Die EU macht nun Geopolitik – und vergisst ihre eigentliche Mission
Beim ersten Gipfel der “Europäischen Politischen Gemeinschaft” in Prag hat sich die EU in Geopolitik versucht. “Alle gegen Putin” hieß die wenig überraschende Botschaft. Derweil vergisst die EU ihre eigentliche Mission: Frieden, Wohlstand, Stabilität.
Ziel des neuen Zusammenschlusses ist es, einen engeren Austausch mit Partnern außerhalb der EU zu ermöglichen. “Wir teilen ein gemeinsames Umfeld, oft eine gemeinsame Geschichte, und wir sind dazu berufen, unsere Zukunft gemeinsam zu schreiben”, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron.
Macron hatte die Gründung der Gemeinschaft im Mai vorgeschlagen – damals noch unter französischer EU-Präsidentschaft. Er hoffe, dass sich die neue Runde alle sechs Monate treffen werde und daraus gemeinsame Projekte entstehen könnten, erklärte er nun beim Gründungsgipfel in Prag.
Wesentlich zurückhaltender zeigte sich Kanzler Olaf Scholz. Er sprach zwar auch von einer “großen Innovation”. Doch gleichzeitig will er verhindern, dass die neue Gemeinschaft zur Dauereinrichtung oder gar zur Konkurrenz zur EU wird. “Es geht nicht darum, eine neue Institution zu schaffen”, betonte er.
Für Deutschland bleibt die EU der “harte Kern”, da kann Frankreich noch so sehr das “Europa der zwei Geschwindigkeiten” propagieren. Schade nur, dass die EU ihre Kernaufgaben immer weniger erfüllt. Frieden, Wohlstand, Stabilität – alles Schnee von gestern, man redet nicht ‘mal mehr davon.
- Statt auf Frieden setzt die EU nun auf Krieg, das Europaparlament fordert sogar Panzerlieferungen an die Ukraine. Statt um Abrüstung bzw. Zerschlagung der Rüstungsindustrie, wie noch zu Zeiten von Schumann und Monnet, geht es nun um Aufrüstung und den Aufbau europäischer Waffenschmieden.
- Statt um Wohlstand geht es jetzt um Sanktionen, die zu Wohlstandsverlusten führen. Unter dem Vorwand, den Krieg zu verkürzen, werden immer neue Strafmaßnahmen verhängt, die den Konflikt verlängern und einen weltweiten Wirtschaftskrieg auslösen. Das sei nun mal der Preis der Freiheit, heißt es.
- Auch die Stabilität ist nicht mehr gesichert – jedenfalls nicht beim Euro. Die Preisstabilität ist ein ferner Traum, bei einer Inflation von zehn Prozent verletzt die EZB eklatant ihr Mandat (mit einem Ziel von zwei Prozent). Zudem erleidet der Euro einen Schwächeanfall nach dem nächsten, stabil ist er nicht mehr.
Bemerkenswert ist, dass die EU-Institutionen – Kommission, Rat, Parlament und EZB – in so kurzer Zeit von ihrer eigentlich Mission abgerückt sind. Liegt das wirklich nur an Kremlchef Putin, wie in Brüssel immer behauptet wird? Wurde die EU nicht auch von den USA gedrängt, fast gezwungen?
Die geopolitische Wende, so viel steht fest, begann schon unter US-Präsident Trump – damals noch als Gegenwehr. Verstärkt hat sie sich in der Corona-Pandemie – plötzlich wurde auch China zum Rivalen. Nun hat die EU sogar einen Feind – und mit einem klaren Feindbild lässt sich fast alles begründen…
Siehe auch “Projekt Groß-EUropa“
Armin Christ
8. Oktober 2022 @ 05:41
EPG, ein neuer Sprechblasenverein, der uns dann von den Medien als Bestandteil der “Wertegemeinschaft” angedient wird.
Armin Christ
8. Oktober 2022 @ 05:01
„…..Die geopolitische Wende, so viel steht fest, begann schon unter US-Präsident Trump…..“ Was soll diese Geschichtsklitterung ? Die geopolitische Wende begann früher, spätestens unter dem „göttlichen Friedensnobelpreisträger“ Barak Obama von der „Demokratischen“ Partei – einst die Partei der Sklavenhalter in den USA.
ebo
8. Oktober 2022 @ 09:01
Es geht hier um die EU. Die versucht sich erst seit Trump in Geopolitik
european
7. Oktober 2022 @ 11:48
Ich finde die Idee gut, ein solches Gremium zu schaffen.
Wenn man sich die Probleme ansieht, die durch die Osterweiterung entstanden sind, dann muss man sich durchaus die Frage stellen, ob bisher autokratisch regierte und zudem durch und durch korrupte Länder überhaupt im EU-Sinne demokratiefähig sind. Ein gutes Beispiel ist übrigens Russland. Gorbatschow war nur bei uns sehr beliebt, aber Russland konnte mit seiner Politik nichts anfangen. Viele Russen sind völlig verarmt, weil alte Strukturen nicht mehr gefangen haben. Es gibt noch viele Interviews mit Peter Scholl-Latour darüber und sein Buch “Russland im Zangengriff” ist absolut lesenswert.
Wenn also potenzielle Aufnahmekandidaten in einem solchen Gremium daran herangeführt werden, wie die EU arbeitet und auch in Zukunft bestehen soll, dann kann ich daran erst einmal nichts schlechtes finden. Wenn wir nämlich weiterhin Länder aufnehmen, die völlig andere Strukturen gewöhnt sind, dann wird sich das unweigerlich negativ auf die bestehenden EU-Länder auswirken und im Extremfall sogar dazu führen, dass die bisherigen Demokratien in der Minderzahl sind und die EU als ganzes autokratisch wird. Ich mag nicht unken, aber gerade unter der jetzigen EUCO Präsidentin sind diese Tendenzen bereits erkennbar. Wo die Ideen fehlen, füllt man die Lücken mit Dekreten und Verboten.
Und Scholz? Naja. Es ist eigentlich völlig egal, was er sagt. Die nächste Wahl wird er eh nicht überleben.
Arthur Dent
7. Oktober 2022 @ 23:40
Die Frage ist, wie demokratisch die EU selbst ist? Ab einer bestimmten Größe der Bevölkerung oder des (Staats)-Gebietes verschlechtert sich die Qualität der Demokratie. Für die US-Politikwissenschaftlerin Wendy Brown ist “Demokratie” inzwischen nicht mehr als ein “leerer Signifikant” mit enormer Popularität, aber ohne Substanz. Daher lasse sich die Demokratie auch so einfach instrumentalisieren und religiös aufladen. Demokratie ist “ein Altar, vor dem der Westen und seine Bewunderer beten, und der göttliche Zweck, der die imperialen Kreuzzüge des Westens formt und legitimiert.” (Brown 2012)
Demokratie verspricht gleiche und effektive Teilhabe am politischen Prozess sowie die Angleichung der sozialen Lebensverhältnisse. Davon lässt sich in der EU momentan nicht mehr viel erkennen, es sei denn, man wäre Zyniker und versteht unter Angleichung der Lebensverhältnisse die rapide Ausbreitung von Massenarmut.
european
8. Oktober 2022 @ 11:37
Damit haben Sie völlig Recht. Das hat ja sogar Martin Schulz schon vor Jahren zugegeben, dass die EU ihre eigenen Beitrittskriterien bezüglich Demokratie nicht erfüllt.
Merkel hat einen für Europa enorm wichtigen Zeitpunkt verschlafen bzw. ignoriert, als Macron in seiner ersten Amtszeit auf die Souveränität Europa’s hinarbeiten wollte. Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass wir dann auch besser durch die Corona-Krise gekommen wären. Damals war Deutschland auf auf der Überholspur unterwegs und überhaupt nicht an wichtigen Entwicklungsprozessen in der EU interessiert. Der Binnenmarkt gehörte uns und das sollte so bleiben.
Jetzt hat Macron keine wirkliche Mehrheit mehr hinter sich und solche Ideen würden nicht nur in Frankreich auf Ablehnung stoßen, sondern auch in Italien, Spanien, Griechenland, Niederlande und auch bei den Schweden. Die Anti-Europäer sind zuviele geworden, nicht zuletzt durch die deutsche Wirtschaftspolitik, die in anderen Ländern verheerende Auswirkungen hatte, ganz besonders in und nach der Finanzkrise.
ebo
8. Oktober 2022 @ 11:51
Die Bürgerkonferenz zur “Zukunft der EU” hat auch nichts geändert: https://euobserver.com/opinion/156110?utm_source=euobs&utm_medium=rss
Burkhart Braunbehrens
7. Oktober 2022 @ 11:37
Kernaufgabe Frieden, Wohlstand, Stabilität ? Damit ist Europa gescheitert. Jetzt nur dies gescheiterte Projekt zu verteidigen, ist einfach armselig. Und Europa hat immer schon etwas mehr behauptet, das wording waren immer die Werte ! Mit seiner Wohlstandsfestungs-Politik hat es diese Werte ständig verraten und zum Privileg der Wohlhabenden gemacht.
Pjotr56
7. Oktober 2022 @ 08:42
Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis = Europäische Politische Gemeinschaft.
“Wir teilen ein gemeinsames Umfeld, oft eine gemeinsame Geschichte, und wir sind dazu berufen, unsere Zukunft gemeinsam zu schreiben” sagte Macron. Heißa, da wird ein Freudenschrei durch die ehem. französischen Kolonien hallen. Mit Begeisterung überweisen sie die nächste Rückzahlungs-Rate der während der Kolonialzeit völlig uneigennützig von der Grande Nation gebauten Straßen.
Olaf Scholz lieferte einen weiteren Wumms, den er “große Innovation” nennt. “Doch gleichzeitig will er verhindern, dass die neue Gemeinschaft zur Dauereinrichtung oder gar zur Konkurrenz zur EU wird.” Sonst wäre es nämlich ein Doppel-Wumms.
Statt Frieden, Wohlstand, Stabilität erzeugt die EU Kriegsgefahr, Armut und Chaos; und das, ohne auch nur im geringsten von den Menschen der EU demokratisch legitimiert zu sein.
Holly01
7. Oktober 2022 @ 07:56
Bin ich der Einzige dem das Alles wie Kontrollverlust vorkommt?
Die EU kann sich trotz engster Absprachen und einem Rechtsrahmen nicht einigen.
Reaktion: Man wählt eine größere größere Anzahl Staaten ohne Rechtsrahmen aber mit noch unterschiedlicheren Bedürfnissen.
Man kann in der UN nicht einmal annähernd eine Situation schaffen, wo die “Wertegemeinschaft” Unterstützung bekäme.
Da war nichts an Zuspruch und gar nichts an Unterstützung.
Diese Passivität spricht schon für sich Bände.
Pjotr56
7. Oktober 2022 @ 08:48
Von Passivität würde ich nicht sprechen. Der Trend geht aktiv in Richtung einer multipolaren Weltordnung, in der der Wertewesten am Ende eine eher untergeordnete Rolle spielen wird.
Thomas Damrau
7. Oktober 2022 @ 07:15
Der Ukraine-Krieg dient inzwischen als Begründung für alle möglichen fragwürdigen Entscheidungen:
– Aufweichen der Energiewende
– Panzerlieferungen an Saudi-Arabien
– generelles Schleifen der Rüstungsexport-Kontrollen
– mehr Geld für Rüstung (das woanders dringender gebraucht würde)
– sogar das Durchwinken von CETA wurde in einer Online-Veranstaltung (Europe Calling) von Silvia Bender, grüne Staatssekretärin im deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, damit begründet, man müsse angesichts des Krieges Zeichen des Zusammenhalts setzen.
In einem paranoiden Momemt kam mir mal der Gedanke, Putin sei in Wirklichkeit CIA-Agent …
european
6. Oktober 2022 @ 19:41
Michael Lüders hat passend zum Thema wieder einen neuen Videovortrag hochgeladen. Sehr sehens- bzw. hörenswert.
„Wir sind die Guten“
https://youtu.be/wd42z-oP0B0
Zwischendurch denkt man bei diesem Vortrag, der überwiegend über die Grünen berichtet, auch an Sahra Wagenknecht’s Buch „Die Selbstgerechten“. Wohlstandslinke und Wohlstandsgrüne liegen sehr nahe beieinander.