Die hässlichen Weiterungen der Belarus-Krise

In unserer Sommerserie greifen wir die wichtigsten europapolitischen Themen dieses Jahres auf – und fragen, was daraus geworden ist. Teil 5: Die hässlichen Weiterungen der Belarus-Krise.

Repost vom 23.05.21. Aktuelle Ergänzungen und Kommentare sind kursiv markiert.

Die EU hat die erzwungene Umleitung eines Passagierflugs nach Minsk durch die belarussischen Behörden scharf verurteilt und die Freilassung aller Passagiere gefordert. Und nun?

Müssten die EUropäer jetzt nicht härter durchgreifen und endlich “die Sprache der Macht” sprechen? Unter Experten ist die Diskussion bereits voll entbrannt.

Ich maße mir nicht an, es besser zu wissen als C. Bildt oder W. Ischinger. Dennoch seien drei Anmerkungen erlaubt:

  1. Die EU wird in der Außenpolitik kaum noch ernst genommen. Weder Russland noch die USA oder Israel lassen sich von den EUropäer irgend etwas sagen, wie der jüngste Konflikt im Nahen Osten gezeigt hat. Mittlerweile fordern sogar kleinere Länder wie die Türkei oder Marokko die EU heraus – meist ungestraft, oft werden sie dafür sogar noch belohnt. – Daran hat sich nichts geändert. Die Türkei setzt sich nun sogar über die Zypern-Politik der EU hinweg und fordert eine Zweistaaten-Lösung.
  2. Auch Belarus lässt sich von Brüssel nichts vorschreiben. Die EU-Sanktionen, die gegen Diktator Lukaenschko und seine Schergen verhängt worden sind, haben keinerlei positive Wirkung gezeigt. Andere Druckmittel hat Brüssel jedoch nicht. Am ehesten könnte man noch versuchen, über Moskau auf Minsk einzuwirken – doch da läuft derzeit gar nichts. – Auch hier nichts Neues. Die EU hat weitere, harte Wirtschaftssanktionen verhängt, jedoch keine Verbesserung der Lage erwirkt, eher im Gegenteil.
  3. Die Belarus-Krise dürfte beim Sondergipfel am Pfingstmontag eine prominente Rolle spielen. Dort wird sich zeigen, ob die Staats- und Regierungschefs noch einen Trumpf in der Hinterhand haben. Allerdings stand Belarus bisher nicht auf der Tagesordnung. Man wollte sich um Russland kümmern – und die “illegalen and provokative Schritte” aus Moskau verurteilen. – Belarus wurde das Hauptthema des Sondergipfels. Die EU kann also schnell handeln, wenn sie nur will.

All dies zeigt, wie schlecht die EU auf Kraftproben wie nun in Belarus vorbereitet ist. Sie arbeitet ihre eigene Agenda ab und spricht viel von “Autonomie” und “Geopolitik” – doch wenn es drauf ankommt, muß man improvisieren…

UPDATE: Belarus ist zu einem Weckruf für die EU-Außenpolitik geworden. Selten haben die Staats- und Regierungschefs so schnell und so hart reagiert. Sie mußten es tun, sonst hätten sie ihr Gesicht verloren – niemand hätte die EU noch ernst genommen. Allerdings stehen die massiven Wirtschaftssanktionen in keinem Verhältnis zu dem Ryanair-Vorfall. Sie führten nicht zur gewünschten Wirkung (der Freilassung politischer Gefangener), sondern zu hässlichen Weiterungen: Lukaschenko hat die Ost-Partnerschaft gekündigt, die der EU so wichtig ist – und er nutzt Flüchtlinge als Waffe. Dies hat er sich offenbar in der Türkei abgeschaut, die für ihr rücksichtsloses Vorgehen sogar noch belohnt wurde. Doch statt ihre eigenen Fehler zu reflektieren, drohen die EUropäer nun mit noch mehr Sanktionen. “Die EU ist bereit, angesichts der eklatanten Missachtung internationaler Verpflichtungen durch das Regime weitere Maßnahmen in Erwägung zu ziehen”, erklärte ihr Außenbeauftragter Josep Borrell.