Der weite Weg zum “Bruttoinlandsglück”

Nach der EU-Kommission fordert nun auch das Europaparlament, den gesellschaftlichen Wohlstand nicht mehr nur über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu messen. Man brauche einen neuen Indikator, der auch Klima- und Umweltschutz, sozialen Fortschritt oder die Qualität von Arbeit erfasst, heißt es in einem Bericht der Straßburger Kammer.

Wie das „Bruttoinlandsglück“ gemessen und wie es genutzt werden soll, bleibt jedoch offen. Zunächst wollen sich die Europaabgeordneten mit einer jährlichen Umweltbilanz begnügen, die dann später zu einem umfassenden Wohlfahrtsindex ausgebaut werden könnten. “Die neuen EU-Umweltbilanzen sind dafür ein wichtiger Mosaikstein”, sagte der Chef des Umweltausschusses, Leinen (SPD). 

Die Kritik am BIP ist nicht neu. Bereits 2009 hatte Frankreichs Staatchef Sarkozy gefordert, Alternativen zum BIP zu entwickeln. In einem Bericht kritisierte Wirtschafts-Nobelpreisträger Stiglitz, dass das BIP auch wächst, wenn sich Bankiers bereichern, während die breite Masse stagnierende Einkommen hinehmen muss. Das offizielle BIP der USA sei um fünf Prozent zu hoch – wegen der hohen Kosten des Gesundheitssystems. 

Angesichts der aktuellen Schuldenkrise läge es nahe, die Kritik noch zuzuspitzen. Neben den Kosten der Verschuldung könnten auch die Kosten der rigorosen Sparprogramme berechnet werden. So hat der Sparkurs in Griechenland nicht nur das offizielle BIP in den Keller geschickt, sondern gleichzeitig enorme die gesellschaftlichen Kosten verursacht – unter anderem zu Lasten griechischer Frauen, wie die New York Times berichtet. 

Dies hieße jedoch, die marktliberale Grundorientierung der EU in Frage zu stellen und die „Hilfsprogramme“ für die Krisenländer zu überdenken. So weit will das Europaparlament denn doch nicht gehen. Das neue BIP soll das alte nur ergänzen, nicht ablösen. Der Umweltausschuss, der die Initiative übernommen hatte, möchte vor allem Umweltkosten des Wachstums in die gesellschaftliche Gesamtrechnung mit aufnehmen; soziale Kosten spielen (noch) eine Nebenrolle.

Erste konkrete Vorschläge werden zudem erst 2012 erwartet. Bis dahin wird das in Finanz- und Schuldenkrise kompromittierte BIP wohl weiter die Debatten beherrschen – vor allem in Deutschland, wo man den „Aufschwung XL“ (Brüderle) ja auch im BIP-Wachstum misst…