der rechtspopulistischen Partei von Regierungschef Orban. Auch Kanzlerin Merkel hatte ihre Finger im Spiel.
Ein weiteres prominentes CDU-Mitglied, EU-Kommissionschefin von der Leyen, machte Wahlwerbung für die kroatische Regierungspartei HDZ. Gegen die Abschottung Kroatiens und die Push-Backs von Flüchtlingen an der Grenze unternahm sie nichts.
Merkwürdig stumm sind die deutschen Christdemokraten auch, wenn es um ihre Parteifreunde aus Slowenien geht. Als überzeugte Europäer hätten sie protestieren müssen, als Premier Jansa bei der US-Wahl Trump zum Sieger erklärte.
Aus der CDU-Gruppe im Europaparlament kamen auch entsprechende Kommentare. Aus der Berliner Parteizentrale (oder dem Kanzleramt) kam nichts.
All das zeigt, dass der CDU der europapolitische Kompass abhanden gekommen ist. Früher war sie ein europafreundlicher Kanzlerwahlverein. Heute ist sie nur noch ein Kanzler(innen)wahlverein.
Merkel, die die „intergouvernementale“ Zusammenarbeit der Regierungen bevorzugt, hat nie eine europapolitische Vision entwickelt – jedenfalls keine, die mehr Integration und Demokratie verheißt. In ihrem letzten Ratsvorsitz hat sie das Funktionieren der EU gesichert – mehr nicht.
Die spannende Frage ist nun, ob sich das mit Laschet, Röttgen oder Merz endlich ändert. Von Laschet ist immerhin anzunehmen, dass er „Europa kann“. Er war Europaabgeordneter und pflegt einen engen Draht zu Frankreich.
Bei Röttgen steht jedoch Amerika vorn, zur EU fällt ihm (bisher) nicht viel ein. Und Merz hat die Europapolitik bisher eigentlich nur genutzt, um sich von Merkel abzusetzen…
Siehe auch „Merz rechnet mit Merkels Europapolitik ab“ und „Laschet rechnet mit Merkels Europapolitik ab„. Alles zu Röttgen hier
P.S. Jetzt habe ich doch glatt Bulgarien vergessen. Das Land, in dem die Menschen wochenlang gegen die korrupte Regierung protestierten (fast wie in Belarus), wird natürlich auch von Merkel und CDU/CSU gestützt. Viele Hintergründe dazu finden sich hier (externer Link)
Kleopatra
15. Januar 2021 @ 11:29
Ich erinnere daran, dass seit langem die Standardbegründung der deutschen Regierungsparteien, wenn es um die Frage geht, warum etwas im Rahmen der EU geregelt wird, lautet: es sei „im deutschen Interesse“. Also etwas überzeugenderes als das eigene nationale Interesse fällt ihnen nicht ein. (Kurioserweise sind sie aber empört, wenn andere Mitgliedstaaten _ihre_ nationalen Interessen verfolgen, das gilt ihnen dann als hochgradig unmoralisch …)
Dass die EU für die deutsche Politik weitestgehend nur Mittel zum Zweck ist und wenig darüber hinausgehendes Interesse besteht, liegt also ziemlich offen zutage. Der Handelspartner, für den Deutschland sich am meisten interessiert, ist ja auch kein europäisches Land, sondern China, und um denen Autos zu konkurrenzfähigen Preisen verkaufen zu können, kann die deutsche Industrie auf Werke in Ungarn nicht verzichten und kann auch keine Kritik an der Behandlung der Uiguren brauchen. Was die kroatische Grenze betrifft, so dürfte fast jeder Politiker jedes EU-Landes froh sein, dass die Migranten zurückgeknüppelt werden, ohne dass er dafür direkt verantwortlich ist; die kroatische Regierung wird ja auch von Merkel gestützt, warum sollte ihre Kreatur vdL da eine andere Linie vertreten?
ebo
15. Januar 2021 @ 11:37
It’s the economy, stupid 🙂
Dennoch erwarte ich gerade von der CDU, dass sie europapolitisch weiter denkt. Für die Wertschöpfungskettten haben wir ja FDP und SPD…
Burkhart Braunbehrens
15. Januar 2021 @ 11:12
Und wenn die GRÜNEN ohne ein sehr deutliches Europa-Profil, das sie auch zur Bedingung einer möglichen Koalition machen, dann gehen sie mit drauf. Und wenn dann in Frankreich LePen zulegt, weil Merkel alle europäischen Vorschläge nur abgekanzelt hat, dann stehen wir bald nackt und allein im gnadenlosen Prozess der Globalisierung.
ebo
15. Januar 2021 @ 11:23
Ja, die Zeit zwischen der Bundestagswahl im Herbst und der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022 könnte spannend werden…
european
14. Januar 2021 @ 18:06
Als wäre das alles nicht genug, befindet sich die CDU aktuell im Umfragehoch wie nie zuvor. Wie ist sowas möglich, insbesondere nach der Bilanz:
https://www.zeit.de/2021/02/cdu-partei-identitaet-kanzlerkandidaten-politische-mitte/komplettansicht
„Die CDU hat auch kein Problem damit, dass andere üblicherweise schneller sind als sie. Im Gegenteil, diese Chuzpe-Partei konnte politische Ideen von SPD oder Grünen oft jahrelang als radikal und ruinös brandmarken, um sie dann kalt lächelnd zu übernehmen und im Handumdrehen als eigenen Erfolg zu vermarkten, wie beim Mindestlohn oder beim Ausstieg aus der Atomkraft. Man muss das verstehen: Die Union kann nicht zu spät kommen, nur die anderen zu früh; Konservatismus ist keine Ideologie, Konservatismus ist später.“
Und dann kommt auch noch ein Merz aus der Deckung, ein 65-jähriger, der von sich behauptet, für Aufbruch zu stehen, der vor fast 14 alles hingeworfen hat, ein Lobbyist ohne Mandat ohne Verantwortung und so wie es aussieht, wird die CDU-Basis ihn wohl zum Vorsitzenden wählen. Ein Sonntagselter, bei dem man von Kino bis Eis alles erlaubt bekommt, der herzliche Sonntagsgrüße aus dem verschneiten Sauerland verschickt, während das Alltagselter Grenzen setzt, Einschränkungen verhängt, Verbote erteilt, Hausaufgaben kontrolliert, Verantwortung übernimmt und dafür Kritik einsteckt und verbale Prügel bezieht.
Schwarz ist nicht meine Farbe, aber ich verstehe weder die CDU – Basis noch die Vertreter der Jungen Union, die auch hinter Merz stehen.
ebo
14. Januar 2021 @ 18:11
Das Umfragehoch für die CDU ist mir auch ein Rätsel. Liegt vielleicht an der Berichterstattung? Merkel, Merkel, Merkel – und manchmal ein bißchen Spahn…