Die Stunde der Wahrheit, neuer Job für Stracki – und Fußfessel für Sarkozy
Die Watchlist EUropa vom 19. Dezember 2024 – Heute mit News und Analysen zum ersten EU-Gipfel unter neuer Führung, zur Verteidigungspolitik und zur Justiz in Frankreich
Ein denkwürdiges Jubiläum: Die Staats- und Regierungschefs der EU feiern heute (19. Dezember) den 50. “Geburtstag” ihrer Gipfeltreffen, die im Fachjargon “Europäischer Rat” oder auch EUCO (für European Council) genannt werden.
Doch rechte Feierlaune dürfte beim ersten EU-Gipfel unter neuer Führung – mit dem Portugiesen Antonio Costa als Gastgeber – nicht aufkommen. Denn für die EU und die Ukraine schlägt die Stunde der Wahrheit.
Die Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand. Russland ist in der Offensive. Den Donbass und die Krim wird man militärisch nicht zurückerobern können, räumte Präsident Selenskyj gerade ein. Die Moral ist im Keller.
EUropa kann’s nicht
___STEADY_PAYWALL___
Die EU wird die Ukraine nicht retten können. Selbst große Länder wie Deutschland, Frankreich oder Polen sind bei der Waffen- und Finanzhilfe an ihre Grenzen gekommen. Brüssel hat nicht ‘mal eine Armee.
Die naheliegende Schlussfolgerung: Die eigene Niederlage eingestehen, der Ukraine reinen Wein einschenken und eine gesichtswahrende Verhandlungslösung suchen – unter europäisch-ukrainischer Leitung.
Doch der Gipfelentwurf enthält nichts davon. Im Gegenteil: Die EU gelobt, noch mehr zu tun. Die längst überholte “Friedensformel” der Ukraine wird aus der Schublade geholt, von Verhandlungen ist keine Rede.
Nicht einmal der künftige US-Präsident Trump und seine Pläne für eine “Friedenslösung” haben Eingang in den Entwurf gefunden. Die EU-Chefs haben wohl immer noch nicht erkannt, was die Stunde schlägt…
News & Updates
- Neuer Job für Strack-Zimmermann. Nach einem sog. Verteidigungs-Kommissar bekommt die EU nun auch noch einen parlamentarischen Verteidigungs-Ausschuss. Dies hat das Europaparlament am Mittwoch in Straßburg beschlossen. Geführt wird der Ausschuss, der am 20. Januar seine Arbeit aufnehmen soll, wie erwartet von der deutschen FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie wird allerdings nicht so mächtig sein wie zuvor im Bundestag. – Weiterlesen auf taz.de
- Surabischwili fordert EU-Intervention. Die scheidende Staatspräsidentin Georgiens hat die EU zu einem Eingriff in die inneren Angelegenheiten des Landes aufgefordert. Brüssel müsse handeln, um die Demokratie zu retten. Leider hat Surabischwili selbst ein Demokratie-Problem – ihr Mandat endet in wenigen Tagen… – Mehr im Blog
- Rechnungshof kritisiert EU-Kommission. Der Rechnungshof beklagt die langsame Durchsetzung von EU-Recht. „Die Kommission hat zwar ihre Methoden zur Aufdeckung und Korrektur von Verstößen gegen das EU-Recht verbessert, es dauert mitunter aber immer noch Jahre, bis diese Verstöße behoben sind“, heißt es in einem neuen Bericht. – Bürokratie schlägt Recht…
Das Letzte
Fußfessel für Sarkozy. Was für eine Schmach: Der frühere französische Staatschef Nicolas Sarkozy muss eine Fußfessel tragen. Der 69-Jährige Neogaullist war zuvor von einem Pariser Gericht wegen Korruption und Machtmissbrauchs rechtskräftig verurteilt worden. Nun will er vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof weiterziehen, was freilich keine aufschiebende Wirkung hat. In der EU war er für seine harte Haltung in der Euokrise und seinen Schmusekurs gegenüber dem früheren libyschen Präsidenten Ghaddafi bekannt. Ghaddifi soll sogar Sarkozys Wahlkampf bezahlt haben – deswegen wartet noch ein weiterer Prozess auf ihn…
Mehr Newsletter hier
Stef
19. Dezember 2024 @ 09:34
@ Guido B: Russenhasser scheint mir ein zunehmend wichtiges Stichwort und ein weit verbreitetes Phänomen hierzulande zu sein.
Der Anteil der Bevölkerung in Deutschland, der a priori vollkommen unwillig zu sein scheint, auch nur für einen Augenblick die Perspektive der Russen einzunehmen, um zu prüfen, ob es da nicht auch Legitimität geben könnte, ist größer, als ich bisher geahnt habe. Charakteristisch ist dabei, dass jeder Anspruch auf gleiche Maßstäbe und Verständigung durch Zuhören und Dialog entweder verneint, oder zu einer Formalität herabgestuft wird. Nach folgender auch hier in den Kommentaren hin und wieder geäußerten Logik:
Zuerst wird behauptet, die russische Regierung verfolge imperiale Ziele und wolle Land und Macht in Europa mittels kriegerischer Eroberung. Jeder Hinweis auf die gegenteiligen Positionierungen der wichtigsten Regierungsvertreter führen zu dem Vorwurf, die Russen sagen zwar womöglich das Eine, meinen aber immer das Andere. Und zwar das Schlimmste, was wir ihnen schon immer unterstellt haben. Damit findet ein Zuhören nicht statt und ein Dialog wird a priori ad absurdum geführt. Wie auf dieser hier bei uns im Westen und in Deutschland verbreiteten Grundhaltung jemals Frieden einziehen kann, ist mir schleierhaft. Diesen extrem Bias kann man den Russen jedenfalls nicht anlasten. Wer sich ein Bild davon machen will, unterhalte sich mal in der Breite über die Interviews von Tucker Carlson mit Putin und Lawrow.
Erstaunlich daran ist, dass ich so eine verbreitete, extreme und hermetische Ablehnung der anderen Seite eher in Russland als in Deutschland erwarten würde, angesichts der epochalen Verbrechen des Deutschen Reichs und der Wehrmacht im WW2 gegenüber den Menschen in der Sowjetunion. Offen gestanden weiß ich aber nicht, wie die Stimmung dort ist. Nochmals offen gestanden halte ich die inner-russische Perspektive aber auch für nebensächlich für die inner-deutsche Politik. Meine Überzeugung ist, dass es Frieden immer nur dann geben kann, wenn alle Seiten bereit sind, die totalitären Kräfte der jeweils eigenen Seite selbst zurück zu drängen. Wenn nur eine Seite dies nicht erfolgreich schafft, bleibt der Krieg, selbst wenn die Waffen zeitweise schweigen.
Meine Wahrnehmung ist, dass nicht nur eine Verständigung mit Russland auf dieser Basis unmöglich ist, sondern auch eine interne deutsche Verständigung zwischen Anhängern einer derart kategorischen Ablehnung und solchen, die den Weg einer Verständigung gehen wollen. Diese Art von russenfeindlichem Totalitarismus ist scheinbar in vielen Biografien insbesondere westdeutscher Mitbürger und osteuropäischer Einwanderer tief verankert.
Willy Brandt hat mit seiner Ostpolitik seinerzeit zwar eine starre Haltung aufgebrochen. Wir sind jetzt offensichtlich mit dem bisher massivsten Backlash konfrontiert. Perfiderweise aus Teilen der SPD auch noch missbräuchlich im Namen Willy Brandts, was dessen Erbe Hohn spricht.
Bevor wir von Frieden in hierzulande auch nur träumen können, werden wir diesen innerdeutschen politischen Konflikt führen müssen (sowie den parallelen innereuropäischen Konflikt). Sonst wird der Brunnen zu jedem beliebigen Zeitpunkt wieder wirksam vergiftet.
Guido B.
19. Dezember 2024 @ 07:12
Die Militarisierung der EU geht weiter. Stracki verpasst keine Gelegenheit, die Öffentlichkeit vor einem Angriff der Russen auf die Nato zu warnen. Gleichzeitig unternimmt sie alles, um Russland dazu zu provozieren. Sie steht für eine Politik, die Krieg als einziges Ziel hat. Sie verbreitet in der friedlichen Bevölkerung Angst und Schrecken. Sie handelt wie alle Russenhasser*innen im höchsten Maß fahrlässig und verantwortungslos. Sie fabuliert von einer Bedrohung, ohne Fakten zu liefern. Gibt es kein Gesetz gegen die böswillige Zersetzung der öffentlichen Ordnung, z.B. gegen Unruhestiftung oder die Erregung öffentlichen Ärgernisses? Diese Frau ruiniert den Frieden in Europa. Sie ist unerträglich.
Guido B.
19. Dezember 2024 @ 10:17
Ihre Analyse trifft ins Schwarze.
Im antikommunistischen Westen gibt es traditionell Ressentiments gegen die „kommunistischen“ Russen – ein Erbe aus dem 20. Jahrhundert. In Osteuropa gibt es dazu einen besonders ausgeprägten Russenhass, der sich mit der Aufnahme dieser Länder in die EU auch in Westeuropa verbreitet hat. Viele träumen davon, Russland zu verzwergen und zu „dekolonisieren“. Selenskis Rhetorik, eine einzige endlose Hasskampagne gegen die Russen, reflektiert und dominiert das politische Klima in Europa. Ich spekuliere: Russland könnte seine Truppen aus der Ukraine abziehen, Reue zeigen, seine Waffen verschrotten und Schokolade in alle Haushalte Europas verteilen – es würde nichts ändern am kollektiven Russenhass. Der Westen würde nicht verzeihen, sondern Rache nehmen und Russland von der Landkarte tilgen. Der Russenhass ist eine Mischung aus Hysterie, Rassismus und Paranoia.
Russland schätzt die Lage inzwischen richtig ein. Die Beziehungen zu Europa sind irreparabel beschädigt. Russland wird nur noch militärisch agieren, bis es zufrieden ist mit dem Ergebnis. Das heisst, bis es sich vor der Nato einigermaßen sicher fühlt. Wer jetzt noch die Illusion hat, man könne Russland militärisch besiegen und zu Verhandlungen zwingen, macht sich lächerlich.
Europa wird für seinen Russenhass einen hohen Preis bezahlen. Die Verantwortung dafür tragen alle, die einen respektvollen Dialog mit Russland abgelehnt und dessen Sicherheitsinteressen ignoriert haben. Jeder, der am Feindbild Russland mitgearbeitet hat, trägt eine Mitschuld, wenn sich der Krieg in der Ukraine auf Europa ausweitet. Und das wird er, wenn der Westen die Niederlage der Ukraine nicht anerkennt.
Was für ein kolossales Versagen der Politik!
w.nissing
19. Dezember 2024 @ 17:51
volle Zustimmung, es ist aber NICHT nur die Politik, es ist auch die Zivilgesellschaft und hier besonders die Jugend was mich als 60+ besonders erschüttert. In der Vergangenheit gingen ja gesellschaftliche Impulse gegen das Herrschende immer auch sehr stark von der „Jugend“ aus heute???
Ich will ja nicht das Klimathema als nebensächlich abtun, aber die völlige Verkennung von Kapitalismus/Militarismus zummindest als die akuteste Bedrohung für die Menschheit macht mich ratlos.