Eine neue Impfstrategie, Ohnmacht in Nahost – und die Rückkehr der Inflation
Was bleibt von der Europapolitik der vergangenen Woche? Die EU ändert ihre Impfstrategie. Europa kapituliert vor dem Krieg in Israel. Und die Inflation kehrt zurück – und das vor dem Hintergrund wachsender Schuldenberge.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die EU ihre Impfstrategie geändert. Bisher galt es, 70 Prozent der Erwachsenen zweimal zu impfen – mit einem breiten und differenzierten Portfolio. Nun heißt es plötzlich, dass auch Kinder und Jugendliche geimpft werden sollen. Und für die Erwachsenen könnten Auffrischung-Impfungen nötig werden; in Belgien spricht man schon von einem dritten Impftermin im Dezember. Zudem setzt die EU-Kommission fast ausschließlich auf mRNA-Präparate – klassische Impfstoffe wie AstraZeneca oder Sputnik V werden aus dem Markt gedrängt. Im Ergebnis müssen wir uns wohl auf eine Fortsetzung der Impfkampagne im Herbst einstellen. Damit wächst aber auch die Gefahr, dass der Impfpass zu einer Art Eintrittskarte für ein (einigermaßen) normales Leben wird. Die Grundrechte geraten mehr und mehr in den Hintergrund.
Was war sonst noch los? Europa hat vor dem Krieg in Israel kapituliert. Schon am Montag, vor Beginn des Luftkriegs, konnten sich die EU-Außenminister nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Nachdem Israel und Gaza unter Beschuß gerieten, dauerte es tagelang, bevor unsere Außenminister die Sprache wiederfanden – um dann Widersprüchliches zu sagen. Früher selbstverständliche Aussagen – wie der Schutz der Zivilbevölkerung oder die Forderung nach Verhältnismäßigkeit – suchte man vergebens (am Samstagabend wagte sich der Außenvertreter Borrell dann doch noch aus der Deckung). Die USA sollten es richten, hieß es aus Berlin – dabei hat US-Präsident Biden noch keine Linie in der Nahost-Politik festgelegt. Immerhin gibt es in Washington eine kontroverse Debatte, B. Sanders fordert sogar, von der Regierung Netanjahu abzurücken (die den Konflikt anheizt). In Brüssel sucht man eine solche Diskussion vergebens…
Last but not least hat sich die Inflation in Euroland zurückgemeldet. Doch die Europäische Zentralbank will erst im Juni darüber sprechen. Die EU-Kommission ignoriert das Thema vollständig. Auch vor den wachsenden Schuldenbergen verschließt sie die Augen. Bei Vorlage ihrer Frühjahrsprognose freute sich die Brüsseler Behörde über anziehendes Wachstum, die Schuldenregeln wurden bis Ende 2022 ausgesetzt. Offenbar möchte man sich nicht in den deutschen Wahlkampf einmischen, wo bereits erhitzt über die europäische Wirtschaftspolitik und die mögliche Rückkehr der deutschen Schuldenbremse diskutiert wird. Dabei wird vom Ausgang dieser Debatte nicht nur die nächste Bundesregierung, sondern auch die künftige Wirtschaftspolitik der EU abhängen…
P.S. Dass Europa und die USA nun sogar Kinder impfen wollen, während das medizinische Personal in den meisten Ländern der Welt noch völlig ohne Schutz ist, sei eine „moralische Katastrophe“, sagt WHO-Chef Ghebreyesus. Ob er in Brüssel gehört wird?
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Georg Soltau
16. Mai 2021 @ 19:14
@ebo: AstraZeneca oder Sputnik V sind keine klassische Impfstoffe. Ob mRNA oder Vektor, beides sind Genimpfstoffe!