Verkappter Handelskrieg, vager Gaspreisdeckel – und verhasster Brexit
Die Watchlist EUropa vom 18. November 2022. – Heute mit dem unerklärten Handelskrieg der USA gegen die EU, der Sorge von SPD-Chef Klingbeil, einem vagen Vorschlag für die Gaspreisbremse – und dem Frust über den Brexit.
Ausgerechnet die USA richteten ihre Wirtschaftspolitik mit strengem Protektionismus „gegen uns“ aus, warnt SPD-Chef Lars Klingbeil nach einem Besuch in Washington. Präsident Joe Biden unterscheide dabei nicht zwischen Europa und China. Klingbeil sieht die Gefahr, dass Unternehmen von Deutschland nach Amerika abwanderten. Die „Gefahr einer De-Industrialisierung in Deutschland ist real“, sagte Klingbeil der “Welt”.
Das sieht man auch in der Wirtschaft so. Europa verliere als Standort kontinuierlich an Attraktivität, betonte BASF-Chef Martin Brudermüller im “Handelsblatt” – nicht nur gegenüber China, sondern auch im Vergleich mit den USA und dem Mittleren Osten. Die Gaspreise seien “längerfristig etwa dreimal so hoch wie in den USA“.
Ein weiteres Problem ist der “Inflation Reduction Act” (IRA). Damit bekämpfen die Amerikaner die Inflation – und die Konkurrenz aus EUropa. Der IRA enthält nicht nur massive Subventionen. Er bevorzugt auch Unternehmen, die in den USA produzieren.
Dies sei mit dem WTO-Recht nicht vereinbar, sagt der Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD). Es drohe ein Handelskrieg, die EU müsse entschieden dagegenhalten.
Doch Brüssel unternimmt – nichts. Die EU-Kommission will den Streit in einer neuen transatlantischen “Taskforce” ansprechen, die aber erst Anfang Dezember tagt. Eine mögliche WTO-Klage wird auf die lange Bank geschoben.
Lindner steht auf der Bremse
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Verantwortlich dafür ist vor allem Deutschland. Die größte Exportnation hat zwar am meisten zu verlieren, ist jedoch auch am zögerlichsten bei der Gegenwehr. Finanzminister Christian Lindner steht auf der Bremse.
Wegen neuer Gesetze der US-Regierung sei er besorgt, dass es eine noch stärkere Blockbildung im Handel geben könnte, sagte der FDP-Chef. Die US-Maßnahmen sollten aber nicht automatisch zu Vergeltung führen.
“Das Gegenteil müsste passieren”, so Lindner. Europa müsse noch stärker das Gespräch mit der Regierung in Washington suchen. Wertepartner sollten auch bevorzugte Handelspartner sein.
Klingbeil will “Vereinbarungen”
Dabei macht Lindner einen Fehler: Er verwechselt Werte mit Interessen. Die USA sind nicht so naiv. Sie setzen ihre Interessen knallhart durch – nicht nur beim IRA, sondern auch in anderen Fragen (mehr dazu hier)
Und was sagt Genosse Klingbeil? Er distanziert sich von Frankreich, das den Handelskrieg offen anspricht: “Diesen Begriff werde ich mir nicht zu eigen machen”. Sein Vorschlag: “Wir sollten über neue Handelsvereinbarungen sprechen.”
Die USA machen Wirtschaftspolitik “gegen uns” – und wir bitten um neue Vereinbarungen? Biden und seine “Buy-America”-Administration lachen sich schlapp…
Siehe auch “Handel und Sanktionen: Wie sich die EU von den USA vorführen lässt”
Watchlist
Kommt doch noch ein EU-weiter Gaspreisdeckel? Die EU-Kommission hat nach monatelangem Zögern einen vagen Vorschlag vorgelegt. Der Deckel würde greifen, wenn der Preis am niederländischen Handelsplatz TTF einen vorher festgelegten Höchstwert erreicht und gleichzeitig die Preise am Weltmarkt für Flüssiggas übersteigt. Ab welchem Wert der Mechanismus ausgelöst würde, ist offen. Um Engpässe zu vermeiden, sollte der Preisdeckel jederzeit außer Kraft gesetzt werden können, heißt es in dem Papier. Wow!
Was fehlt
Der Frust über den Brexit. 56 Prozent der Menschen in Großbritannien würden den Brexit mittlerweile für einen Fehler halten, teilte das Meinungsforschungsinstitut Yougov mit. Die Zustimmung fiel im Gegenzug auf 32 Prozent. Das sei die bisher größte gemessene Differenz. Von denjenigen, die beim Referendum 2016 für den Austritt gestimmt hatten, halten nur noch 70 Prozent an ihrer damaligen Meinung fest – so wenige wie noch nie. Ob es am Brexit liegt – oder am Chaos-Kurs der regierenden Tories?
Thomas Damrau
18. November 2022 @ 08:28
Der EU ist das Opfer einer Gehirnwäsche. Typisch ist, was Wolfgang Schäuble laut SPON ( https://www.spiegel.de/ausland/news-zum-russland-ukraine-krieg-das-geschah-in-der-nacht-zu-freitag-18-november-a-63bebb9f-072c-43db-9c3d-bb3ef10960ac ) geäußert hat: “Mir wolldet es net sähe. Mir häddet uff Kaschinsky hööre solle. Unn die Märgel sollde sich au enschuldige.”
Die Gehirnwäsche begann mit einer absichtlichen Fehlinterpretation des Konzepts “Wandel durch Handel.” Dieses Konzept wird mit der Erwartung überstrapaziert, dass durch Handel die Handelspartner so werden “wie Wir”. Realistisch ist: Handel hilft, die Gesellschaft des Partners kennenzulernen, und kann die Frage aufwerfen “Warum machen wir das nicht auch so?” Aber natürlich nicht im Sinne von “Die sollen fleißig von Uns lernen.” und “Schaut mal, wie bei Uns die Industriebosse die Regierungen im Westen am Nasenring durch die Manege führen. Wollt ihr das nicht auch?”
Als nächstes kam der Begriff “Abhängigkeiten” auf den Index. Dabei sind WECHSELSEITIGE Abhängigkeiten durchaus Friedens-fördernd: “Ich schieße mir nicht meine Kunden weg.” (Im Gegensatz zu @Kleopatra glaube ich nicht, dass die Fertigstellung von NS2 Putin zum Krieg motiviert hat – sondern eher die Dauerblockade von NS2, mit der die USA und Teile der EU signalisiert haben, dass Russland aus dem Spiel genommen werden sollte: “Viel schlechter wird es durch Krieg auch nicht werden.”)
Der dritte Teil der Gehirnwäsche war die Diffamierung jedes Deeskalationsversuches. Das begann 2014, als Victoria Nuland für die Versuche Frankreichs und Deutschlands, eine friedliche Machtübergabe in der Ukraine zu organisieren, nur ein “Fuck-EU” übrig hatte, ohne dass sich die “Fucked-EU” dagegen positioniert hätte. Wurde fortgeführt mit der Sabotage von Minsk II (“blöde Idee”), ohne eine Idee zu liefern, was man stattdessen tun solle – außer die Ukraine soweit militärisch aufzurüsten, dass Selenskyj 2021 die Rückeroberung der Krim ankündigen konnte. Und 2022 musste jeder, der sich früher um Deeskalation bemüht hatte, Abbitte leisten: “Oh, wie war ich verblendet”. Und wer das Wort Friedensverhandlungen in den Mund nahm, wurde standrechtlich erschossen.
Und nachdem den europäischen Eingeborenen der Kopf ordentlich geleert wurde, bleiben sie ratlos zurück: Was bleibt uns Kindern übrig, als den weisen Worte des Großen Weißen Vaters in Washington zu lauschen und zu hoffen, dass der Weiße Vater noch einmal Gnade walten lässt? Darauf einen Schluck Feuerwasser!
ebo
18. November 2022 @ 09:10
In meinem Politikstudium war “Interdependenz” noch was Gutes. Heute schaut man nur noch auf die Dependenz…
european
18. November 2022 @ 14:06
Es ist eine Schande, dass Wolfgang Schaeuble ueberhaupt noch im Bundestag sitzt. Fuer das, was er da in Griechenland durchexerziert hat, gehoert er eigentlich vor Gericht. Es ist nicht an ihm, Entschuldigungen von anderen einzufordern. Es ist zum k*tzen.
H. Flassbeck beschreibt immer ein sehr treffendes Bild, wenn es um die Welt geht: Die Welt ist eine geschlossene Volkswirtschaft, was nichts anderes bedeutet, als dass niemand auf dieser Welt unabhaengig ist. Es erklaert auch wunderbar die Zusammenhaenge zwischen Sparen und Schulden, Ueberschuessen und Defiziten, Handel und Nichthandel uvm. Nichts kommt vom Mond. Alles, was passiert, passiert genau hier.
Winston Churchill hat wunderbare Saetze insbesondere ueber die Deutschen gesagt:
“Man hat die Deutschen entweder an der Gurgel oder zu Fuessen”
Aktuell schaffen wir beides. Wir liegen den Amerikanern zu Fuessen und gehen anderen Laendern an die Gurgel. Wir missionieren, was das Zeug haelt, voller Selbstueberschaetzung, Ignoranz, Arroganz. Fuer den Nabel Europas haben wir uns schon immer gehalten. Und jetzt gehen wir auf Erziehungsmission und schmeissen 70 Jahre aktive und erfolgreiche Friedenspolitik ueber den Haufen.
Es wuerde helfen, mal in USA Nachrichten zu sehen oder mal den Leuten zuzuhoeren. Germany? Great Country? My Grandfather was German. They have a nice castle. Looks like Disneyland but I just can’t recall the name. (Diesen Dialog habe ich uebrigens selbst dort gefuehrt. Das ist keine Erfindung) Deutschland von USA aus betrachtet ist winzig klein. Ein Punkt auf der Landkarte. Unbedeutend. Eine groessere EU waere bedeutender und deshalb ist sie nicht gewollt. Wie sagte Trump? “EU? There is no EU? Just a bunch of single countries.” Nuland braucht man nicht mehr erwaehnen.
„Das ist der größte Vorwurf an die Deutschen: Dass sie trotz ihrer Intelligenz und trotz ihres Mutes immer die Macht anhimmeln.“ Winston Churchill
Trifft aktuell auf einige unserer Politiker zu, wobei ich das mit der Intelligenz deutlich in Frage stellen wuerde. Narzistische Machtbesessenheit gepaart mit Korruptionsbereitschaft traefe es eher.
Und zum Schluss:
„Politiker denken an die nächste Wahl, Staatsmänner an die nächste Generation. Wir brauchen mehr Staatsmänner.“ Winston Churchill
Aktuell sehe ich weder im deutschen Parlament noch in der EU irgendeinen Staatsmann.