Die EU setzt auf Sieg, Scholz spielt auf Zeit – und die nächste riskante Nato-Erweiterung
Was bleibt von der Europapolitik der vergangenen Woche? Die EU setzt im Ukraine-Krieg auf “Sieg” im Schlachtfeld. Deutschland gerät in die Defensive. Und Schweden und Finnland streben in die Nato.
Die Woche vor Ostern markiert eine weitere Wende in der Europapolitik. Zum einen setzt sich in der EU die Einsicht durch, dass der Krieg in der Ukraine mit Wirtschaftssanktionen allein nicht zu beenden ist – und dass diese Sanktionen ein Risiko für die europäische Wirtschaft darstellen.
Deshalb wurde das groß angekündigte Ölembargo gegen Russland am Montag, beim Treffen der EU-Außenminister, auf die lange Bank geschoben. Zuvor hatte die OPEC gewarnt, dass sie für einen Ausfall russischer Öllieferungen keinen Ersatz bieten werde.
Zum anderen glaubt die EU aber auch nicht mehr an eine diplomatische Lösung. Dieser Krieg werde auf dem Schlachtfeld entschieden, sagte der Außenbeauftragte Borrell. Auch Deutschland müsse nun schwere Waffen liefern, forderte Außenministerin Baerbock.
Sie schloß sich damit dem Wunsch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj an. Der hat eine ganze Liste von Kriegswünschen veröffentlicht und treibt Deutschland vor sich her. Das größte EU-Land müsse im Kampf gegen Russland eine Führungsrolle einnehmen, heißt es.
Unterstützt wird die Ukraine von Polen und Balten. Die meisten anderen EU-Staaten halten sich dagegen zurück. Es ist keineswegs so, dass Deutschland in der EU isoliert sei, wie es neuerdings heißt. Schließlich leistet Berlin den größten Beitrag zur Ukraine-Hilfe.
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In diesem Licht ist auch die Entscheidung von Kanzler Scholz zu sehen, der Ukraine rund eine Milliarde Euro für Militärhilfe zu gewähren. Dies ist sogar noch etwas mehr, als die USA in dieser Woche an neuen Finanzhilfen angekündigt haben!
Allerdings ist unklar, ob sich die Ukraine damit zufrieden geben wird. Klar ist nur, dass Russland die Aufrüstung mit Argusaugen beobachtet und mit Vergeltung droht. Deutschland und die EU haben sich auf einen gefährlichen Weg begeben…
Was war sonst noch? Schweden und Finnland haben bekannt gegeben, dass sie noch vor der Sommerpause der Nato beitreten könnten. Damit reagieren sie auf den Ukraine-Krieg, aber auch auf wachsende Spannungen im Baltikum und in der Ostsee.
Eine verständliche Reaktion – doch sie ist riskant, sogar für die Nato. Ein übereilter Beitritt berge die Gefahr, dass daraus „eine große neue Verwundbarkeit für das Bündnis“ geschaffen würde und „die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts mit Russland steigt“.
Das sagen keine Ostermarschierer – sondern der Direktor des American Statecraft Program der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden, Christopher S. Chivvis. Ob er in der EU oder in der Nato gehört wird? Man musse es bezweifeln, leider…
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Volker Renn
20. April 2022 @ 11:09
Es ist haarsträubend, was sich unsere westlichen Politiker leisten!
Anstatt eine aktive Friedenspolitik zu gestalten, als Mittler aufzutreten um Konflikte zu deeskalieren, tritt der Westen als Kriegspartei auf.
Russland hat schon unter Jelzin versucht eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur zu gestalten, auch Putin hat dies mehrfach angeboten! Der Westen hingegen hat sein Versprechen gebrochen, nach der Wiedervereinigung die NATO nicht nach Osten hin erweitern zu wollen, Außenminister Genscher hat dies öffentlich verkündet. Wer Putin nun als “Kriegsverbrecher”, “Mörder” und ähnliches bezeichnet, vergisst mehrere Dinge: Russland hat eine rote Linie gezogen, fühlt sich bedroht durch einen NATO-Beitritt der Ukraine, so etwas muss eine verantwortungsvolle Politik doch in Rechnung stellen! Natürlich beißt ein Hund zu, wenn man ihn in die Ecke drängt!
Das Minsker Abkommen hat die Ukraine gebrochen, indem sie die vertraglich festgelegten Verhandlungen boykottierte, sie hat vertragswidrig schwere Waffen in den Donbass geschafft und Tausende Zivilisten dort zu Tode gebracht.
Als Pazifist bin ich selbstverständlich gegen jede Form militärischer Gewalt, auch im Ukrainekrieg, aber ich vermag beim besten Willen keinen moralischen Unterschied zu den amerikanischen Angriffskriegen im Irak und Afganistan zu erkennen!
Die baltischen Staaten und Polen haben durch die Sowjetunion staatliche und historische Traumata erlitten, das steht außer Frage, aber eine vernünftige Politik von Seiten der EU darf sich, wie ich finde, nicht von deren antirussischen Reflexen abhängig machen. Es ist auch in Vergessenheit geraten, das 1917/18 britische, amerikanische und japanische Truppen in Russland intervenierten. Der deutsche Überfall am 22.06. 1941 kostete die Sowjetunion 27 Millionen Tote, das ganze europäische Russland war komplett zerstört, weil die Wehrmacht auf ihrem Rückzug die Politik der verbrannten Erde praktizierte. ( Die erste “Probevergasung” in Auschwitz fand an russischen Kriegsgefangenen statt ) Das sind russische Traumata, die man doch in Rechnung stellen muss. Russland fühlt sich bedroht, das haben die russischen Verantwortlichen oft genug gesagt. Es kann nicht darum darum gehen, ob dem tatsächlich so ist, sondern nur darum, was Russland annimmt.
Ein verantwortungsvoller Politiker muss in den Anzug des Gegenübers steigen können, wie z.B. Brandt, Schmidt und Kohl dies konnten! Bismarck bezeichnete Politik einmal als Kunst des Möglichen, hier hingegen sehe ich weit und breit niemanden auf der politischen Bühne, die fähig sind, wirklich verantwortungsvoll zu handeln. Wir dürfen doch eines nicht vergessen, Russland ist unser Nachbar und, ob wir wollen oder nicht, wir müssen damit leben. Der preußische König Friedrich der II. ( 1740-1786 ) stellte schon fest, das Russland eine gewaltige Macht sei und man sich damit gut stellen müsse.
Unsere deutsche Geschichte zeigt doch deutlich auf, das wir immer gut gefahren sind, wenn wir mit Russland ein gutes Verhältnis hatten. Ohne Russland wären wir Napoleon wohl kaum los geworden, ohne Russland hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben, ohne Russlands stillschweigende Rückendeckung hätte es 1871 wohl überhaupt kein einiges Deutschland gegeben.
Wir dürfen doch die Brücken nicht abbrechen, so wie Cortez seine Schiffe verbrannte!
Und die Sanktionen? Ein Papiertiger, denn Afrika macht nicht mit, Indien macht nicht mit und China auch nicht, genauso wenig die arabischen Staaten. Die OPEC weigert sich, die Ölförderung zu erhöhen.
Die Ukraine FORDERT Waffenlieferungen von uns, der unsägliche Botschafter Melnik beleidigt in einer Tour unsere Regierung, unser Volk und unser Staatsoberhaupt wurde in beleidigender Weise ausgeladen. Ein Botschafter eines anderen Landes, der sich so verhalten würde, wäre längst als unerwünschte Person zurück geschickt worden!
Wenn wir Waffen liefern, verlängern wir diesen furchtbaren Krieg!
Heute erklärte der stv. Generalinspekteur der Bundeswehr im MOMA, das die Lieferung schwere Waffen nichts bringen würde, da alleine die Ausbildung und die Einsatzfähigkeit dieser Waffensysteme mehrere Monate dauern würde, worauf Hofreiter von den Grünen dies als irrelevant bezeichnete und, als Sahnehäubchen obendrauf, rechnete dieser Herr Melnik uns vor, was die Bundeswehr alles abzugeben hätte, darunter 120 Panzerhaubitzen 2000, von denen wir ja selbst nicht genug haben!
Das wir zurecht massive humanitäre Hilfe leisten, Flüchtlinge aufnehmen und diese nach Möglichkeit unterstützen ist selbstverständlich, gut und richtig!
Aber der Ukraine ist das zu wenig, alles ist denen zu wenig, ich kann es nicht mehr hören!
Selenskij ein Held? Ein Held wäre er gewesen, wenn er nicht, wie geschehen, Truppen im Donbass und an den Zugängen zur Krim massiert hätte, sondern das Minsker Abkommen endlich umgesetzt, deeskalierend agiert und seinem Land den Frieden gebracht hätte!
Wo soll das Ganze denn hinführen?
Moderne schwere Waffen brauchen Unmengen von Ersatzteilen und Munition, sollen wir die weiter und weiter liefern?
Wie stellt man sich das Ganze denn vor ? Wollen wir wirklich einen Atomkrieg riskieren, indem wir weiter und weiter eskalieren?
Wollen wir unsere Wirtschaft einbrechen lassen?
Wie sollen die ärmeren und bedürftigen Schichten die hohen Energiepreise denn bezahlen, wie die Lebensmittelteuerung auffangen?
Und, eine ganz wichtige Frage: Glauben wir denn wirklich, das die Interessen der USA und Europas die gleichen sind?
Sollten in Europa Kernwaffen eingesetzt werden, glaubt man denn wirklich, die USA würden Kernwaffen gegen Russland einsetzen und einen nuklearen Gegenschlag riskieren?
Der Angriffskrieg Russlands ist ein Verbrechen, ohne Frage!
Bei den Nürnberger Prozessen 1946 gegen die Nazibande war einer der vier Hauptanklagepunkte das Vorbereiten und die Führung eines Angriffskrieges, ein weiterer Verbrechen gegen die Menschlichkeit!
Die derart Schuldigen wurden damals gehängt.
Nach diesen Kriterien würde Putin wohl das gleiche Schicksal erleiden müssen, aber dennoch messen wir hier mit zweierlei Maß! Im Grunde müssten doch dann auch alle amerikanischen Präsidenten seit Kennedy ebenso verurteilt werden!
Der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna schrieb während des 30-jährigen Krieges ( 1618-1648) an seinen Sohn: “Mein lieber Sohn, Du wärest überrascht, mit wie viel Unvernunft die Welt regiert wird!”
Dem ist nichts hinzuzufügen!
Kleopatra
17. April 2022 @ 13:09
“Diplomatische Lösungen” sind mit einem Kriegsverbrecher wie Putin schwierig. Und wen wundert es, dass die Grünen einen widerlichen und schwulenfeindlichen Diktator wie Putin hassen? Letztlich haben wir mit einem Russland zu tun, bei dem man fragen kann, ob nicht eine möglichst effektiver Abschreckung notwendig ist. Es ist ja nicht so, dass es mit ihnen keine Konflikte gäbe, wenn man sich nicht auf Verteidigung gegen Russland einrichtet. Das Beispiel der Ukraine zeigt, dass die Forderung nach Entmilitarisierung auch als Vorstufe eines Einfalls gesehen werden kann.
Peter Kiefer
16. April 2022 @ 16:31
Ich möchte Sie auf einen Fehler im Text hinweisen: “Schweden und die UKraine haben bekannt gegeben, dass sie noch vor der Sommerpause der Nato beitreten könnten.”
Das muss natürlich heißen: “Schweden und Finnland …”
ebo
16. April 2022 @ 16:35
Natürlich, danke für den Hinweis!