Der Wirtschaftskrieg geht in eine neue Phase, die EU-Erweiterung auch
Was bleibt von der Europapolitik der vergangenen Woche? Die EU will die Ukraine zum Beitrittskandidaten erklären. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland schägt auf Deutschland und Frankreich zurück. Und Brüssel und Berlin schweigen zur drohenden Auslieferung von Assange, schon wieder.
Es war wieder eine “historische” Woche. Nach dem Schulterschluß mit US-Präsident Biden im März ist die EU nun eine Allianz mit einem Land im Krieg eingegangen – der Ukraine. Kanzler Scholz ist nach Kiew gereist und hat grünes Licht für den EU-Beitritt gegeben, mit “sofortigem” Kandidatenstatus. Die EU-Kommission konnte da nur noch folgen.
Dieser Beitritt hat jedoch nichts gemein mit der bisherigen Erweiterungspolitik. Die EU hat die bisher maßgeblichen Kopenhagener Kriterien fallen lassen und eine geopolitische Wende vollzogen.
Für die Ukraine bringt das, bis auf Symbolik, erstmal gar nichts. Bis zum Beginn von Beitrittsverhandlungen können Jahre vergehen. Doch im Hintergrund hofft Präsident Selenskyj auf Geld und (militärischen) Beistand.
Das Scheitern der Sanktionen
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Wesentlich schneller vollzieht sich nach meinem Eindruck die Wende im Wirtschaftskrieg gegen Russland. In den USA spricht man nun offen über das Scheitern der Sanktionen und die negativen wirtschaftlichen Folgen.
Kremlchef Putin kann es sich sogar leisten, den westlichen “Blitzkrieg” öffentlich zu verhöhnen. Gleichzeitig nähert er sich immer mehr China, Indien und Afrika an – und erklärt das Ende der “unipolaren Weltordnung”.
Nur in EUropa hat man den Schuß noch nicht gehört. Obwohl die Sanktionen die Energieversorgung gefährden, die Inflation treiben und nun sogar auf Deutschland und Frankreich durchschlagen, ist kein Umdenken in Sicht.
Im Gegenteil: Wirtschaftsminister Habeck erklärt sein Scheitern zum Erfolg und schwört die Bürger auf Energiesparen an, Motto: neue Duschköpfe gegen Putin. Derweil fordert Polen noch mehr Sanktionen…
London will Assange ausliefern
Was war noch? Großbritannien will, wie befürchtet, den Wikileaks-Gründer Assange in die USA überführen. Der EU-Kommission und der Bundesregierung ist dies, wie erwartet, egal.
Außerdem bricht London einen Streit über das Nordirland-Protokoll aus dem Brexit-Vertrag vom Zaun. Er könnte in einen offenen Handelskrieg zwischen der EU und UK münden.
Das ist genau das, was uns jetzt noch gefehlt hat…
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“Ukraine steuert auf Niederlage zu”
Die Stimmung in Brüssel kippt. Nachdem man lange auf einen “Sieg” der Ukraine gesetzt hatte, redet man nun über eine mögliche Niederlage.
MehrAus dem Fall Varoufakis wird ein Fall Faeser
Warum wurde dem prominenten EU-Politiker ein Maulkorb verpasst? Die Bundesinnenministerin schweigt – und geht auf Kollusionskurs mit EU-Recht.
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Wie reagiert die EU auf den massiven militärischen Angriff Irans auf Israel? Mit zwei Stimmen – und teilweise auch noch falsch. Der Auslöser der Attacke wird einfach ausgeblendet.
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Kleopatra
19. Juni 2022 @ 09:47
Wirtschaftiche Sanktionen können nur sehr langsam wirken, deshalb ist es für eine Bewertung nach vier Monaten zu früh; allerdings ist es klar, dass sie auch dem schaden, der sie durchführt, deshalb ist die Hauptfrage, ob es um eine wirklich wichtige frage geht. Putins großspurige Äußerungen hinwiederum sollte man nicht mit Fakten gleichsetzen. Was schließlich Großbritannien angeht, so ist das kein EU-Mitglied mehr, und deshalb braucht die Kommission sich nicht zu Dingen zu äußern, zu denen sie sich bei einem Mitgliedstaat sehr wohl äußern würde.
ebo
19. Juni 2022 @ 11:08
Leider Nein. Als UK noch Mitglied war, hat sich die Kommission auch nicht zu Assange geäußert.
Stattdessen prangert sie jede Menschenrechtsverletzung in Venezuela oder Sri Lanka an…
Kleopatra
20. Juni 2022 @ 06:28
Als das VK noch Mitglied war, war vor allem der schwedische Auslieferungsantrag wegen Sexualdelikten aktuell, und dass die Kommission gegen den nicht aufgetreten ist, braucht niemanden zu wundern (damals ging es ja vor allem noch um die Frage, ob Schweden Assange danach an die USA ausliefern könnte). Außerdem war bis Anfang 2019 Obama Präsident, der möglicherweise gnädiger aufgetreten wäre (Begnadigung Manning). Hingegen stand der Austritt Großbritanniens seit Juni 2016 fest.
ebo
20. Juni 2022 @ 10:15
Heute kam das – ohne ein Wort zu Assange. Übrigens hat Deutschland gerade den G7-Vorsitz, und UK gehört dem Club weiter an…