Der Terror holt Brüssel ein, Serbien ringt mit Sanktionen – und Ukrainesoli spaltet EU

Die Watchlist EUropa vom 06. Dezember 2022 – Heute mit dem “historischen” Terrorprozess in Brüssel, den ungeklärten Fragen der Ermittler, dem Westbalkan-Gipfel in Albanien – und einem Stresstest für die Solidarität mit der Ukraine.

Mehr als sechs Jahre liegen die Terroranschläge von Brüssel schon zurück. Am 22. März 2016 waren bei Selbstmordattentaten im Flughafen Zaventem und in der Metrostation Maelbeek 32 Menschen getötet und Hunderte teils schwer verletzt worden. Nun hat die juristische Aufarbeitung begonnen – mit einem Mammutprozess, der in die belgische Geschichte eingehen dürfte.

Zehn Angeklagte, 12 Geschworene, mehr als 900 Nebenkläger – allein schon die Zahl der Prozessbeteiligten ist beeindruckend. Auch der Aufwand, der für den „Prozess des Jahrhunderts“ (so die belgische Tageszeitung Le Soir) betrieben wird, ist enorm. Um die Sicherheit zu gewährleisten, wurde eigens ein Saal im ehemaligen Nato-Hauptquartier am Stadtrand von Brüssel hergerichtet.

Die Angeklagten aus dem Milieu des so genannten „Islamischen Staats“ (IS) sollten dort zunächst in separaten Kabinen sitzen, wehrten sich jedoch gegen diese „Käfig-Haltung“. Daraufhin ließ das Gericht unter Leitung von Laurence Massart (57) eine große Glasbox anfertigen, in der mehrere Angeklagte sitzen können. Dadurch hat sich der Prozessauftakt um mehrere Wochen verspätet.

Als es am Montag endlich losging, gab es zunächst neue Probleme: Zwei Geschworene ließen sich wegen Krankheit entschuldigen, ein Angeklagter beschwerte sich über die Konditionen beim Transport in den Gerichtssaal und drohte damit, die Aussage zu verweigern. Statt wie geplant um neun Uhr konnte die Vorsitzende Massart den Prozess erst um kurz vor zehn eröffnen.

500 Seiten Anklage

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Sie fragte die neun Angeklagten nach ihrem Namen, dem Alter, Beruf, Geburts- und Wohnort. Der mutmassliche Haupttäter Salah Abdeslam antwortete: “33 Jahre. Elektromechaniker.” In einer Pause unterhielt er sich lachend mit anderen Angeklagten. Der 33-Jährige war wegen der Anschlagsserie 2015 in Paris bereits in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Nun droht ihm erneut lebenslang – wegen 32-fachem terroristischem Mord, versuchtem terroristischer Mord an 695 Menschen sowie Beteiligung an Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung. So lautet die Anklage in Brüssel.

Die insgesamt 500 Seiten starke Anklageschrift wird allerdings erst am Dienstag verlesen. Die Befragung der Angeklagten soll am 19. Dezember beginnen, insgesamt ist der Prozess auf sechs bis neun Monate angesetzt.

Zwei große Fragen

Zwei zentrale Themen zeichnen sich jetzt schon ab: Warum kam es 2016 überhaupt zu Attentaten in Brüssel – und nicht erneut in Paris, wo die islamistische Terrorserie begonnen hatte?

Und wieso wurden der Flughafen und die Metro angegriffen – und nicht der Amtssitz des belgischen Premiers, der ausgespäht worden war? Waren die Angriffe improvisiert, folgten sie möglicherweise einem „Plan B“ – nachdem der ursprüngliche Plan gescheitert war?

Für diese These spricht einiges. Die Anschläge in Brüssel und in Paris gehen nach Ansicht der Ermittler nämlich auf dieselbe Terrorzelle zurück. Brüssel stand zunächst jedoch nicht im Fokus der Islamisten, von denen viele in der belgischen Hauptstadt aufgewachsen waren.

Die Terroristen schlugen erst zu, nachdem Abdeslam im Brüsseler Stadtteil Molenbeek festgenommen worden war. Die Terrorattacke wäre demnach eine Art Rache gewesen…

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Watchlist

Boykottiert Serbien den Westbalkan-Gipfel? Das Treffen findet am Dienstag erstmals in Albanien statt, Kanzler Scholz reist mit großem (Presse-)Hofstaat an. Thema des Gipfels in der Hauptstadt Tirana soll unter anderem der Umgang mit Russland sein. Serben-Führer Vucic hat jedoch damit gedroht, dem Treffen fernzubleiben. Er will wohl nicht dazu verdonnert werden, die EU-Sanktionen gegen Russland umzusetzen und die Visa-REgeln zu lockern, die immer mehr Flüchtlinge nach EUropa locken…

Was fehlt

Das Ukraine-Dilemma. Laut einer aktuellen Untersuchung sind 40 Prozent der Europäer dafür, die Ukraine zu unterstützen und dafür auch negative Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Fast der gleiche Anteil – 39 Prozent – hingegen findet, dass die Unterstützung wegen der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen besser eingeschränkt werden sollte. “So könnte in den nächsten Monaten ein Stresstest für die Solidarität mit der Ukraine anstehen”, sagte MIDEM-Direktor Professor Hans Vorländer.