Die Regeln taugen nichts
Selten waren sich deutsche Europapolitiker so einig: Es sei ein Skandal, dass die EU zuschaut, wie Italien seine Banken mit dem Geld der (italienischen) Steuerzahler rettet. Damit würden EU-Regeln gebeugt. Na und? Offenbar taugen sie nichts, jedenfalls nicht in Krisen.
Die Rettungsaktion sei ein “gefährlicher Dammbruch”, sagt S. Giegold von den Grünen. Die EU-Regeln seien umgangen worden. Ähnlich äußerten sich Abgeordnete von FDP und CSU.
Was war passiert? Die EZB hatte zwei kleine italienische Banken für gescheitert erklärt, Rom hat sie mit Milliarden aus der Staatskasse vor der Pleite gerettet, die EU-Kommission hat das Ganze abgenickt.
Dabei hätte das nach den neuen “Bail-in” Regeln nicht passieren dürfen. Nach der Finanz- und Eurokrise sollten sie verhindern, dass die Steuerzahler für marode Banken aufkommen müssen.
Dieses Versprechen sei “mit dieser Nacht- und Nebel-Aktion ein für alle Mal hinfällig”, schimpft CSU-Mann Ferber. FDP-Kollege Theurer spricht von einem “skandalösen Sündenfall”.
Dabei hat dieser Fall doch nur gezeigt, dass die Antikrisen-Regeln nichts taugen. Wenn ein “Bank Run” – ein Sturm auf die Banken droht – wie in Italien, dann muss der Staat eingreifen, zur Not auch per Bailout.
Sogar Berlin denkt um
Der “Bail-in” ist ein schönes Prinzip, eine Krise verhindern kann er nicht, eine Krise lösen oftmals auch nicht. Dasselbe gilt für die famosen “Konvergenz-Kriterien” von Maastricht und ihre Nachfolger.
Sie haben weder Konvergenz gebracht noch die Eurokrise verhindert, im Gegenteil: Das ganze schöne deutsche Regelwerk hat das Auseinanderdriften der Euroländer beschleunigt und die Krise verstärkt.
In der EZB und in der EU-Kommission hat man das begriffen. Sogar die Bundesregierung scheint sich langsam mit der Realität abzufinden. Sie äußerte nur vorsichtige Kritik am “Sündenfall” in Italien.
Lange Leitung in Straßburg
Warum haben die deutschen Europaabgeordneten eine so lange Leitung? Weil sie nichts zu melden haben. Sie dürfen keine Gesetze einbringen, in der Finanz- und Eurokrise waren sie weitgehend außen vor.
Allerdings haben sie die Regeln der Bankenunion mit formuliert. Da sie diese verletzt sehen, schimpfen sie nun umso lauter. Die Bankenunion sei endgültig gescheitert, meint CSU-Mann Ferber.
Vielleicht sollte er mal bei den Bank-Analysten nachfragen. Die sehen das nämlich völlig anders. “Das ist ein großer Schritt in die Richtung eines saubereren italienischen Bankensystems”, schreibt ein Fondsmanager.
Teure HSH Nordbank
Die EU-Regeln mussten gebrochen werden, um das System zu retten. Übrigens hat es das in Deutschland auch schon gegeben, und es passiert immer wieder, zuletzt bei der HSH Nordbank.
Deren Rettung kostet den Steuerzahler in Hamburg fast 4000 Euro pro Kopf. Und das war nicht der letzte “Sündenfall”, im Gegenteil, “die Rechnung wird immer höher”, bilanziert die “Tagesschau”.
Wo bleibt der Aufschrei der deutschen Prinzipienreiter?
Peter Nemschak
27. Juni 2017 @ 16:03
@ebo Eben deshalb sollen die Staaten ihre Fehler selbst auslöffeln. Wenn die Bürger für Politikfehler nicht zahlen müssen, werden sie ihr Verhalten nicht ändern. Warum wehren Sie sich gegen Verantwortung ?
ebo
27. Juni 2017 @ 16:54
@Nemschak Die Bürger müssen doch zahlen, in Hamburg 4000 Euro pro Kopf. Steht im Post ganz unten. Überlesen?
Peter Nemschak
27. Juni 2017 @ 18:48
Genau deshalb ist eine Europäisierung des Bankenrisikos zum gegebenen Zeitpunkt abzulehnen. Für die Zukunft stellt sich die Frage „systemrelevant“ oder nicht. Wenn nicht, sollten jedenfalls in Zukunft die Gläubiger beteiligt werden. Bei systemrelevanten Banken sollte die „amerikanische Krisenlösung“ greifen, d.h. Zwangskapitalisierung durch den Staat zu Lasten der Aktionäre und Gläubiger sowie Großeinleger, Sanierung und Reprivatisierung. Übrigens, die Deutsche Bank hat es entgegen ihren Unkenrufen aus eigener Kraft geschafft, wieder auf die Beine zu kommen.
Atir Kerroum
27. Juni 2017 @ 13:42
Natürlich sind die “Regeln” idiotisch. Aber ihr Zweck war, dem deutschen Michel die Zustimmung zur Bankenunion abzulächeln, und das ja soweit funktioniert.
Wenn die Bankenunion steht, braucht man die Regeln nicht mehr. War doch bis jetzt immer so.
ebo
27. Juni 2017 @ 13:49
Nein, Schäuble und Merkel blockieren die Bankenunion immer noch. Sie wollen deutsche Banken mit deutschem Steuergeld retten, aber der Ittacker soll das nicht dürfen 😉
Peter Nemschak
27. Juni 2017 @ 15:23
Lesen Sie die FAZ ! Dort steht ausführlich geschrieben, was die korrupte italienische Politik jahrelang bei den banken verabsäumt hat. Kein Wunder, dass sich besser geführte Staaten zieren, unter dem Titel EU alles in einen Topf zu werfen und gemeinsam für die Fehler einzelner Staaten zu zahlen. Viele Bürger wollen diese Art von Solidarität, die in Wahrheit Verantwortungslosigkeit bedeutet, nicht. Die Italiener sollen ihre Suppe ruhig allein auslöffeln. Ohne wirtschaftlichen Druck gibt es kein Umdenken.
ebo
27. Juni 2017 @ 15:27
@Nemschak Ich sage nur Hypo Real Estate, Commerzbank, Deutsche Bank, West-LB, HSH Nordbank. Und die “korrupte (deutsche) Politik” hat immer noch nicht aufgeräumt. Von Österreich sprechen wir lieber gleich gar nicht…
Peter Nemschak
27. Juni 2017 @ 09:16
Regeln taugen nur, wenn sich die den Regeln Unterworfenen darauf verlassen können, dass ihre Nichteinhaltung sanktioniert wird. Dann werden sie ihr Verhalten daran orientieren. Dass auch in Deutschland eine liberale Kultur, die auf Regeln basiert und gerade deshalb dem Individuum größtmögliche Entscheidungsfreiheit lässt, immer schwächer wird, bedroht letztlich die Freiheit und öffnet Etatisten und Dirigisten (übrigens eine Politiktradition in Frankreich !)Tür und Tor. Was in Italien passiert, dient nicht der Erhaltung einer freien Wirtschaftsordnung sondern unter dem Deckmantel von Sozialpolitik dem Machterhalt der Regierenden. An der Pleite der beiden kleinen Banken, wäre weder das Bankensystem noch das Seelenheil des italienischen Volkes (= des kleinen Mannes) zerbrochen. Wieder einmal ist ein ordnungspolitischer Fehler passiert, der die Glaubwürdigkeit der EU, die ohnedies nicht besonders groß ist, in Frage stellt.
ebo
27. Juni 2017 @ 11:22
@Nemschak Die beiden italienischen Banken stellen für die EU kein Systemrisiko dar. Deshalb wurden sie nach nationalen Regeln aufgefangen, nicht nach europäischen. Ein Bail-in nach EU-Regeln hätte einen Bank run ausgelöst – und damit eine auch für die EU bedrohliche Krise. Wäre Ihnen das lieber?
Peter Nemschak
27. Juni 2017 @ 12:01
Ich weiß, dass die Banken nach nationalen Regeln aufgefangen wurden. Wichtig wäre ein Einbezug der nachrangigen Gläubiger, um pro Futuro die Anleger daran zu gewöhnen, dass über kurz oder lang EU-Regeln gelten werden. Es gibt in Zukunft keine risikolosen bzw. risikoarmen Erträge über Einlagen von Eur 100.000. Einen Bankenrun, wie von Ihnen befürchtet, hätte die EZB locker auffangen können, in dem sie solventen Banken die verlorene Liquidität, bis Ruhe in den Markt einkehrt, ersetzt. Sichtlich ist auch Deutschland vor den Wahlen daran interessiert, dass das System nicht ins Schaukeln gerät. Dass sich Schäuble bisher erfolgreich dagegen gewehrt hat, dass die hausgemachten spanischen und italienischen Bankenprobleme via EU-Institutionen auf die deutschen und andere Steuerzahler überwälzt werden, muss man ihm zugute halten.