Die erstaunliche Metamorphose des Monsieur Moscovici
Der Streit um die Schulden in Italien schwelt weiter. Bei einem Treffen der Eurogruppe bestand EU-Finanzkommissar Moscovici auf der Einhaltung der EU-Regeln. Vor ein paar Jahren hat der Franzose noch ganz anders geredet.
Es sei falsch zu glauben, dass Brüssel „eine Art Deal“ im Haushaltsstreit machen werde, sagte Moscovici jetzt. „Nein, das ist keine Diskussion, das sind keine Verhandlungen. Die Regeln sind die Regeln und müssen respektiert werden.“
Die Regeln, nichts als die Regeln – so redete früher schon einmal ein gewisser T. Waigel. „3,0 ist 3,0“ hieß es damals. Italien reißt die Drei-Prozent-Schwelle bei der Neuverschuldung zwar nicht: Der Budgetentwurf sieht nur 2,4 Prozent vor
Dafür gibt es nun neue, schärfere Regeln, die Moscovici nun durchsetzen will. Dabei weiß er nur zu gut, wie das in Italien ankommt. Schließlich war er selbst einmal Finanzminister in Frankreich – und setzte sich über die Regeln hinweg.
Damals begründete Moscovici das so (Zitat aus der „New York Times“):
“There is a mainstream view in the European Commission that is neoliberal, or orthodox. But I’m a socialist, a social democrat!” In France, he said, “we have elections, we have political choices, and we are defending our own way.”
Die Regierung in Rom kann – und wird – dieses Argument eins zu eins übernehmen: Wir haben Wahlen gehabt, wir haben eine neue Politik, und wir verteidigen unseren eigenen italienischen Weg!
Moscovici hingegen tut heute so, als sei dieses Argument nicht (mehr) legitim – und die EU-Kommission nicht (mehr) neoliberal. Ob es daran liegt, dass er sich gerade von den Sozialisten losgesagt hat?
Oder daran, dass nun auch Frankreich Haushalts-Disziplin fordert? In Paris hat man offenbar Sorge, dass französische Banken ins Schleudern geraten könnten, wenn Italien Probleme bekommt…
P.S. Die französische Neuverschuldung liegt übrigens immer noch höher als die italienische. Doch dazu sagt Moscovici nichts…
P.P.S. Nun beklagt sich Macron über das „ultra-liberale“ Europa, das die Mittelklasse vergessen habe. Wenn er da wohl meint?
Peter Nemschak
6. November 2018 @ 22:06
@ebo Seien Sie nicht naiv. Italien hat durch die implizite Garantie der Eurozone (man kann Italien ohne negative Rückwirkungen auf die eigene Wirtschaft nicht fallen lassen und ist daher in den Augen der populistischen italienischen Regierung erpressbar) und nicht risikoadequate Eigenkapitalunterlegung der Banken künstlich niedrige Zinsen. Ohne diese würden sich so manche populäre sozialpolitische Phantasien in Luft auflösen. Das weiß auch die italienische Regierung.
Z65-9
6. November 2018 @ 17:19
„Die erstaunliche Metamorphose des Monsieur Moscovici“ klingt wie der Titel DES (noch von Ihnen, ebo, zu schreibenden) Romans über die EU. Bei der Gelegenheit, und zwar völlig ernsthaft gefragt: Gibt es empfehlenswerte Belletristik rund um das und aus dem EU-Raumschiff Brüssel?
Peter Nemschak
6. November 2018 @ 16:36
Moscovici ist ein politischer Opportunist, der nicht mehr damit rechnet, bei den französischen Sozialisten eine Karriere zu machen. Die Italiener meinen, in Italien populäre Sozialpolitik auf Kosten der gemeinsamen Währung machen und dabei die anderen Euromitglieder erpressen zu können. Man wird sehen, ob sich die Hanseaten durchsetzen können. Die Eurozone benötigt eine Reform dergestalt, dass die politische Verantwortung für nationale Maßnahmen bei den nationalen Politikern verbleibt. Alles andere würde Verantwortungslosigkeit fördern. Das Prinzip Haftung ist nicht nur bei Managern sondern auch bei Politikern höchst unbeliebt. Seine Durchsetzung würde so manche Exzesse vermeiden helfen.
ebo
6. November 2018 @ 16:53
Inwiefern erpressen die Italiener die Eurozone? Haben sie irgendeine Forderung gestellt? Man sollte nicht jeden „SPIEGEL“-Titel für bare Münze nehmen…
Peter Nemschak
6. November 2018 @ 18:25
De facto tun sie dies, weil sie indirekt eine Transferunion damit erschleichen. Warum gibt es Budgetregeln, doch nicht aus Jux und Tollerei? Die reichen Länder des Nordens wollen kein Umverteilungseuropa. Eine Sozialunion ist keine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren der Staatenunion der EU.
ebo
6. November 2018 @ 18:43
Sorry aber Italien finanziert sich an den Märkten, nicht im EU Budget. Das Land ist Nettozahler, seine Schulden werden vor allem von Italienern gehalten, nicht von armen deutschen Sparern…