„Die soziale Spaltung ist größer geworden“

Bisher setzte die EU vor allem auf „negative Integration“ – also Grenzöffnung, Marktöffnung und andere „Liberalisierungen“. Das Soziale kam zu kurz. Jean-Claude Juncker wollte das ändern. Doch was hat er erreicht? – Ein Interview mit der grünen Europaabgeordneten Terry Reintke.

Mehr Wachstum, mehr Jobs, mehr Soziales – so preist Jean-Claude Juncker die Bilanz seiner EU-Kommission an. Doch bei vielen Menschen ist der Aufschwung nicht angekommen. Wie sozial ist die EU wirklich?

Terry Reintke: Juncker hat ein „social triple A“ versprochen – also das beste Rating nicht nur für die Finanz-, sondern auch für die Sozialpolitik. Doch damit ist er grandios gescheitert. Die soziale Spaltung ist größer geworden und hat eine solche Sprengkraft entwickelt, dass es sogar die EU zerstören könnte. Vor allem die Rechten spielen mit den Abstiegsängsten der Menschen. Das könnte sich bei der Europawahl noch bitter rächen.

Was hat Juncker versäumt, was muß die nächste EU-Kommission anpacken?

Die Juncker-Kommission hat nur dann gehandelt, wenn es wirklich nicht mehr anders ging und sie unter Druck geriet, wie bei der Entsenderichtlinie. Doch sie hat wichtige Probleme verschlafen, zum Beispiel die wachsende Armut. Mittlerweile ist schon jeder fünfte Europäer armutsgefährdet. Ich erwarte daher von der neuen EU-Kommission, dass sie schnell handelt und den Entwurf für eine Mindesteinkommensrichtlinie vorlegt. Damit könnten wir eine Grundsicherung in allen EU-Staaten schaffen.

Ist das dasselbe wie der europäische Mindestlohn, den die Sozialdemokraten fordern?

Nein, das Mindesteinkommen geht darüber hinaus. Aber beides könnte Teil eines Sozialpakets sein. Dazu gehört auch, bessere Standards für Arbeitsbedingungen zu setzen. Bisher haben wir bei Löhnen und Arbeitsbedingungen einen Wettlauf nach unten erlebt – auch in Deutschland, das mit Litauen den größten Niedriglohnsektor der EU hat. Wir brauchen endlich wieder eine Spirale nach oben, damit das europäische Wohlstandsversprechen eingelöst wird!

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Foto: Cornelius-Gollhardt