Die neue deutsche Frage (2)

Was will Deutschland? Diese Frage treibt die EU weiter um – auch nach dem Vorstoß von Kanzlerin Merkel für einen schuldenfinanzierten Wiederaufbauplan. Sogar Ex-Kommissionspräsident Juncker heizt die Debatte an – mit deftigen Worten.

Juncker unterstützt zwar den Aufbau-Plan, den Merkel zusammen mit Frankreichs Staatschef Macron vorgelegt hat, regt sich aber immer noch über die deutschen Grenzschließungen in der Coronakrise auf. Zitat aus einem Interview mit der “Deutschen Welle”:

“Man hat die Grenzen geschlossen, ohne an die Bürger zu denken, die das Opfer einer derartigen Berliner Willkür wurden.”

Berliner Willkür” – so etwas würde Junckers Amtsnachfolgerin von der Leyen natürlich nie sagen. Sie wagt es ja nicht einmal, die Öffnung aller Schengen-Grenzen zu fordern…

Mit der “deutschen Frage” beschäftigt sich auch der langjährige EU-Korrespondent T. Mayer vom Wiener “Standard”. Zitat aus einem Kommentar zur Lage nach der Merkel-Wende:

Merkel-Deutschland gilt seit den Eurohilfen an Griechenland als Zuchtmeister für den Rest der Gemeinschaft. In der noch viel schlimmeren CoronaKrise scheint die Kanzlerin daher plötzlich ganz leichtfüßig bereit, für das gemeinsame Europa in die Bresche zu springen. Dabei erinnert sie an Helmut Kohl: Er sprang 1998 über den nationalen Schatten, um das gemeinsame Euro-Europa zu schaffen. Zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil. 

Und sogar in Berlin wird nun plötzlich (endlich!) über den deutschen Kurs in EUropa diskutiert. Hier ein Auszug aus einer Analyse von Kanzleramt-Korrespondent A. Rinke von Reuters:

Vizekanzler Scholz plädiert sogar dafür, dass die EU selbst Steuern erheben kann. Mit einer eigenen Einnahmequelle würde sich die EU einer Staatlichkeit aber noch mehr annähern. “Für eine solche Fiskalreform gibt es historische Vorbilder: Der erste US-Finanzminister Alexander Hamilton bündelte im Jahr 1790 auf Ebene des Zentralstaats die Kompetenzen, gemeinsame Einnahmen zu erzielen, und eine eigenständige Verschuldungsfähigkeit”, sagt der SPD-Politiker. Auch die Kanzlerin betont ihre Offenheit für EU-Vertragsänderungen und sagt: “Europa muss gemeinsam handeln, der Nationalstaat alleine hat keine Zukunft.” 

Vor allem das Merkel-Zitat (“der Nationalstaat alleine hat keine Zukunft”) wird international stark beachtet. Dabei ist es deutsche Staatsdoktrin seit dem 2. Weltkrieg, dass das nationale Denken überwunden werden muß. Die Kanzlerin sagt insofern nichts Neues.

Auch in der EU-Debatte ist es keineswegs neu, über den Nationalstaat hinauszudenken – ganz im Gegenteil, das ist die Basis der Union. Macron hat sich bisher am weitesten vorgewagt , indem er eine “europäische Souveränität” fordert.

Darauf wollen sich Merkel und Scholz allerdings (noch) nicht einlassen. Deutschland allein hat vielleicht keine Zukunft, aber eine (mit Frankreich) geteilte Souveränität? So weit geht die Liebe dann doch wieder nicht…

Siehe auch “Die neue deutsche Frage und “Scholz hat eine Vision”