Der Weg der EU in den Krieg (8): Rhetorische Aufrüstung
Am 9. Dezember 2012 bekam die EU den Friedensnobelpreis. Knapp elf Jahre später unterstützt sie die Ukraine im Krieg gegen Russland. Wie konnte es dazu kommen? Was waren die wichtigsten Wendepunkte? Ein kritischer Rückblick in zehn Folgen. – Teil 8: Die rhetorische Aufrüstung.
Nach der Übernahme ukrainischer Positionen ist der Ruf nach Frieden in der EU verstummt. Schwedens Regierungschef Kristersson sprach sich Anfang 2023 im Namen des EU-Ratsvorsitzes für einen “Sieg” der Ukraine gegen Russland aus – und nahm das Wort “Frieden” nicht mehr in den Mund. Was war passiert?
- Zum einen hatten sich die USA von einer friedlichen Beilegung des Ukraine-Konflikts verabschiedet. Als Präsident Selenskyj kurz vor Weihnachten seinen Blitzbesuch in Washington machte, war nirgendwo von Frieden die Rede. Die US-Politiker gaben sich ganz der Illusion hin, die Ukraine könne mit ihrer Hilfe gegen Russland siegen.
- Zum anderen hatte die Ukraine rhetorisch aufgerüstet. In Kiew forderte man zu Beginn des neuen Jahres nicht mehr nur die Räumung der russisch besetzten Gebiete. Beflügelt durch militärische Erfolge und westliche Waffen-Lieferungen, ging es um nicht weniger als das “Ende des russischen Empires”.
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Da wollte der neue schwedische Ratsvorsitz offenbar nicht nachstehen. Getrieben von der triumphalen Rhetorik in den USA und in der Ukraine – und vor dem Hintergrund des geplanten schwedischen Nato-Beitritts – verzichtete Kristersson darauf, Frieden als (und sei es noch so fernes) Ziel zu nennen.
Das bedeute allerdings nicht, dass die EU keine Friedenslösung mehr anstrebe, heißt es in Brüssel. Man wolle schon Frieden – nur eben einen gerechten Frieden, zu ukrainischen Bedingungen. Doch selbst dies wäre eine Zeitenwende für die ehemalige Friedensunion. Bisher war Frieden immer der unabdingbare Horizont.
Frieden war sogar einmal die “raison d’être” der EU. Durch immer engere wirtschaftliche Zusammenarbeit und Zusammenlegung von rüstungsrelevanten Industrien sollte der Friede in Europa dauerhaft gesichert werden, hieß es in den 50er und 60er Jahren. Die deutsch-französische Aussöhnung galt als Vorbild.
Deutsch-französische Lehren vergessen
Heute denkt in Brüssel niemand mehr daran, dass sich auch Russland und die Ukraine eines schönen Tages aussöhnen könnten. Sogar für ferne Regionen rückt Frieden in den Hintergrund. So lässt die EU klammheimlich ihr langjähriges Ziel fallen, den Iran auf friedlichem Wege vom Bau der Atombombe abzuhalten.
Statt um “Frieden” geht es mehr und mehr um “Freiheit” – ganz so, wie es US-Präsident Biden bei seiner Rede in Warschau im Februar 2023 vorgab. Die “freie Welt” steht gegen “die Autokraten” in Russland, China und Iran – das ist das neue Narrativ, das sich auch in Brüssel durchsetzt.
Damit steht die EU noch nicht im Krieg. Doch zumindest rhetorisch ist sie ihm ein großes Stück näher gerückt. Denn der Krieg gegen Russland schreibt sich nun in ein größeres, westliches Projekt ein. Leider dauern Kriege “für die Freiheit” meist sehr lange, oft sind sie besonders verheerend…
Die anderen Teile dieser Serie finden sich hier
P.S. In Deutschland treibt die rhetorische Aufrüstung ganz besondere Blüten. Wer vom neuen Narrativ abweicht und sich für Verhandlungen und Frieden ausspricht, wird als “Putin-Versteher”, “Lumpen-Pazifist” oder Ähnliches verunglimpft. Im Panzerstreit wurde auch die EU in Stellung gebracht – fälschlich, wie sich hinterher zeigte. – Mehr dazu hier
Hekla
7. März 2023 @ 14:41
Der Wunsch nach einem “gerechten Frieden” ist eigentlich dafür prädestiniert, einen ewigen Krieg nach sich zu ziehen. Wann ist ein Frieden gerecht? Gibt es historische Präzedenzfälle für Frieden, die von allen Konfliktteilnehmern als gerecht empfunden worden sind? Lässt sich Gerechtigkeit überhaupt nach objektiven Maßstäben beurteilen? Wie gerecht muss ein Frieden sein, um als gerechter Frieden zu gelten? Wer entscheidet überhaupt, was als gerecht gilt?
Und wenn es nunmehr um Freiheit gehen soll, kann man sich ebenso in langen philosophischen Disputen verlieren…
Besorgniserregend, wenn statt konkreter Ergebnisse nur wolkige Idealvorstellungen als zu erreichende Kriegsziele ausgegeben werden. Das erinnert mich an Kafkas “Das Schloss” oder an den Sozialismus: unendliche Anstrengungen und Opfer ohne Ende, aber man kommt trotzdem niemals mal am Ziel an.
european
7. März 2023 @ 13:58
Clare Daly und Mick Wallace von den irischen Linken im EU-Parlament haben dazu vor drei Tagen einen hoechst interessanten Artikel mit vielen Links auf Braveneweurope eingestellt. Auch diese Militarisierung ist nicht so einfach ueber uns gekommen, sondern es steckt wesentlich mehr dahinter: “Clare Daly, Mick Wallace – The EU’s Turn To Militarism”
https://braveneweurope.com/clare-daly-mick-wallace-the-eus-turn-to-militarism
“The European Defence Fund has an interesting backstory. An advisory body was set up in 2015 by the European Commission, to advise on how to design EU defence industrial policy. It was called the High Level Group of Personalities on the Preparatory Action for Defence-related Research. Ideally such a body would be made up of neutral experts, who did not stand to benefit from the advice they would give the Commission. As documented by watchdog groups, the Group was instead packed with the CEOs of major European defence contractors: Airbus, MBDA, BAE Systems, Saab, TNO, Leonardo, Indra and Fraunhofer. Another member was from Aeronautics, Space, Defence and Security Industries, the major lobbying organisation in Europe for defence contractors.”
Warum also in die Ferne sehen wo das Gute doch so nahe liegt? Wir haben unseren eigenen militaerisch-industriellen Komplex, der ein hoechstes Interesse daran hat, dass wir brav ihre Kriege fuehren, damit deren Kasse klingelt.
Arthur Dent
7. März 2023 @ 00:14
das moderne Völkerrecht kennt eigentlich kein „Recht auf Krieg“, nur eine Verpflichtung zum Frieden (siehe Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten).
Einen unverstellten und nüchternen Blick auf die Gemengelage haben eher der amerikanische General Milley und der ukrainische General Zaluzhnyi. Mit Art und Umfang der Waffenlieferungen kann Zaluzhnyi nur wenig bis gar nichts anfangen. Er hat 300 Kampfpanzer, 500 Schützenpanzer und 500 Panzerhaubitzen gefordert – bekommen hat er zwei bis drei Dutzend Kampfpanzer (erst einmal zugesagt) und mit der Munition soll er ja auch sparsam umgehen – wie soll er also in die Offensive gehen? Ich denke, die Politik ist hier völlig weltfremd. Man muss Verhandlungen ins Auge fassen, die Ausgangsbedingungen für die Ukraine sind meiner Meinung nach jetzt allerdings wesentlich schlechter als im vergangenen Sommer.
KK
6. März 2023 @ 18:00
“Statt um “Frieden” geht es mehr und mehr um “Freiheit””
Und Freiheit kostet – ein wirtschaftlich ruiniertes EUropa und weite Teile seiner Bevölkerung werden sich die Freiheit, die ihnen generös vom jeweiligen POTUS und dessen Hofschranzen in Brüssel und den Hauptstädten EUropas gewährt wird, schlicht und ergreifend nicht leisten können.
Wenn alles Geld für Nahrung, Wohnen und Heizen draufgeht – bzw. noch nicht einmal dafür ausreicht – ist das Ausleben irgendwelcher Freiheiten faktisch nicht möglich.
Alexander
6. März 2023 @ 18:22
@KK
“ein wirtschaftlich ruiniertes EUropa”
Es gibt ein Buch von John Perkins, in dem er seine Erfahrungen als ‘Economic Hit Man’ schildert. Mittlerweile scheinen solche Leute direkt in Marionettenadministrationen zu sitzen?
Aus der bei politischen Themen fragwürdigen Wikipedia:
“Staatschefs, die sich auf solche Deals nicht einlassen wollten, seien von den USA mit geheimdienstlicher Hilfe aus dem Weg geräumt worden. Perkins nennt in seinem Buch explizit die früheren Präsidenten Panamas und Ecuadors, Omar Torrijos und Jaime Roldós, die beide 1981 bei Flugzeugabstürzen ums Leben kamen.”
Och?
umbhaki
6. März 2023 @ 21:31
@Alexander
Genau dieser Gedanke ist mir in den letzten Jahren auch schon häufiger gekommen. Die Wahl, vor die Entscheidungsträger durch diese „Economic Hitmen“ gestellt werden, ist ja, simpel ausgedrückt diese:
„Mach‘, was wir von dir erwarten, und wir sorgen dafür, dass es dir gut gehen wird, du ’nen Haufen Kohle verdienen wirst und sicher sein wirst.
Entscheidest du dich gegen unsere Pläne, können wir leider nichts für dich tun. Du solltest wissen, die Welt da draußen ist ziemlich gefährlich …“
Perkins hat das für Südamerika dokumentiert, dort haben er und seine Kollegen wohl auch recht heftig geholzt.
Mafia eben. Wie eng diese mit der US-Elite verbunden ist, kann man hier studieren:http://us-politik.ch/ (leider kein verschlüsselter Zugang)
Aber, nur mal so als Beispiel: der mysteriöse Mord an Olof Palme 1986 konnte doch auch nie aufgeklärt werden, oder? Und dass es umgekehrt jenen Politikern, die den Willen der USA hier in Europa vollziehen, recht gut zu gehen scheint, ist doch auch nicht zu übersehen.
Alexander
6. März 2023 @ 22:10
@umbhaki:
“Aber, nur mal so als Beispiel: der mysteriöse Mord an Olof Palme 1986 konnte doch auch nie aufgeklärt werden, oder?”
Ein weiteres Beispiel ist der Fall Enrico Mattei. Dolle Geschichte!