Georgien: Streit um EU-Beitritt spitzt sich zu
Noch ist Georgien offiziell Beitrittskandidat. Doch nun droht der Bruch – die Regierung in Tiflis will die Annäherung auf Eis legen. Die Lage spitzt sich dramatisch zu.
Georgiens Regierung will in den kommenden vier Jahren nicht mit Brüssel über einen EU-Beitritt verhandeln. Dies teilte Ministerpräsident Irakli Kobachidse mit. Sein Land reagiere damit auf „Erpressung und Manipulation“, erklärte er.
Gemeint sind offenbar Versuche, die Parlamentswahl im Oktober infrage zu stellen und Sanktionen zu verhängen. Am Donnerstag hat das Europaparlament sogar gefordert, die Wahlen unter internationaler Aufsicht zu wiederholen.
Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich sieht sich die Straßburger Kammer selbst dem Vorwurf ausgesetzt, die “Wahl” der neuen EU-Kommission vermasselt zu haben.
Nur einen Tag nach der Kungelei mit Kommissionspräsidentin von der Leyen wollen dieselben EU-Abgeordneten, die sich auf Last-Minute-Deals eingelassen haben, anderen Ländern erklären, wie man “richtig” wählt?
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Doch das ist nur ein Nebenkriegsschauplatz. Der eigentliche Kampf spielt sich längst auf der Straße ab. Gestern Abend kam es in Tiflis erneut zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der EU und der Staatsmacht.
Die Bilder erinnern an die Maidan-Proteste – mit dem Unterschied, dass es in der Ukraine damals nur um ein Assoziierungsabkommen ging, in Georgien hingegen um den Beitritt. Und das noch dazu zu Kriegszeiten.
Der Einsatz ist diesmal also wesentlich höher. Zugleich zeigt der Streit auf der Straße und die Blockade im Parlament (die Opposition boykottierte Kobachides Wiederwahl), dass Georgien in keiner Weise beitrittsreif ist.
Ohne inneren Frieden und allgemein anerkannte stabile Institutionen kann es keinen Beitritt geben – zumindest das sollte die EU doch aus den letzten Jahren gelernt haben…
Mehr zur EU-Erweiterung hier
P. S. Die EU Außenminister haben übrigens keine Neuwahlen gefordert, sie haben zu Zurückhaltung aufgerufen. Öl ins Feuer gießt hingegen die “pro-europäische” Präsidentin, ausgerechnet…
Kleopatra
29. November 2024 @ 10:53
Die gegenwärtige georgische Regierung (die Wahlsieger) will angeblich die Verhandlungen über einen EU-Beitritt gar nicht abbrechen, sondern in einigen Jahren, wenn sie angeblich eher auf eigenen Füßen stehen könne, wieder aufnehmen. Das ist im Grunde noch anmaßender als die unterstellte Annahme, man könne auf der Straße den EU-Beitritt erzwingen; denn über das Thema wird ja gegenwärtig bereits verhandelt.
Ich frage mich auch nach der Sinnhaftigkeit dieses Aufschubs. Eine Möglichkeit wäre, dass man die “heiße Kartoffel” an die nächste Regierung weiterreichen will. Eine zweite, dass man hofft, bis dahin habe sich die EU mit dem Russische Reich soweit arrangiert, dass sie auch einen Moskauer Vasallenstaat als Mitglied akzeptieren würde (und Moskau damit die Möglichkeit eröffnen würde, in Brüssel mitzuentscheiden).
Gegenwärtig fordert Russland ausdrücklich nur in Bezug auf die Ukraine die Kapitulation. Den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken gegenüber versucht man es mit “soft power” und dem Versuch, einen eigenen Wirtschaftsblock als EU-Konkurrenten aufzubauen. Leider scheinen viele Russen auf den entscheidenden Stellen nicht zu verstehen, wie “soft power” funktioniert.
KK
29. November 2024 @ 12:17
@ Kleopatra:
“…bis dahin habe sich die EU mit dem Russische Reich soweit arrangiert…”
Das “Russische Reich” ist 1917 untergegangen, die EU existiert völkerrechtlich erst seit 2009, und selbst ihre Anfänge gehen auf das erste Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg – also Jahrzehnte nach dem Untergang des Russischen Reichs – zurück.
Wieder mal eine erhebliche Lücke in ihrem Geschichtsbild.
Michael
29. November 2024 @ 09:23
Warum sich die EU nach Westasien erweitern soll verstehe ich immer noch nicht! Die Türkei bewirbt sich inzwischen bei den BRICS+! Eine erneute Diskussion über die Finalität der EU wird kommen! Dann wird alles auf die Frage bzw. Entscheidung Europa oder Eurasien hinauslaufen! Die Geschichte und Zukunft liegt in Eurasien!
european
29. November 2024 @ 07:50
Canvas lässt grüßen. Woher weiss man denn, ob die Protestler tatsächlich Georgier sind? Jeder kann sich eine EU Flagge umhaengen und an Protestmaerschen teilnehmen. Sogar unser SPD-Roth ;).
Versucht wurde es lt der georgischen Regierung bereits Ende 2023.
https://jam-news.net/canvas-and-coup-detat-in-georgia/
The Grayzone hat auch darüber berichtet, dass diese Organisation, von der USA finanziert, in Georgien aktiv ist.
https://thegrayzone.com/2023/10/06/maidan-color-revolution-georgia/
Kleopatra
29. November 2024 @ 09:10
Einfacher Test: Sprechen Sie den Betreffenden auf Georgisch an. Wenn er es versteht, ist er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Georgier.
Die meisten, die darüber spekulieren, ob diese Menschen Georgier sind oder nicht, scheuen natürlich aus nachvollziehbaren Gründen den Aufwand, der mit dieser Überprüfung verbunden ist 😉
Nebenbei bemerkt, besteht ein großer Teil der Ausländer in Georgien meines Wissens gegenwärtig aus Russen, die vor dem Putin-Regime geflohen sind.
ebo
29. November 2024 @ 09:27
Naja, die meisten Demonstranten sind schon “echte” Georgier, daran habe ich keinen Zweifel. Sie haben selbstverständlich das Recht, für den EU-Beitritt auf die Straße zu gehen.
Allerdings kann der Beitritt nicht auf der Straße erzwungen werden. Und die EU hat kein Recht, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen, wie dies Roth und viele andere immer offener tun.
european
29. November 2024 @ 09:42
@ebo So ist es. Ich habe auch keine Angabe darueber gemacht, ob es eine Mehrzahl an auslaendischen Scheinprotestern gibt, sondern eher darueber, dass Aufmaersche dieser Art gern von Canvas / ehemals Otpor orchestriert werden. DAS ist definitiv ein Eingriff von aussen. Die georgische Regierung hat dies im letzten Jahr bereits untersuchen lassen und kam zu diesem Ergebnis. Definitiv waren sie auch aktiv bei den Maidan-Protesten und noch definitiver haben sie aktiv Einfluss auf die Ukrainische Politik in 2004 genommen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Otpor!
https://en.wikipedia.org/wiki/Centre_for_Applied_Nonviolent_Action_and_Strategies
Kleopatra
29. November 2024 @ 09:53
Natürlich kann der EU-Beitritt nicht erzwungen werden, zumal da ja auch die andere Seite ein Wort mitzureden hat. Da allerdings die gegenwärtige Regierung ihre Wahlkampf u.a. mit der Drohung geführt hat, wenn man nicht sie wähle, würde Georgien genauso zusammengeschossen wie ukrainische Städte (und natürlich von derselben “brüderlichen Armee”), fällt es mir schwer, ausgerechnet diese Leute als Verteidiger der georgischen Selbstständigkeit gegen bösen amerikanischen Einfluss anzusehen wie der Kommentator, auf den ich mich bezog.
Letztlich steht Osteuropa Russland unter Putin gegenwärtig ähnlich gegenüber wie in den späten Dreißiger Jahren ganz Europa Hitler. In jedem Land stand man vor der Wahl , ob man sich Hitler Machtansprüchen fügen oder den Kampf aufnehmen wollte. (Die ersten, die wirklich den Kampf aufgenommen haben, waren die Polen). Und auch Russland stellt gegenwärtig alle Länder Osteuropas vor die Wahl, sich zu unterwerfen oder sich zu widersetzen, mit entsprechenden Drohungen für den zweiten Fall.
ebo
29. November 2024 @ 10:06
Der Vergleich mit Hitler ist historisch falsch und politisch abwegig. Wann hat Putin denn Georgien aufgefordert, sich zu unterwerfen?
Die Wahl drehte sich nicht um einen Anschluß an Russland, sondern – wenn man in dieser schiefen Analogie bleiben will – an die EU und die Nato
KK
29. November 2024 @ 12:10
@ ebo:
“Naja, die meisten Demonstranten sind schon “echte” Georgier, daran habe ich keinen Zweifel.”
Ich auch nicht – insbesondere vor dem Hintergrund, dass ja auch auf dem Maidan vielen Protestteilnehmern wohl via westlicher NGOs eine (für die dortigen Verhältnisse fürstliche) “Aufwandsentschädigung” gezahlt worden sein soll…
Auch eine Art von “soft power”, nicht wahr?
KK
29. November 2024 @ 12:24
@ Kleopatra:
“…steht Osteuropa Russland unter Putin gegenwärtig ähnlich gegenüber wie in den späten Dreißiger Jahren ganz Europa Hitler.”
GANZ Europa? Nein. Ein paar faschistisch regierte Staaten und faschistische Bevölkerungsteile insbesondere einiger osteuropäischer Staaten (bzw. Sovietrepubliken) waren durchaus auf Hitlers Linie und später sogar bereit, auf der Seite der Nazis zu kämpfen…
Arthur Dent
29. November 2024 @ 10:54
@european
Georgien hat ja praktisch die höchste Dichte an ausländischen NGO’s. Werden aber zumeist direkt oder indirekt von staatlichen Stellen aus dem Westen finanziert. So’n Zufall.
european
29. November 2024 @ 11:25
So ist es. Ein Schelm ist, wer Boeses dabei denkt und es wundert nicht, dass die Regierung quasi in einem Rundumschlag mittels einer Foreign Agents Bill dagegen angegangen ist. Und es hat auch nicht wirklich verwundert, dass ausgerechnet seitens der EU ein Riesentheater darum gemacht wurde, bringen wir doch Demokratie, Rechtsstaat und Frauenbefreiung in alle Welt. 😉
Mit der Verschiebung der EU-Gespraeche bis mindestens 2028 kehrt erst einmal Ruhe ein, in der Georgien sich weitestgehend unabhaengig weiter entwickeln kann. Nachdem, was man so lesen konnte, steht das Land wirtschaftlich ziemlich gut da.
Hier ein Artikel aus der GeorgiaPress ueber die Trainingscamps von Canvas/Otpor, finanziert von USAID. Voellig demokratisch natuerlich, schliesslich zaehlt das Votum des Souveraens.
https://georgiatoday.ge/sssg-trainings-for-revolutionary-scenario-were-held-in-tbilisi-under-the-usaid-program/
Apropos! Was macht eigentlich Victoria Nuland so? Nun, Glenn Greenwald hat gerade einen Bericht darueber gebracht, wie sie aktiv an daran beteiligt war, Pakistans Prime Minister Imran Khan zu inhaftieren.
https://www.actvism.org/en/latest/nuland-politiker-imran-khan/
Das Transkript zum Mitlesen befindet sich hier:
https://www.actvism.org/wp-content/uploads/2024/11/Darren-Beattie-Reveals-U.S.-Role-In-Lawfare-Against-Pakistani-Leader-Imran-Khan.docx.pdf
Niemals geht man so ganz 😉