Die Neuvermessung der EU
Wie verändert der Brexit die EU? Geografisch scheint die Sache klar: Der Mittelpunkt der Union verlagert sich gen Osten – nach Gadheim in Franken. Aber wie sieht es politisch aus? Bleibt Berlin das Zentrum!?
Für die Bundesregierung ist das keine Frage. Gerade erst hat Bundespräsident Steinmeier die EU in seiner Antrittsrede in Straßburg vehement verteidigt – und die Brexiteers „unverantwortlich“ genannt.
Auch deutsche Experten wie H. Münkler haben keine Zweifel: Die „Macht in der Mitte“ wird durch den Brexit nicht erschüttert. Dass der Austritt eine Folge deutscher Politik sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn.
Ganz anders sieht das bei unseren Nachbarn aus. Sie (ver-)zweifeln immer offener an Deutschland und der deutschen Europapolitik. Und sie erwarten, dass die Karten neu gemischt werden.
„Abgrundtief unnatürlich“
„Was so natürlich ist für Deutschland, ist abgrundtief unnatürlich für uns“, zitiert die „FAZ“ einen nicht näher bezeichneten prominenten Briten auf der Königswinter-Konferenz zum Thema Brexit.
Auch aus Frankreich kommt Kritik. Im Präsidentschafts-Wahlkampf sind alle Kandidaten – bis auf einen – für ein Ende des „deutschen Europa“; die Linke fordert sogar einen „Plan B“.
Deutschland sei „so stark, aber auch so einsam“, heißt es in einer aktuellen Analyse. Die Regierung in Berlin habe es sich nicht nur mit Paris, sondern auch mit Washington und Osteuropa verscherzt.
Frankreichs Gewicht wächst
Fest steht, dass das relative Gewicht Deutschlands in der Rest-EU der 27 zunimmt. Gleichzeitig fällt aber – mit Großbritannien – der wichtigste Partner weg. Und auch Frankreichs relatives Gewicht wächst.
Außerdem koppelt sich Osteuropa zusehends vom Westen ab; nach Ungarn sagt sich nun auch Polen von Brüssel los. Berlin fällt es zunehmend schwer, zwischen West und Ost zu vermitteln.
Zwar behauptet Kanzlerin Merkel, sie werde den Laden schon irgendwie zusammenhalten. Wenn nicht alles täuscht, soll das sogar ein zentrales Argument im Bundestagswahlkampf werden.
Merkel hält nichts zusammen
Doch die Realität sieht anders aus: Das deutsche Europa steckt in der Dauer-Krise; die EU wird nach dem Brexit neu vermessen und vielleicht sogar neu zusammengesetzt bzw. auseinander genommen.
Mit der Wahl in Frankreich geht es los…
Wird in lockerer Folge fortgesetzt, stay tuned!
hintermbusch
7. April 2017 @ 17:52
“Was so natürlich ist für Deutschland, ist abgrundtief unnatürlich für uns”
Was so abgrundtief unnatürlich ist für das liberale England hat Wolfgang Streeck hervorragend beschrieben:
https://hintermbusch.wordpress.com/2016/09/25/wolfgang-streeck-europa-in-die-luft-gejagt/
F.D.
7. April 2017 @ 11:47
The French to the front! – Ich bin gespannt, wie leicht es Frankreich als fallen wird, mit den derzeitigen Regierungen in Polen und Ungarn klarzukommen und zwischen Ost und West in der EU zu vermitteln…
ebo
7. April 2017 @ 11:54
Haha. Das müssen sie gar nicht, denn die FRanzosen spielen sich nicht als „Macht in er Mitte“ und Vermittler auf, so wie Merkel. Die Kompromisse sollten in Brüssel gesucht und gefunden werden, nicht in Berlin.
Anonymous
8. April 2017 @ 14:41
„Für Deutschland ist ein politisch geeintes Europa eins, in dem die Nationalstaaten (irgendwie) aufgehen; für Frankreich eins, in dem Frankreich im Bündnis mit den Mittelmeerländern Deutschland überstimmen kann. Keins der beiden Projekte ist gegen das andere durchsetzbar“ (Wolfgang Streeck in der SZ, http://www.sueddeutsche.de/politik/waehrungsunion-sonderweg-aus-der-solidaritaet-1.3436429 ) – Und ist denn nicht davon auszugehen, dass sich diese beiden unterschiedlichen Konzeptionen nach dem Brexit und nach dem schwachen Hollande immer unvermittelter gegenüberstehen werden? „Europa“ – ist es nicht für die einen doch letztlich der Reichsgedanke 2.0, bloß ein paar Grade „moralischer“; für die anderen die Fortführung des klassischen Projekts einer Einhegung Deutschlands mit erweiterten Mitteln, siehe ja auch Mitterrand und Euro-Idee? Was für einen „Kompromiss“ soll „Brüssel“ denn aus diesen beiden Linien herausmendeln?
Oudejans
8. April 2017 @ 15:51
Anon.
Auf den Punkt.
hintermbusch
9. April 2017 @ 10:03
@ Anonymous
Das Problem ist korrekt beschrieben, wird aber auch ohne Euro und ohne EU immer bleiben. Was benötigt wird, ist ein flexibler Rahmen, in dem das politisch ausgehandelt werden kann, ohne Blutvergießen. Der Euro als zu enges Korsett muss weg. Eine bessere EU (mit mehr Subsidiarität) bleibt aber weiterhin nützlich und für einen Europäer wünschenswert.
Ganz wichtig wäre aber vor allem, dass wir Deutschen uns weniger mit „unserem“ Staat identifizieren und uns gelegentlich auch einmal mit ihm anlegen. Die starke vertikale Integration Deutschlands macht nämlich Italienern und Franzosen (zu Recht) Angst.