Die illiberale Wende, Rechtsruck in Kroatien & die nächste Umweltsünde
Die Watchlist EUropa vom 09. Mai 2024 – Heute mit Verstößen gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, einer bedenklichen Koalition und einem neuen Zugeständnis an die konservative EVP.
Dass die EU ein Demokratie-Problem hat, ist bekannt. Nun kommt auch noch ein Liberalismus-Problem hinzu. Die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt. Wir werden Zeugen einer illiberalen Wende in der EU – und das kurz vor der Europawahl.
Das jüngste Beispiel war die Räumung der Freien Universität in Berlin, nachdem dort Studenten ein Protestcamp für Palästina und gegen den Krieg in Gaza errichtet hatten. Dialog? Fehlanzeige! Die FU rief gleich die Polizei.
Nun protestieren 143 Professoren und Dozenten in einem offenen Brief gegen den harten Kurs der FU. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit müsse auch in der angespannten Lage wegen des Nahostkonflikts geschützt werden.
Doch das wird sie nicht. Nicht in Berlin, wo sich die Politik ausdrücklich hinter die FU und die Polizei stellt – aber auch nicht in Brüssel oder Paris, wo ebenfalls Universitäten geräumt und Studenten verhaftet wurden.
Die Kriegsverbrechen in Gaza – manche sprechen von “Völkermord” – sollen totgeschwiegen werden. Deutschland und Frankreich schrecken nicht einmal vor Einreise- und Redeverboten zurück, um die harte Linie durchzusetzen.
Mussolini läßt grüßen
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Es geht aber nicht nur um Gaza und die neue Studentenbewegung, die systematisch unterdrückt wird. Es geht auch um Italien, wo Journalisten wegen der “allgegenwärtigen Kontrolle durch die Politik” in den Streik treten.
Und es geht um EU-Beitrittskandidaten wie die Ukraine und Moldau, wo reihenweise mißliebige Sender verboten werden und das Fernsehen in einem staatlich kontrollierten sogenannten „Telemarathon“ gleichgeschaltet wird.
Bisher hat es sowas nur in “illiberalen Demokratien” wie Ungarn gegeben. Die Idee geht auf den italienischen Duce Benito Mussolini zurück, der den Untergang des Liberalismus und den Aufstieg des illiberalen Europa propagierte.
Autoritärer Ungeist
Die Kriege in der Ukraine und in Israel und Gaza bringen diesen autoritären Ungeist nun zurück. Allerdings kommt er diesmal in liberalem Gewand. Verbote und Zensurmaßnahmen sollen die “liberale Demokratie” schützen, heißt es.
Doch was ist das für eine Demokratie, in der sogar prominente Europapolitiker wie Varoufakis mit einem Bann belegt werden? Und was ist das für ein Liberalismus, der den Bereich des Sagbaren immer mehr einschränkt?
Das muß sich sogar die FDP fragen lassen, die doch für Liberalismus stehen will. Ausgerechnet FDP-Bildungsministerin Stark-Watzinger sagte, das Statement von Lehrenden in Berlin zugunsten der Meinungsfreiheit mache sie “fassungslos”…
Siehe auch “Neue EU-Mediengesetze: Big Brother aus Brüssel? sowie Iliberale Wende: Varoufakis verklagt Deutschland
P.S. Auch die Angriffe auf Politiker in Deutschland zeugen von einem aggressiven, illiberalen Klima. Darüber wird zu Recht breit berichtet – doch die Unterdrückung unerwünschter Meinungen ist kein Thema. Warum nur?
News & Updates
- Rechtsruck in Kroatien. Rund drei Wochen nach der Parlamentswahl in Kroatien hat sich die konservative Partei HDZ auf eine Koalition mit der rechtsnationalistischen DP geeinigt. Das teilte der amtierende Ministerpräsident und HDZ-Chef Andrej Plenkovic mit. Allerdings bringen es HDZ und DP zusammen nur auf 75 Mandate. Eine Regierungsmehrheit liegt bei 76 Parlamentssitzen. – Damit setzt sich der Rechtsruck in der EU fort. Zuletzt hatten sich in den Niederlanden die Rechtspopulisten durchgesetzt.
- Tabubruch bei russischem Vermögen. Die EU-Länder wollen die Zinsgewinne aus eingefrorenem russischen Vermögen für die Ukraine nutzen. Darauf einigten sich die Ständigen Vertreter der Mitgliedsländer im Grundsatz in Brüssel. Die Gewinne von rund drei Milliarden Euro jährlich sollen überwiegend in Militärhilfe für Kiew fließen. – Die Europäische Zentralbank hatte vor diesem Tabubruch gewarnt. Er könnte das Vertrauen von Investoren zerstören… – Mehr in unserer Rubrik zum Wirtschaftskrieg.
- AstraZeneca verliert EU-Zulassung. Der Corona-Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca ist in der EU nicht mehr zugelassen. Die Meldung kam überraschend – und offenbart viele Ungereimtheiten. Jetzt rächt es sich, dass die Corona-Jahre nie aufgearbeitet wurden. – Mehr im Blog
Das Letzte
Die nächste Umweltsünde. Das Verbrenner-Aus in der EU wackelt schon – die konservative EVP mit ihrer Spitzenkandidatin von der Leyen will es rückgängig machen. Nun droht die nächste Umweltsünde: Die EU-Kommission bereitet Ausnahmen beim Verbot so genannter “Ewigkeitschemikalien” (PFAS) vor. Das Ziel der Ausnahmen sei, bestimmte Schlüsselindustrien zu schützen, erklärte von der Leyen in einem an die EVP-Fraktion gerichteten Schreiben. Ein vollständiges Verbot könne Investitionen in Technologien wie Halbleiter und Batterien gefährden, die für den Übergang zur Klimaneutralität notwendig seien. Doch selbst ,wenn dem so wäre: Wird die Umweltpolitik jetzt von der EVP – also von CDU/CSU – vorgegeben? Wo bleibt das Wort der Wähler, haben Grüne und andere Parteien gar nichts mehr zu melden?
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european
10. Mai 2024 @ 11:07
Unser gefuehltes Finanzgenie Lindner wurde aktuell in einem Interview darauf hingewiesen, dass es diverse Studien gibt, die den direkten Zusammenhang zwischen Sparprogrammen und dem Erfolg rechtsnationaler Parteien belegen. Lindner’s Antowrt darauf: “Diesen Studien glaube ich nicht”
Der Mann hat entweder keinen Geschichtsunterricht gehabt oder gepennt. Die Bruening’schen Spargesetze und deren Auswirkungen auf den Zuwachs der NSDAP sind ihm nicht bekannt.
Es scheint eines der Hauptprobleme unserer Regierung zu sein, dass wir dort lauter Leute haben, die in den entscheidenden Gebieten nichts wissen. Es gibt Bedarf fuer eine Armee von Wissenslueckenmanagern. 😉
Stef
10. Mai 2024 @ 14:00
Lindner hat schlicht gelogen. Die ehrliche aber konfrontative Antwort wäre gewesen, dass er es billigend in Kauf nimmt.
Monika
9. Mai 2024 @ 11:09
Unsere -nicht grundlos- wachsende Fassungslosigkeit ob der mit immer undemokratischeren Mitteln durchregierenden Staaten der westlichen „Welt“ ist mittlerweile in ausreichendem Maß analysiert. Mit weiteren Analysen ist an der Situation kein Jota geändert. WAS TUN?
Bis zum bitteren Ende weiteranalysieren?? Um dann sagen zu können, sehet her, wir haben recht gehabt?
Der ganze Krampf „Kampf gegen Rechts“ ist ein einziges Fake, denn das, was den „Charme“ einer rechten Staatsführung ausmacht ist, dass die Groß-Kapitaleigner, sie besitzen immerhin schon seit ein paar Jahren weit über die kritische Masse des weltweiten Kapitals, ihre „Truppen“ äh Bevölkerungen autoritär wesentlich leichter steuern können, als mit „demokratischen“ Mitteln. Demokratisch ist schlicht zu langsam geworden für die Jetztzeit, Wenn mann KI gestützt auf allen politischen, wirtschaftlichen, militärischen Ebenen zocken will, muss das flotter umsetzbar sein, sonst „macht das Spiel kein Spaß“. Deswegen wird sich der Demokratie grad mit „ganz großer Sorge um die Demokratie“ entledigt.
Würde man tatsächlich „rechten Sumpf“ trockenlegen wollen, müssten die Taten ganz andere sein als das, was uns derzeit „vorgeturnt“ wird.
Auf ein ganz besonders witziges Detail möchte ich noch hinweisen: In demokratischeren Zeiten wurden per Erinnerungskultur und jeder erdenklichen pädagogischen Einwirkung die Gräuel des Nazismus in allen Facetten den Bürgern „nahegebracht“, und eingebimst, man müsse den „harmlos erscheinenden Anfängen“ wehren. Soweit so richtig und in Ordnung. Wenn jetzt den Menschen angesichts der stattfindenden „Transformationen“ diesbezügliche Vergleiche in den Sinn kommen, ist das nicht mehr „gut“ sondern „böse“, weil es die Nazizeit „relativiert“ Die gesamten Nachkriegsgenerationen bekommen auf diese Weise ihr „geistiges Referenzsystem“ zerschlagen. Ein wirklich genialischer Zug im angeblichen Kampf gegen rechts…
Helmut Höft
10. Mai 2024 @ 10:37
Ich mache mal wieder den Schlaumeier mit Bockenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst-Wolfgang_B%C3%B6ckenf%C3%B6rde (Wikiquote) Auf deutsch: Demokratie ist, wenn JEDER(!!) mitmacht. „Wenn die Loit nedd wolle, dann wolle se nedd, gell.“ 🙁
Und was macht dann die Politik, die ja auch nur von Menschen gemacht wird? Statt sich darum zu bemühen, dass die Menschen in Demokratie gebildet sind/werden „greift sie durch“ – was natürlich falsch und kurzschlüssig ist.
“WAS TUN?” Demokratie-Bildung ist die einzige Chance! Dazu gehört auch die Extremen (sicher nicht 100 %, aber die Meisten) ernst zu nehmen und sie entsprechend zu “behandeln”: https://www.deutschlandfunk.de/keine-buehne-oder-entzaubern-ueber-den-medialen-umgang-mit-der-afd-100.html
“rechten Sumpf trocken legen” Hast Du ‘ne Idee WIE?
“Auf ein ganz besonders witziges Detail …” Ja, da hast Du recht, es ist schon komisch, was sich Menschen (Politniks, aber nicht nur diese 😉 ) so alles einfallen lassen.
Monika
10. Mai 2024 @ 21:33
Rechten Sumpf trocken legen… um die Antwort im blog kurz und trotzdem informativ zu halten: ich empfehle den Essay „Herdenimmunität gegen rechts ist nicht zu erwarten“ 10 Forderungen an die Politik nach Hanau. Aus: Daniela Dahn, „Im Krieg verlieren auch die Sieger“.
Das wäre schon mal eine gute Grundlage…
Kleopatra
9. Mai 2024 @ 10:25
Nun, die Kommission denkt langfristig und braucht ja wegen der komplexen Geschäftsgänge viele Monate, um einen Legislativakt vorzubereiten. Insofern ergibt sich der paradoxe Effekt, dass die Kommission ein erwartetes „antigrünes“ Wahlergebnis gewissermaßen vorwegnimmt. Da aber das Parlament bei Legislativakten mitzureden hat, ergibt sich die Auswirkung nur, wenn wirklich die „Linke“ und die Grünen deutlich geschwächt aus der Wahl hervorgehen. Dass die EVP scharfe Umweltgesetze nicht mehr stützt, wurde schon bei neulich vorgenommenen Abstimmungen deutlich. Letztlich ist all dies eine Reaktion auf veränderte Wahlergebnisse in Mitgliedstaaten bzw. auf die nach Umfragen zu erwartenden Wahlergebnisse im EP. Auch in normalen Staaten würde sich die politische Linie ändern, allerdings gleichzeitig eine neue Regierung installiert; in der EU ist die Kommission etwas der Politik entzogen (ihre Rolle ist definiert als „Hüterin der Verträge“, also in der Zielsetzung recht beschränkt); hier bleibt die Kommission und muss dann eben eine andere Politik machen. Dass aber eine andere Politik gemacht wird, wenn man damit rechnet, die Unterstützung der Grünen nicht mehr zu brauchen, ist nur normal.
Stef
9. Mai 2024 @ 08:33
Naja. Die illiberale Wende unter drastischer Einschränkung der Meinungsfreiheit findet nicht erst seit kurz vor der Europawahl statt, sondern schon deutlich länger. Wer den Mut aufgebracht hat, während der Coronazeit öffentlich auf Risiken aus Impfstoffen oder auf den vermutlich menschengemachten Ursprung des Virus hinzuweisen, wurde nicht minder hart gecancelt als Varoufakis heute.
Der Unterschied ist eher, dass die Methoden der Fakten- und Meinungsunterdrückung zunehmend autoritär-staatlich ausgefeilt werden, wo sie vorher noch schwerpunktmäßig publizistisch waren.
ebo
9. Mai 2024 @ 09:01
So ist es. Diesmal geht es direkt von Staaten das, die sich “liberale” nennen und vorgeben, “die Demokratie” nicht nur zu vertreten, sondern sogar zu retten. Das macht es besonders perfide – und gefährlich. Illiberalismus und Autoritarismus im Gewand der liberalen Demokratie, eben.