Die “Guten” gegen die “Bösen”: In der EU ist ein hässlicher Kulturkampf entbrannt
Nach dem Streit um Regenbogen und LGBT-Rechte ist der Kulturkampf in der EU voll entbrannt. Plötzlich stehen die “Guten” gegen die “Bösen” – und man wirft sich wechselseitig vor, Grundrechte zu verraten und ein undemokratisches Regime zu errichten.
Wann hat es angefangen? Mit dem Streit um den Regenbogen und die LGBT-Rechte? Oder mit dem Austritt der ungarischen Fidesz-Partei aus der konservativen EVP? Sind Kanzlerin Merkel und Kommissionschefin von der Leyen schuld, weil sie den Konflikt mit Ungarn und Polen zu lange schleifen ließen?
Fest steht, dass nun ein Kulturkampf entbrannt ist, wie ihn die EU noch nie gesehen hat. Nicht nur die üblichen Verdächtigen haben die Samthandschuhe abgelegt. Nein, ausgerechnet der frühere EU–Ratspräsident Donald Tusk heizt den Streit an, indem er die polnische PIS-Regierung ins Reich der “Bösen” verdammt.
«Wir ziehen ins Feld, um gegen das Böse zu kämpfen», erklärte Tusk, als er sich am Wochenende an die Spitze der polnischen Bürgerplattform setzte – und dabei andere liberale Oppositionspolitiker verprellte. “Das Böse” – das ist für ihn PIS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der in Polen “die Parodie einer Diktatur” errichtet habe.
Heute legte Tusk noch einen drauf – und behauptete, die Regierung leiste dem russischen Zaren Wladimir Putin Vorschub, weil sie sich mit anderen Rechtsparteien in der EU verbündet hat. Der einzige Mensch, der nach den Entscheidungen der PiS “einen weiteren Champagner öffnet, ist Putin im Kreml”.
Damit erweist Tusk, der immer noch EVP-Vorsitzender ist, der liberalen Sache einen Bärendienst. Schließlich gibt es kaum einen härteren Putin-Gegner als Kaczynski. Und es schadet der (unterentwickelten) demokratischen Streitkultur in EUropa, wenn jede abweichende Meinung in die Nähe des Kreml gerückt wird.
Allerdings treibt es die andere Seite auch auf die Spitze. So veröffentlicht Ungarns Regierungschef Viktor Orban neuerdings ganzseitige Anzeigen in Tageszeitungen mehrerer EU-Länder, heute auch in der “Bild”. Orbán behauptet darin etwa, dass Brüssel einen “Superstaat” und ein “europäisches Imperium” errichten wolle.
“Ganzseitige Orban-Propaganda als Anzeige in Bild”, kommentierte der EU-Abgeordnete Dennis Radtke (CDU) das Inserat auf Twitter. Orban blase “zur Attacke gegen das Parlament als einzige unmittelbar demokratische legitimierte Institution der EU“ und schrecke dabei “vor keiner Lüge zurück”.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das EU-Parlament gerade erst eine Klage gegen die EU-Kommission auf den Weg gebracht hat – wegen Untätigkeit beim Rechtsstaat. Offenbar funktioniert die EU nicht so gut, wie sich dies Radtke und viele andere wünschen; die Abgeordneten werden oft übergangen.
Zudem waren es Radtkes CDU und die CSU, die Orban und seine Fidesz allzu lange gewähren ließen. Gleichzeitig wurde die überfällige Debatte über die “Finalität” der EU – also das Ziel der europäischen Einigung – sträflich vernachlässigt. Wohin die Reise gehen soll, will niemand in Brüssel sagen.
Offenbar wollen CDU/CSU und EVP von ihrem eigenen Versagen ablenken. Derweil fordert Merkel, die EU solle den gesamten Westbalkan aufnehmen – und damit noch mehr Länder, die es mit Demokratie und Rechtsstaat noch nie genau genommen haben. Ob es das ist, was Orban mit dem “europäischen Imperium” meint?
Es wäre höchste Zeit, darüber zu diskutieren – aber sachlich, bitte…
Siehe auch: “AfD bleibt neuem Rechts-Bündnis fern – vorerst” sowie meinen Beitrag für den “Makroskop”: Kulturkampf um die Zukunft der EU