Die Engländer gehen, “broken English” bleibt
Der französische Europaminister C. Beaune hat sich dafür ausgesprochen, die Mehrsprachigkeit in der EU zu fördern. Es könne nicht angehen, dass in Brüssel alle nur noch “broken English” sprechen – und das nach dem Abgang der Engländer. Doch ausgerechnet die Deutschen wehren sich.
Liegt es daran, dass kaum noch jemand Französisch spricht? Oder daran, dass man Geschäfte fast nur noch in englischer Sprache macht? Jedenfalls stieß Beaunes Vorstoß in der “Brussels Bubble” – und in der Berliner EU-Blase – auf vehemente Ablehnung.
Rückwärtsgewand, egoistisch, weltfremd – das sind die Attribute, die die erhitzte Twitter-Debatte prägen. Ich habe es gewagt, für Beaune Partei zu ergreifen – und wurde heftig attackiert. Sogar professionelle Europa-Versteher winkten ab.
What’s important about it? And yes, I tweet (also) in English because this is the language that, unlike French and German, most EU observers understand. I like to be inclusive.
— Lucas Guttenberg (@lucasguttenberg) January 12, 2021
Dabei ist es doch absurd, dass alle in der EU Englisch sprechen, obwohl die Engländer gehen. Neuerdings hält sogar der deutsche EU-Botschafter seine Briefings auf Englisch ab. Und deutsche EU-Parlamentarier radebrechen miteinander in “Denglish”.
Ein wenig mehr Sprachen-Vielfalt würde niemandem schaden. Schließlich will die EU doch “Einheit in Vielfalt”. Zunächst wäre es sinnvoll, die beiden offiziellen Arbeitssprachen der EU-Kommission neben Englisch – Deutsch und Französisch – wieder aufzuwerten.
Das wäre keineswegs abwegig oder inpraktikabel. In Brüssel war es bisher gute Praxis, dass Gesetzestexte und Pressemitteilungen gleichzeitig in English und Französisch vorgelegt wurden. Ausgerechnet die deutsche Chefin von der Leyen rückt davon jetzt ab.
Dabei sollte ihr doch an der Förderung der Sprachenvielfalt besonders gelegen sein. Die CDU-Politikerin ist schließlich im frankophonen Brüssel geboren und aufgewachsen. Doch anders als ihr Amtsvorgänger Juncker pflegt sie die Sprache nicht, im Gegenteil.
Immer mehr Vorlagen auf Englisch
Immer mehr Vorlagen aus ihrem Haus kommen nur noch auf Englisch. Mittlerweile muß man sich in der EU-Kommission schon rechtfertigen, wenn man noch Französisch sprechen will. Auch Protestbriefe haben daran bisher nichts geändert.
Beaune will nun die französische Ratspräsidentschaft 2022 nutzen, um Französisch zu retten und andere Sprachen zu fördern. Schön wär’s, wenn Deutschland ihn dabei unterstützen würde. Doch derzeit sieht es nicht so aus – im Gegenteil. Er wird verlacht.
Vor allem aus der Berliner EU-Blase schlägt ihm Hohn und Spott entgegen. Dabei schätzt man dort doch angeblich die deutsch-französische Zusammenarbeit. Aber Französisch sprechen? No way…
Photo by Brett Jordan on Unsplash
Lothar Schnitzler
18. Januar 2021 @ 17:44
Ich stimme Bonse und Beaune zu. Die Mehrsprachigkeit in der EU ist ein kulturelles Plus. Und wir müssen verhindern, dass so schöne Sprachen wie Französisch, Italienisch oder Deutsch zu Feierabenddialekten werden.
ebo
18. Januar 2021 @ 18:00
Merci bien 🙂
Michael Arnoldt
14. Januar 2021 @ 20:39
vive le chauvinisme
Kleopatra
15. Januar 2021 @ 08:24
Da gemäß den Verträgen alle 24 Sprachen Amts- und Arbeitssprachen sind, hat jeder Beteiligte das Recht, auf der Verwendung seiner Sprache zu bestehen. D.h. zum Beispiel sich zu weigern, an Beschlüssen mitzuwirken, deren Vorlagen nicht in seiner Sprache unterbreitet werden. Die Maschinerie sollte darauf eingerichtet sein. Es käme darauf an, dass z.B. Frankreich bereit wäre, energisch eine Weile jegliche Entscheidungsfindung in der EU zu blockieren, wenn darauf nicht eingegangen wird. Gleiches gilt natürlich für jeden anderen Mitgliedstaat. Vertragliche Rechte einzufordern hat mit Chauvinismus nichts zu tun, denn es handelt sich um Rechte, die alle anderen Beteiligten in aller Form anerkannt haben.
Ein echtes Problem mit dem Englischen liegt darin, dass die Rechtssprache auf das britische / amerikanische Common-Law-System ausgerichtet ist und dadurch mit den kontinentaleuropäischen Systemen Schwierigkeiten bekommt (seit dem Austritt Großbritanniens gibt es nur noch sehr wenig Common-Law-Gebiete in der EU).
ebo
15. Januar 2021 @ 09:00
Passend dazu kommt eben diese Meldung vom EU Observer:
The European Court of Justice in Luxembourg made history Thursday by issuing its first-ever opinion in a case heard in the Irish language. It stemmed from a complaint by Peadar Mac Fhlannchadha, who wanted dual-language labels for his dog’s medicine, according to his EU rights. Mac Fhlannchadha, an Irish language campaigner, was “delighted”, he told the Euronews broadcaster. Ireland joined the EU in 1973. The bloc has 24 official languages.
Stefan
14. Januar 2021 @ 09:56
Naja, den Franzosen geht es nicht um Vielfalt, sondern darum, dass Französisch gesprochen wird. Wie auch immer, gerade weil die Engländer draußen sind, ist Englisch doch jetzt ein guter Kompromiss als europäische Arbeitssprache. Weder die großen Deutschen, noch die Franzosen können ihere eigene Sprache durchdrücken. Nur die Maltäser und Iren hättten einen Sprachvorteil, aber das ist bei den beiden kleinen Ländern wohl vernachlässigbar.
ebo
14. Januar 2021 @ 10:04
Ja, das hört man oft. Leider wissen viele nicht, dass English und Französisch die Arbeitssprechen der EU sind – neben Deutsch, das in der Praxis aber kaum eine Rolle spielt. In der Uno und anderen internationalen Organisationen ist es genauso. In Brüssel sprechen immer noch fast alle EU-Beamten Französisch – es gibt also keinen Grund, diese Sprache zurückzudrängen und “broken English” zu sprechen. Vielmehr wäre nun eine günstige Gelegenheit, auch das Deutsche zu seinem Recht kommen zu lassen, das gerade in Osteuropa viel gesprochen wird. Dass stattdessen ausgerechnet die Deutschen ganz auf English setzen und Französisch zurückdrängen wollen, ist bitter.
Kleopatra
14. Januar 2021 @ 10:27
Ich habe sowohl EU-Beamte getroffen, die Englisch und kein Französisch sprachen, als auch solche, die Französisch und kein Englisch sprachen. Allerdings findet in den Fachabteilungen der Kommission, wo die meiste inhaltliche Arbeit geleistet wird, praktisch alles auf Englisch statt.
Zum Thema Osteuropa muss gesagt werden, dass gerade von dort viele EU-Beamte ohne Französischkenntnisse kommen und diese dann zur Anglisierung wesentlich beigetragen haben. Einen Bereich gibt es, der bis heute von der Verschiebung zum Englischen nicht betroffen ist, nämlich den Gerichtshof, der intern Französisch als einzige Arbeitssprache benutzt.
ebo
14. Januar 2021 @ 10:38
Und ich habe deutsche Europaabgeordnete getroffen, die in Ausschüssen miteinander in “broken English” sprechen, dass es weh tut. Auch der frankophone Ratspräsident Michel tut sich keinen Gefallen, wenn er englisch radebricht
Kleopatra
14. Januar 2021 @ 09:15
Man muss auch die knallharte Interessenpolitik sehen. Das Problem ist wahrscheinlich, dass in der nachkommenden Generation in Deutschland viel weniger Leute gut Französisch können als noch bei uns Älteren (;-)). Der Unwille, Französisch als Fremdsprache zu lernen, ist in der letzten Zeit groß (habe ich in der Schule meiner Tochter beobachten können), und rigorose Anforderungen an Französischkenntnisse machen es insofern schwieriger, größere Anteile an Beamten der eigenen Nationalität in Brüssel zu platzieren. Natürlich ist es grotesk, wenn ausgerechnet vdL anglisiert, die doch ihre Berufung u.a. dem Umstand verdanken dürfte, dass sich Manfred Weber in Frankreich nicht verkaufen kann, weil er kein Französisch kann. Aber auch Macron gehört hier zu den Leuten, die mehr oder weniger schon kapituliert haben.
Die traditionelle Linie Deutschlands war nach meinem Eindruck, Frankreich hier zu unterstützen, um auch die eigene Sprache im Windschatten “pushen” zu können; d.h. man kämpfte einerseits gegen Englisch als ausschließliche Sprache und andererseits für den Status der eigenen Sprache; hierfür waren die Franzosen geeignete Verbündete. Die Tendenz, keine andere Sprache als Englisch als Kommunikationsmittel ernstzunehmen, ist aber allgemein und betrifft z.B. auch den Deutschunterricht in Ostmitteleuropa (obwohl viele dieser Schüler häufig im Arbeitsleben eher Deutsch als Englisch brauchen werden). Eine grundsätzliche sprachpolitische Einstellung steht nicht dahinter. Vergleiche auch z.B. deutsche grüne Europaabgeordnete, die nach meinem Eindruck sich eifrig vorzugsweise auf Englisch äußern (auch Texte auf Webseiten). Dabei werden sie von deutschsprachigen Wählern gewählt und sollten sich vor allem denen verständlich machen.
Selbstverständlich ist Englisch nicht inklusiver als irgendetwas anderes. Die Hang zum Englischen hat für mich eher etwas von der Mentalität einheimischer Oberschichten in Kolonien, die sich durch die Beherrschung der Sprache der Kolonialherren als etwas Besseres fühlen (d.h. es geht darum, sich von der Unterschicht abzusetzen). Ohnehin hat aber die Stellung des Englischen nicht mit Großbritannien zu tun, sondern mit den USA.