Die bitterste Fehleinschätzung, die höchste Eisenbahn – und der größte Frust

Die Watchlist EUropa vom 02. September 2021 –

Erst tagten die Innenminister, nun folgen die Außen- und Verteidigungsminister: An Gelegenheit fehlt es nicht, das Debakel in Afghanistan aufzuarbeiten und Konsequenzen für die Europapolitik zu ziehen.

Auch an Vorschlägen herrscht kein Mangel. Sie reichen von Hilfskontingenten für afghanische Flüchtlinge (Luxemburgs Außenminister Asselborn) bis hin zu einer schnellen Eingreiftruppe (EU-Kommissar Breton).

Dennoch zeichnet sich nach dem chaotischen Abzug der westlichen Truppen und der Machtübernahme der Taliban kein echtes Umdenken ab. Denn die meisten EU-Staaten sind nicht bereit, ihre Politik zu ändern.

Vor allem die Osteuropäer, aber auch das größte EU-Mitglied – Deutschland – wollen ihre “Sicherheit” weiter den USA und der Nato anvertrauen. Sich von US-Präsident Biden zu distanzieren, kommt ihnen nicht in den Sinn.

Nur der EU-Außenbeauftragte Borell hat es gewagt, Bidens unilateralen Rückzug und seine wolkigen Rechtfertigungen infrage zu stellen. Von Kommissionschefin von der Leyen und Außenminister Maas kommt kein kritisches Wort.

Dies ist nicht erstaunlich. Denn sonst müssten sie ja ihren größten Fehler einräumen. Der größte Irrtum war nicht etwa, auf die afghanische Regierung zu setzen, den westlichen Geheimdiensten zu vertrauen oder die Taliban zu unterschätzen.

“Biden hat die Nato kaputt gemacht”

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Nein – die größte Fehleinschätzung war es, Biden für einen guten und verlässlichen Freund und Partner zu halten, der gemeinsam mit EUropa die westlichen Werte hochhält und eine regelbasierte liberale Ordnung aufbaut.

Biden hat es selbst gesagt: Er hält nichts davon, anderen Staaten die westlichen Werte überzustülpen. Er kümmert sich nicht um die Regeln der internationalen Gemeinschaft, wenn es gilt, seine “Boys” heimzuholen.

Er nimmt auch keine Rücksicht auf die Nato oder die EU. Als der amerikanische Rückzug aus Kabul begann, haben die US-Truppen die “grüne Zone” geräumt, ohne ihre Alliierten oder Freunde auch nur vorzuwarnen.

“How Biden broke Nato” überschreibt das “Wall Street Journal” einen Bericht über den chaotischen amerikanischen Abgang. Es war Biden, der die Nato blamierte und “kaputt” machte – nicht sein Amtsvorgänger Trump.

Es geht nicht nur um die Außenpolitik

Auch in anderen Politikfeldern haben die EUropäer Biden falsch eingeschätzt. Beispiel Handel: Er hält an den US-Strafzöllen auf europäischen Stahl und Aluminium fest – die WTO-Regeln interessieren ihn nicht.

Beispiel Corona: Biden denkt nicht daran, den Reisebann für EUropäer aufzuheben. Er bricht mit dem Prinzip der “Reziprozität” und führt die EU auch noch bei den Corona-Patenten vor, dessen Freigabe er fordert.

Beispiel Steuerpolitik: Biden macht Druck, damit die EU keine Digitalsteuer einführt. Dies sei der Preis für eine globale Mindeststeuer, heißt es in Washington. In Wahrheit schützt Biden damit Amazon, Google & Co.

Doch über all das werden die Außen- und Verteidigungsminister nicht reden. Sie werden sich um Schadensbegrenzung bemühen und danach weitermachen, wie bisher – als getreue Freunde und Partner der USA.

Oder?

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Watchlist

Wie kommt mehr Verkehr auf die Schiene? Dies will der der “Connecting Europe Express” zeigen, der in Lissabon eine 36-tägige Reise durch die gesamte EU startet. Die letzte Etappe Paris soll der Zug am 7. Oktober erreichen. Die EU-Kommission will mit dieser Initiative zur Stärkung der Bahn als “nachhaltiges, innovatives und sicheres” Verkehrsmittel beitragen. Dummerweise stellt sie selbst nicht genug EU-Mittel für den Ausbau der Schiene bereit. Dabei wäre es höchste Eisenbahn…

Was fehlt

Der Frust der Deutschen. Die fühlen sich durch die Corona-Beschränkungen besonders in ihrer Freiheit eingeschränkt, wie eine Studie ergab. Nur elf Prozent der Befragten fühlten sich in der Gestaltung ihres Alltags “frei”. 35 Prozent fühlten sich “teilweise frei”, 49 Prozent fühlten sich “nicht frei”. Damit sahen sich die Deutschen so sehr von der Coronakrise in ihrer Freiheit eingeschränkt wie in keinem anderen der zwölf untersuchten EU-Länder.- Mehr hier