Deutsch-französische Kernschmelze, britische Systemkrise – und Biontech für Babys

Die Watchlist EUropa vom 21. Oktober 2022. Heute beschäftigen wir uns mit dem EU-Gipfel zur Energiekrise, den deutsch-französischen Spannungen, dem Rücktritt der britischen Premierministerin Liz Truss – und den neuen EU-Sanktionen gegen Iran.

Überschattet von Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich hat beim EU-Gipfel in Brüssel die Suche nach Lösungen für die Energiekrise begonnen. EU-Ratspräsident Charles Michel sprach von einem „Moment der Wahrheit“. Bei dem zweitägigen Gipfeltreffen müsse es endlich gelingen, den Gaspreis zu drücken.

Die EU streitet schon seit einem Jahr über die richtigen Maßnahmen – bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Frankreich und mehr als ein dutzend weitere EU-Länder fordern einen Gaspreisdeckel, Deutschland und die Niederlande stemmen sich dagegen. Streit gibt es auch über die nationale deutsche Gaspreisbremse.

Kanzler Olaf Scholz gab sich bei seiner Ankunft in Brüssel kämpferisch. „Es ist ganz klar, dass Deutschland sehr solidarisch gehandelt hat“, bügelte er die Kritik der EU-Partner am „Doppelwumms“ ab. „Wir sind die größten Unterstützer Europas“, fügte er mit Verweis auf den deutschen Beitrag zum EU-Budget hinzu.

Frust in Frankreich

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Doch daran zweifelt sogar sein engster EU-Partner, der französische Staatschef Emmanuel Macron. Am Vortag des EU-Gipfels hatte Macron die jährlichen deutsch-französischen Regierungskonsultationen abgeblasen. Er begründete dies mit Terminproblemen wichtiger deutscher Minister, in Berlin wurde auf die Herbstferien verwiesen.

Der wahre Grund sind jedoch Meinungsverschiedenheiten in der Verteidigungs- und Energiepolitik. In Paris komme es nicht gut an, dass Scholz US-Kampfjets kauft, statt deutsch-französische Rüstungsprojekte zu fördern, berichtet „Le Monde“. Auch der deutsche Alleingang beim geplanten neuen Luftabwehrsystem stieß Macron sauer auf.

Den größten Zoff gibt es aber in der Energiepolitik. Scholz ärgert sich über die französische Blockade bei der Midcap-Gaspipeline von Spanien nach Deutschland. Macron hingegen ist sauer, weil Scholz ihn nicht in seinen Plan zur deutschen Gaspreisbremse eingeweiht hat und nun auch noch einen EU-weiten Preisdeckel blockiert.

„Deutschland isoliert“

„Es ist nicht gut, dass sich Deutschland isoliert“, sagte Macron zum Auftakt des EU-Gipfels. Er wolle sich bei dem zweitägigen Treffen um europäische Einheit bemühen. Zunächst setzte er sich mit Scholz jedoch zu einem Vier-Augen-Gespräch im Brüsseler Ratsgebäude zusammen.

„Wir reden noch miteinander“ – zumindest dieses Signal ging von der deutsch-französischen Aussprache aus. Ob das reicht, um den EU-Gipfel zu retten, ist jedoch fraglich. Frankreich weiß in der wichtigen Frage eines Gaspreisdeckels die Mehrheit der 27 EU-Staaten hinter sich.

Deutschland ist in der Defensive, gibt sich jedoch wenig kompromißbereit. Einige schwierige Fragen könne man ja auch noch nach dem Gipfel „vertiefen“, sagte Scholz. Nach unbedingtem Willen zur Einigung klang das nicht. Die EU wird Zeuge einer einer deutsch-französischen Kernschmelze

Siehe auch „Blackout vor dem Energie-Gipfel“

P.S. In der Nacht gab es nach 10stündigen Verhandlungen einen Minimalkompromiss: Man einigte sich auf einen „Fahrplan“ für einen Gaspreisdeckel. Der soll aber offenbar nur „temporär“ und „dynamisch“ sein, also keine feste Preisobergrenze! Scholz war dennoch zufrieden – denn er fühlte sich „nicht isoliert, im Gegenteil“...

Watchlist

Wie geht es nach dem Rücktritt der britischen Premierministerin Liz Truss weiter? Die konsersative Tory-Politikerin hat am Donnerstag hingeschmissen, nachdem sie mit unbedachten, von Thatcher inspirierten Steuerplänen eine schwere Finanzkrise ausgelöst hatte. Nun steckt UK in einer Systemkrise, denn sowohl die Märkte als auch die Bürger haben das Vertrauen in die Politik verloren. Obwohl die Torys in den Umfragen weit abgeschlagen sind, wollen sie auch den oder die nächste Premierminister(in) stellen…

Was fehlt

Die Biontech-Spritze für Babys. Die Corona-Präparate der Hersteller Pfizer/Biontech beziehungsweise Moderna dürfen künftig an Babys ab sechs Monaten verabreicht werden, wie die Kommission am Donnerstagabend entschied. Damit folgte sie einer Empfehlung der EU-Arzneimittelbehörde EMA. Wieso Babys vor Corona geschützt werden müssen, wurde nicht mitgeteilt. Welche EU-Staaten bei diesem fragwürdigen Procedere mitmachen, auch nicht – die Entscheidung trifft jedes Land selbst…