Der vergessene Europatag

Am 9. Mai ist Europatag – eine ganz wunderbare Gelegenheit, das Projekt Europa zu feiern und der Gesellschaft näherzubringen. Die Tatsache, dass jedoch fast niemand überhaupt nur von der Existenz eines Europatages weiß zeigt, wie wenig dafür getan wird ein „Gefühl Europa“ zu fördern – ein Gastbeitrag.

Von Theresa Fervers* 

Vor knapp einem Jahr schrieb Bono einen Gastbeitrag für die FAZ mit dem Titel „Europa ist eine Idee, die zum Gefühl werden muss“. Begeistert von dieser Liebeserklärung an Europa zitieren auch EU-Politiker diesen Ausspruch häufig und gerne, besonders im Zuge der anstehenden Europawahlen. Doch was wird faktisch dafür getan, dieses Gefühl spürbar zu machen? Und wo kann man diese europäische Kultur konkret erleben? 

Die ideale Gelegenheit hierfür würde sich beispielsweise am 9. Mai bieten – dem offiziellen Europatag. Es ist der Tag der historischen Schuman-Erklärung, die gemeinhin als „Geburtsurkunde“ der EU gilt. Am Europatag soll daher der Frieden und die Einheit der EU gefeiert und der Öffentlichkeit näher gebracht werden. Das große Problem hierbei ist jedoch, dass die Öffentlichkeit in aller Regel gar nichts von der Existenz eines Europatages weiß; geschweige denn, wann und wo entsprechende Veranstaltungen oder Feierlichkeiten stattfinden würden.

Dieses Unwissen steht sinnbildlich dafür, wie wenig Europa tatsächlich „gefühlt“ wird und ganz besonders dafür, wie wenig dafür getan wird, damit sich das ändert. Es gäbe eine Vielzahl an Möglichkeiten diesen Tag europaweit zu feiern – an Schulen, Universitäten, mit Konzerten, öffentlichen Debatten oder sogar als offiziellen Feiertag. Und doch wissen die allerwenigsten – selbst Politikinteressierte – nicht einmal, dass es so etwas wie einen Europatag gibt. 

Selbstverständlich gibt es auch plausible Erklärungen dafür, warum sich das Zelebrieren eines solchen Tages schwierig gestaltet. Zum einen verfügt die EU selbst nicht über die Kompetenzen, den Europatag als gesetzlichen Feiertag einzuführen oder beispielsweise in den Lehrplan an Schulen einzugliedern. Ohne dass die EU-Mitgliedstaaten mitziehen, ist es also fast unmöglich, ein Bewusstsein für eine europäische Kultur zu schaffen. Die EU-Mitgliedstaaten wiederum haben an der Stärkung Europas jedoch häufig nur ein begrenztes Interesse, da eine solche Stärkung oft mit einer Schwächung der Nationalstaaten einhergeht. 

Zum anderen rührt das Problem daher, dass sich die EU bei einer solchen Form der Öffentlichkeitsarbeit schnell mit dem Vorwurf der Propaganda konfrontiert sieht. Sicherlich ist diese Kritik teilweise berechtigt: Für ein einheitliches Europa zu werben ist gewissermaßen tendenziös, denn natürlich muss man auch oppositionelle Kräfte im EU-Parlament berücksichtigen, die nicht notwendigerweise ein Interesse daran haben, die europäische Integration weiter voranzutreiben.

Diffuses Selbstverständnis

Trotzdem kommt bei beiden Erklärungsansätzen natürlich die Frage auf, ob es nicht von einem etwas diffusen Selbstverständnis der EU zeugt, wenn nicht einmal die Gründung der EU offiziell gefeiert werden soll. Die EU-Mitgliedstaaten müssen hinter der EU stehen und auch die EU selbst sollte in der Lage sein, zumindest einmal über ihre Arbeit informieren zu können.

Mit Blick auf den Wunsch, Europa „zum Gefühl zu machen“, ist klar, dass diese Interessenskonflikte überwunden werden müssen. Es ist utopisch anzunehmen, dass ein „Gefühl Europa“ entsteht, wenn nicht einmal so simple Dinge wie der Europatag öffentlich gefeiert und als Bildungsangebot genutzt werden können. 

Die Zelebrierung des Europatages ist natürlich nur ein Aspekt von vielen. Momentan ist die EU fast ausschließlich eine politische und ökonomische Einheit. Um Europa jedoch „fühlbar“ zu machen, muss eine kulturelle Dimension geschaffen werden, die über die politische und wirtschaftliche Komponente hinausgeht. Dafür muss man – beispielsweise durch den Aufbau Europäischer Kulturzentren – Orte schaffen, an denen Europäische Kultur öffentlich diskutiert, definiert und erlebt werden kann.

Europa fühlbar machen

Denn so schön und treffend Bonos Zitat auch ist; solange daraus nicht die Konsequenz gezogen wird, aktiv Möglichkeiten und Orte für die Bevölkerung zu schaffen, die Europa fühlbar machen, wird das Projekt Europa ein nüchterner Wirtschaftsraum bleiben. 

*Theresa Fervers ist Mitgründerin und Direktorin des neuen Europäischen Kulturzentrums Link EUS in New York City. Mehr Informationen finden Sie hier. Siehe auch “Notre Dame und die vernachlässigte Kultur”