Die „Festung Europa“ verschließt sich vor der Revolution

Die Revolution in Tunesien hat zu einem neuen Flüchtlingstrom nach Italien geführt. Die Regierung in Rom und die EU-Kommission in Brüssel werfen sich nun gegenseitig Untätigkeit vor. Einig sind sie sich nur darin, dass die Flüchtlinge „abgewehrt“ und Tunesien “in die Pflicht genommen“ werden muss. Dabei hat noch jede Revolution eine Flüchtlingswelle ausgelöst. Zudem hat Tunesien nicht nur mit einem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, sondern auch mit Arbeitslosigkeit und Armut zu kämpfen.

 

Die EU müsste also ihre – offenbar verfehlte – Wirtschaftshilfe an Tunis überdenken, statt einfach die Schotten dicht zu machen und die tunesischen Revolutionäre allein zu lassen. Außerdem müsste sie darüber nachdenken, Flüchtlinge aus Tunesien zumindest so lange aufzunehmen, bis sich die postrevolutionäre Lage in dem Land stabilisiert hat. Das wiederum bedeutet, dass die 27 EU-Staaten einen Verteilerschlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen finden müssen – dann Italien allein kann mit dem Problem unmöglich fertig werden.

 

Doch gegen einen solchen Verteilerschlüssel hat sich bisher vor allem Deutschland gesperrt. Berlin hat – unter Verweis auf die vielen Flüchtlinge, die während der Balkankriege nach Deutschland kamen – alle Vorschläge der EU-Kommission und mehrerer Ratspräsidentschaften abgelehnt. Man habe schon genug Flüchtlinge aufgenommen, nun seien mal die anderen dran, heißt es auch jetzt wieder. Außerdem sähen die sogenannten Dublin-Regeln vor, dass Flüchtlinge in dem EU-Land bleiben müssen, in dem sie europäischen Boden betreten. 


Doch die revolutionäre Lage in Tunesien, Ägypten und anderen nordafrikanischen und arabischen Ländern schreit nach neuen, solidarischeren Regeln im Umgang mit Flüchtlingen. Italien fordert Hilfe aus Brüssel; früher oder später werden Deutschland und andere EU-Länder helfen müssen. Ob die Bundesregierung dazu auch bereit ist? Bisher sieht es eher so aus, als bejubele Kanzlerin Merkel zwar lautstark die tunesische Revolution – doch mit den humanitären Folgen möchte sie nichts zu tun haben.