Der Tiefpunkt

Der griechische Finanzminister Varoufakis wird wie ein Strafgefangener behandelt – und in Zukunft wird man sich über die Echtheit oder Fälschung eines Stinkefingers streiten: “Günther Jauch” war ein Meilenstein des inszenierten Journalismus.

Von Sebastian Müller

Nach dem gestrigen Abend und dem Polittalk “Günther Jauch” in der ARD, wo der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis vor dem bereits aufgebrachten deutschen Volk Rede und Antwort stehen durfte, bleibt eine Erkenntnis: Der beliebteste Deutsche sollte wieder seine Quizshows machen, beim Journalismus hat er nichts verloren. Doch auch Letzterer verkommt, wie gestern mal wieder gesehen, zum niedersten Infotainment.

Nicht das sich Jauch in seinen Sendungen jemals als Moderator mit kritischen Format erwiesen hätte, seit gestern Abend allerdings ist der Tiefpunkt in der Berichterstattung über den Schuldenstreit mit Griechenland erreicht. Ab sofort wird noch weniger über Inhalte, sondern nur noch über einen vermeintlichen Stinkefinger Yaroufakis gestritten werden. Die Springerpresse läuft bereits auf Hochtouren. Den “Deutschen Michel” zumindest hat sie längst im Sack, und Yaroufakis wohl auch – Hintergründe richten da nur Schaden an.

“Jetzt reicht´s, ihr Griechen!”

Doch um die ging es auch nicht wirklich. Überhaupt glich die Sendung mehr einem Tribunal, denn einer Gesprächsrunde mit dem Finanzminister eines souveränen Landes. Zwei der drei geladenen Gäste, der bayerische CSU-Finanzminister Markus Söder und der Bildkolumnist Ernst Elitz, spielten sich auf wie die Reichsprotektoren eines teilautonomen Griechenlands. Yaroufakis selbst wurde respektlos behandelt (Elitz: “Mir scheint, der Minister habe Weichspüler geschluckt oder Kreide gefressen.”). Allein die Taz-Journalistin Ulrike Herrmann sorgte für Aufklärung und lichte Momente. Der Applaus des Publikums aber galt vor allem den simplen Parolen des Schaumschlägers Söder: “Jeder muss seine Schulden selber zahlen und nicht Deutschland für alle!”. Das zieht und ist für jeden verständlich, der ohnehin nur in Schablonen denkt.

Und so spielten sich die Protagonisten, wenn nicht gerade Herrmann oder Varoufakis sprachen, die Bälle zu. Um eine sachliche Diskussion ging es nie, sonst wäre man auf die von Herrmann angedeutete unrühmliche Rolle, welche die privaten Finanzinstitute in der Geschichte der Finanzkrise spielten und spielen, näher eingegangen. Hören wollte man nur, ob Griechenland seine Schulden zurückzahle, oder nicht. Diesbezüglich muss die Frage gestellt werden, welcher Politiker dem Publikum einen größeren Bären aufbinden wollte: Varoufakis, weil er es musste (“Griechenland wird seine Schulden zurückzahlen”), oder Söder, der die schwäbische Milchmädchenrechnung aufstellt, Griechenland müsse sparen, um seine Schulden zahlen zu können. Einzig Ulrike Herrmann redete auch hier wieder mit Substanz.

Ein Schauprozess

Jauch hingegen inszenierte sich mehr als Richter denn als Moderator. Durch seinen anklagenden Duktus und die zum Teil völlig deplatzierten Fragen erweckte er offenbar gezielt den Eindruck, Varoufakis sei schon seit 2010 in Amt und so für sämtliche Fehler und Unterlassungen der Vorgängerregierung verantwortlich. Die Manipulation gipfelte in dem betreffenden, völlig aus dem Kontext gerissenen Skandalvideo. Eine hypothetische Aussage, die Varoufakis, damals noch nicht Minister, in Bezug auf 2010 machte, wurde von der „Günther Jauch“-Redaktion dergestalt vermittelt, als spreche er schon als amtierender Minister von der Gegenwart.

“My proposal was that Greece should simply announce that it is defaulting — just like Argentina did — , within the Euro, in January 2010, and stick the finger to Germany and say: „Well, you can now solve this problem by yourself.”

Dass Deutschland, insbesondere die CSU, ohnehin die korrupte Vorgängerregierung Samaras weitaus lieber an der Macht sehen würde, ist eigentlich kein Geheimnis. Das brachte der sonst stehts um Ausgleich bemühte Varoufakis dann auch mit der nicht von der Hand zu weisenden Vermutung zum Ausdruck, dass womöglich “die CSU eine Kampagne starte, unsere Regierung zu strangulieren.”

Wer die Geschichte der CDU/CSU im Umgang mit politisch unliebsamen Linksregierungen im Ausland kennt (Bestes Beispiel: Ihre unrühmliche Rolle vor und während des Putsches gegen Salvador Allendes Unidad Popular in Chile), der musste sich ob der vorschnellen Intervention Jauchs schon wundern: “Möglicherweise überschätzen Sie da die Macht der CSU.” Dabei sprach Varoufakis nur von einer Kampagne, und die tritt alleine Söder in jeder Talkshow zu diesem Thema los.

Der Talkmaster selbst stellte gänzlich unhinterfragt die Reformauflagen der Troika, wie die Privatisierung des griechischen Tafelsilbers, als unbedingt zu leistende Reparationsleistung dar. Mit keinem einzigen Halbsatz wurde angeschnitten, um was es hier wirklich geht: Nicht um eine Aufbauhilfe für die griechische Wirtschaft, sondern eine von demokratisch nicht legitimierten Kommissaren der Finanzinstitute überwachte Ausbeutung des Landes und seines öffentlichen Eigentums.

Was bleibt ist eine Sendung, die gezielt Ressentiments verfestigt hat. Varoufakis blieb, so sehr er sich mühte, gegen diese perfide Form der Manipulation keine Chance. Unabhängig ob der Stinkefinger in Zagreb im Mai 2013 nun echt war, oder nicht: Seinen Ruf als Provokateur und Halbstarker wird er nicht mehr los. Seine Visionen zur Lösung der Krise, der Professor Varoufakis, wurde in den Hintergrund gedrängt – und nur das war gewollt.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog “Le Bohémien”, das Original steht hier