Kein „Stabilitäts-Anker“ mehr
Ein Unglück kommt selten allein. Nachdem Kanzlerin Merkel am Sonntag in Brüssel bei dem Versuch gescheitert ist, eine „europäische Lösung“ für ihre Probleme zu finden, kommen nun auch noch schlechte Nachrichten aus der Wirtschaft.
„Der Boom ist vorbei“, meldet Reuters mit Blick auf den neuen Ifo-Geschäftsklimaindex, der eine Abkühlung der Konjunktur signalisiert. „Der Rückenwind für die deutsche Wirtschaft flaut ab“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Nun ist dies natürlich keine Überraschung – der sich abzeichnende Handelskrieg mit den USA und das Chaos beim Brexit drücken auf die Stimmung. Der Ifo-Index fiel sogar weniger stark als erwartet, er liegt noch über 100.
Doch in die neuen Zahlen ist die Berliner Regierungskrise noch gar nicht eingepreist. Auch die Angst vor einem Scheitern in der Flüchtlingspolitik („Der EU droht der Todesstoß“, so Parlamentspräsident Tajani) ist nicht enthalten.
Beides hätte vermutlich für einen weiteren Fall des Konjunkturbarometers gesorgt. Der eigentliche, kritische Punkt liegt aber woanders. Deutschland wird vom gefeierten Stabilitäts-Anker zum Unsicherheit-Faktor.
Denn Merkel hat verhindert, dass sich die EU und die Eurozone auf die sich abzeichnende Wirtschaftsflaute einstellen. Sie hat ein Eurozonen-Budget à la Macron blockiert und die EU-Reform sträflich vernachlässigt.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag wird es – anders als vereinbart – weder eine „Neugründung“ der EU noch einen „Aufbruch für Europa“ geben. Das noch im Herbst 2017 beschworene „Window of Opportunity“ wurde nicht genutzt.
Deshalb ist es ein Problem, wenn nun Politik und Wirtschaft in Deutschland gleichzeitig einen Schwächeanfall bekommen. Die Eurozone jedenfalls, dafür hat Merkel gesorgt, kann nicht gegensteuern.
Und da es absehbar auch keine „europäische Lösung“ der Flüchtlingskrise geben wird, wird die Kanzlerin nun selbst zum Problemfall, um den sich ganz EUropa sorgen muss…
Art Vanderley
26. Juni 2018 @ 21:34
Der Handelskrieg ist vielleicht sogar ein stabilisierender Faktor, einfach, um mal ein bißchen Sand ins gefährliche Getriebe zu streuen.
Die größte Gefahr geht wahrscheinlich auch ohne Brexit und Handelskrieg weiterhin von den Finanzmärkten aus- der Dax auf einem Niveau, von dem sie selbst 2007 nur geträumt haben, geht das auf Dauer gut, oder steht uns der wirklich üble Crash noch bevor (wie nach 1929)?
Peter Nemschak
26. Juni 2018 @ 09:29
Wir wissen nicht, wie die USA ihren Wirtschaftskrieg weiterführen wollen und mit welchen Mitteln, vor allem nicht, wer derzeit in der Regierung das Sagen hat (vermutlich der Letzte, der gerade aus dem Büro von Trump kommt). Den Wirtschaftskrieg mit Zöllen und Gegenzöllen zu führen wird auch für die USA rasch teuer werden, da dadurch weltweit Unsicherheit geschürt und das positive Investitionsklima zerstört wird. Die USA müssen sich über die Wirtschaftskriegsziele intern einigen. Bisher wurden sowohl von den USA, der EU und China Instrumente eingesetzt, die auf die Leistungsbilanz wirken (Zölle)und bereits nicht beabsichtigte Nebenwirkungen zeigen. Um europäischen Zöllen zu entgehen, wird zum Beispiel Harley Davidson einen Teil seiner Produktion nach Europa verlegen. Vermutlich wird die europäische Autoindustrie ähnliches in umgekehrter Richtung versuchen. Wenn die USA China daran hindern wollen, ihre Technologieführerschaft anzugreifen, werden vermutlich die nächsten Schritte über die Kapitalbilanz (Investitionsbeschränkungen für bestimmte Industrien im jeweils anderen Land) erfolgen. Angesichts der offenen Grenzen für den Wissenstransfer ist es allerdings fraglich, wie lange die USA China aufhalten können. Am Ende werden die komparativen Vorteile der internationalen Arbeitsteilung auf der Strecke bleiben. Wie immer werden die Armen beiderseits des Atlantiks und Pazifiks stärker als die Reichen darunter leiden.
Peter Nemschak
25. Juni 2018 @ 15:11
@ebo warum soll Deutschland bereits jetzt die nach wie vor gut, wenn auch etwas schwächer, prognostizierte Konjunktur stützen? Das hat mit Schlafwandeln von Merkel nichts zu tun, sehr wohl aber mit Ihrer Abneigung gegen rechtsliberale Wirtschaftspolitik, die nicht wenige Anhänger in Deutschland hat. Ein Nachfolger/in von Merkel aus der CDU würde nicht anders handeln. Italien borgt unter allen Zinsumständen teurer als Deutschland.
Peter Nemschak
25. Juni 2018 @ 11:37
Die Konjunkturabschwächung war nach 8 guten Jahren zu erwarten. Sie wird nicht nur durch die politischen Krisen in Europa sondern auch den Protektionismus von Trump beschleunigt. Entsprechende Maßnahmen zur Gegensteuerung werden den Regierungen auf intergouvernmentaler Ebene nicht erspart bleiben. Dank einer soliden Budgetpolitik während der Hochkonjunktur hat Deutschland eine relativ bessere Ausgangssituation als andere EU-Staaten, die weniger diszipliniert waren.
ebo
25. Juni 2018 @ 12:25
Unsinn. Deutschland ist wegen seiner chronischen Leistungsbilanz-Überschüsse anfälliger als jedes andere Land der Welt für den heraufziehenden Sturm im Welthandel. Die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt wird Merkel dabei auch nicht helfen, sie ist ein absurder Fetisch (vor allem in Zeiten des Nullzinses).
Peter Nemschak
25. Juni 2018 @ 14:16
Deutschland kann sich, wenn notwendig, zur Belebung der Konjunktur extrem günstig verschulden; ein Weg, der anderen Ländern wie Italien nicht offen steht.
ebo
25. Juni 2018 @ 14:29
Doch, auch Italien profitiert von den Niedrigzinsen. Und Deutschland will sich nicht verschulden. Merkel agiert wie eine Schlafwandlerin – an allen Fronten.
Solveig Weise
26. Juni 2018 @ 11:27
Verschuldung per se hat keinerlei Wert aus sich selbst heraus. Es kommt darauf an was man mit den Geldern anstellt, in was man investiert. Deutschland hat auch keinerlei Notwendigkeit sich zu verschulden. Der Gesamtstaat hat im Jahr 2017 über 60 Milliarden Überschuss erzielt. Absoluter Irrsinn! Dieser Überschuss ist ein Treppenwitz der Geschichte uns ist unverzüglich auf Null zu reduzieren. Mit 60 Milliarden kann man viele kluge Dinge anstellen (wenn man den will, Schäuble wollte nie und auch Scholz hat keinen wirtschaftlichen Sachverstand). Aktuell zahlt Italien auf Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit 2,85%.Wenn die EZB QE einstellt und es zu einer massiven Rezession kommt sind die Zinsen dort unten so schnell bei 5% und mehr, dass glaubt man dann kaum.