Der Weg der EU in den Krieg (6): Das Beitritts-Versprechen
Am 9. Dezember 2012 bekam die EU den Friedensnobelpreis. Knapp elf Jahre später unterstützt sie die Ukraine im Krieg gegen Russland. Wie konnte es dazu kommen? Was waren die wichtigsten Wendepunkte? Ein kritischer Rückblick in zehn Folgen. – Teil 6: Das Beitritts-Versprechen.
Ein entscheidender Schritt auf dem Weg in den Krieg war die Entscheidung, der Ukraine den Kandidatenstatus für den EU-Beitritt zu gewähren. Sie fiel im Juni 2022 – vier Monate nach Beginn des Krieges.
Denn mit dieser Entscheidung, gegen die sich Deutschland und Frankreich lange sträubten, wird aus einem fernen und begrenzten Konflikt in der Nachbarschaft plötzlich ein Krieg um die EU und ihre Werte.
Außerdem bekommt die Erweiterungspolitik einen ganz neuen, brisanten Fokus: Statt den Frieden in ganz Europa zu sichern und einen “Ring von Freunden” zu schaffen, richtet sie sich fortan gegen Russland.
Last but not least erlaubt es der Kandidatenstatus, neue brandgefährliche Narrative zu stricken – wie jenes, “Putin” führe Krieg gegen die EU oder auch, die EU und die Ukraine seien praktisch schon eins.
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Wie konnte es dazu kommen? Und was sind die praktischen Folgen des Beitrittsversprechens, das erstmals in der EU-Geschichte mitten im Krieg ausgesprochen wurde?
Wie schon bei den Sanktionen, spielte Kommissionschefin von der Leyen auch beim Beitrittsversprechen eine Schlüsselrolle. Sie überbrachte den Antrag in Kiew und füllte ihn am Ende wohl auch selbst aus.
Obwohl das Land kein einziges der zentralen Beitrittskriterien erfüllt – Frieden, sichere Grenzen, wirtschaftliche und politische Stabilität, Demokratie, Rechtsstaat, Abwesenheit von Korruption etc. – gab von der Leyen grünes Licht.
Scholz und Macron sind eingeknickt
Am Ende sind auch Kanzler Scholz und Präsident Macron eingeknickt. Noch beim EU-Sondergipfel in Versailles im März 2022 waren sie gegen den Kandidatenstatus. Doch der öffentliche Druck wurde zu groß.
Die Ukraine brauche die EU-Perspektive, weil sie so heldenhaft die westlichen Werte verteidige , hieß es – und um im Krieg noch länger durchzuhalten. In Wahrheit ging es wohl vor allem um Geld und Waffen.
Denn mit der Beitrittsperspektive sind Vorbeitrittshilfen verbunden. Ohne EU-Finanzspritzen wäre die Ukraine längst pleite. Und ohne Waffen aus dem Westen hätte sie den Krieg gegen Russland schon verloren…
Brüssel bindet sich mehr als Kiew
Bemerkenswert ist, dass der Beitritt die Ukraine kaum, die EU hingegen umso mehr bindet. Denn das EU-Versprechen wurde nicht an naheliegende Konditionen gebunden, wie ein Ende des Krieges und sichere Grenzen.
Indem Brüssel auf jede Konditionierng verzichtete, stellte es Kiew einen Freibrief aus. So heißt es bis heute, Präsident Selenskyj müsse selbst entscheiden, wie er den Krieg führt und wann er endet.
Umgekehrt soll die EU aber alle ukrainischen Kriegsziele übernehmen und die damit verbundenen Wünsche (Waffen, Geld, humanitäre Hilfe etc.) erfüllen. Damit macht sich Brüssel de facto von Kiew abhängig.
Die EU verstrickt sich immer tiefer in einen Krieg, der jenseits ihrer Grenzen begonnen hat. Zugleich verändert sich ihr Charakter – weg von der paneuropäischen Friedensunion und hin zum Bollwerk gegen Russland…
Die anderen Teile dieser Serie finden sich hier
P.S. Der Kanidatenstatus bedeutet noch nicht, dass die Ukraine tatsächlich EU-Mitglied wird. Genauso gut kann der Prozess im Nirgendwo enden, wie in der Türkei. Bisher haben noch nicht einmal die Beitrittsverhandlungen begonnen…
KK
2. März 2023 @ 12:41
@ ebo:
“So ist es. Erschwerend kommt hinzu, dass das Parlament bei Impfstoff-Verträgen, Wiederaufbaufonds und der “Friedensfazilität” für den Krieg gar nichts zu melden hat.”
Beim Brexit und somit auch beim Nordirland-Protokoll aber schon, oder sehe ich das falsch?
KK
2. März 2023 @ 12:39
@ ebo:
„Ja, man kann von der Leyen aus dem Amt entfernen. Doch niemand will es…“
Vielleicht sollten wir mal den Souverän, die EUropäer, fragen, was sie wollen… könnte zB jemand, der ordentlich vernetzt und fremsprachenfest ist, eine Petition auf EU-Ebene starten? Gewählt hatte sie ja eh schon keiner, Wahlen sind also hierfür nicht geeignet: nirgends sonst wie auf EU-Ebene sind Wahlen eine derartige Farce.
Wenn das möglich wäre, müssten sich doch sicher Vorreiter finden lassen…
Annette Hauschild
2. März 2023 @ 11:46
Hat das EP nicht fast alles gnadenlos abgesegnet, was die Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU), gemacht hat? Warum sollte es sie dann entmachten?
ebo
2. März 2023 @ 11:52
So ist es. Erschwerend kommt hinzu, dass das Parlament bei Impfstoff-Verträgen, Wiederaufbaufonds und der “Friedensfazilität” für den Krieg gar nichts zu melden hat. Bei den zentralen Fragen ist es aussen vor
KK
2. März 2023 @ 03:31
„Obwohl das Land kein einziges der zentralen Beitrittskriterien erfüllt – Frieden, sichere Grenzen, wirtschaftliche und politische Stabilität, Demokratie, Rechtsstaat, Abwesenheit von Korruption etc. – gab von der Leyen grünes Licht.“
Hat das EU-Parlament oder sonst irgendwer (zB die Justiz) eine Handhabe, die aktuelle EUCO-Präsidentin wegen fortgesetzter Verstösse gegen den Lissabon-Vertrag und Überschreiten aller Machtbefugnisse endlich ihres Amtes zu entheben?
Immerhin hat sie u.a.
– während der Corona-Krise die Gesundheitspolitik, die – aus guten Gründen – ausdrücklich und immer in nationaler Verantwortung lag, an sich gerissen
– in dem Zuge völlig einen intransparenten und wegen (neuerlich, wir kennen das von ihr ja schon als deutsche Verteidigungsministerin) gelöschter SMS nicht mehr nachvollziehbaren milliardenschweren Pharmadeal mit einem US-Unternehmen geschlossen
– entgegen des ausdrücklichern Verbots im Laissabon-Vertrag Waffenkäufe angekündigt
– wie oben geschildert die Ukraine faktisch im Alleingang gegen alle Regeln zum Beitrittskandidaten gekürt, was die europäischen Steuerzahler weitere Milliarden ohne jede haltbare Rechtsgrundlage kosten wird und das einstige „Friedenprojekt“ EU vielleicht sogar in einen Krieg mit Russland zieht
und last but not least erst Anfang dieser Woche
– ohne Beteiligung der Kommission und des EU-Parlaments das Nordirland-Protokoll völlig intransparent und, wie ich herauslese, zum Nachteil der EU und seines Binnenmarktes und zum alleinigen Vorteil des UK mit dem britischen PM im stillen Kämmerlein nachverhandelt
Diese Frau ist völlig grössenwahnsinnig und gehört umgehend aus ihrem Amt entfernt, damit sie EUropa nicht noch tiefer in die Scheisse reitet!
ebo
2. März 2023 @ 09:27
Ja, man kann von der Leyen aus dem Amt entfernen. Doch niemand will es – denn das würde nur der AfD /den Nationalisten und Putin nützen. So argumentieren sogar Grüne und Sozialdemokraten, die sie stützen! Das Europaparlament hat seine Kontrollfunktion an den Nagel gehängt, seit Corona und dem Krieg gibt es keine Checks and Balances in der #EU mehr