Der Stempel der EVP, Berlin auf der Anklagebank – und asoziale EU-Regeln
Die Watchlist EUropa vom 09. April 2024 – Heute mit der Kungelei an der Spitze der EU-Kommission, dem Genozid-Vorwurf gegen Deutschland und einer Warnung vom Gewerkschaftsbund.
In Brüssel hat der Europawahlkampf begonnen – mit einem Paukenschlag. Gleich zwei Personalentscheidungen, die die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) mit Blick auf die Wahl im Juni getroffen hat, sorgen für Streit.
Entscheidung Nummer eins: Ein Parteifreund von der Leyens, der deutsche CDU-Politiker Markus Pieper, wurde zum Beauftragten für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ernannt. Dagegen begehren gleich vier EU-Kommissare auf – eine ungewöhnliche Revolte.
Entscheidung Nummer zwei: Von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert soll für sie den Wahlkampf leiten und dafür in die Parteizentrale der Europäischen Volkspartei EVP wechseln. Das ist nur schwer mit den Neutralitäts-Regeln der EU zu vereinbaren.
Verstoß gegen EU-Regeln?
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Darin heißt es, dass Kommissare, die am Europawahlkampf teilnehmen, „keine personellen oder materiellen Ressourcen der Kommission für Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Wahlkampf in Anspruch nehmen“ dürfen.
Deshalb werde Seibert für die Zeit des Wahlkampfs von seiner Tätigkeit in der EU-Kommission beurlaubt, kündigte Behördensprecher Eric Mamer an. Bis zur Wahl werde er das Kommissionsgebäude nicht mehr betreten, man halte sich strikt an die internen „Guidelines“.
Von außen sieht die Sache allerdings anders aus. Denn Seibert, über dessen Tisch alle wichtigen Dossiers seiner Chefin gehen – vom Green Deal bis zu den Russland-Sanktionen – dürfte sein Wissen und seine Kontakte ja nicht vergessen, wenn er für die EVP arbeitet.
Offensichtliche Kungelei
Zudem will Seibert, der seinen neuen Job als Wahlkampfmanager bereits am Montag aufgenommen hat, gleich nach der Wahl in sein altes Amt zurückkehren. Bereits am 10. Juni will er wieder wie gewohnt in der EU-Kommission die Strippen ziehen.
Die Entscheidung, ob von der Leyen eine zweite Amtszeit erhält, fällt jedoch erst danach – vermutlich beim EU-Gipfel Ende Juni. Die Kommissionschefin kann dann wieder alle Ressourcen ihrer Behörde nutzen – trotz der EU-Regeln.
Die Trennung von Amt und Wahlkampf wird unscharf, der Stempel der EVP (und der tonangebenden CDU) dürfte Spuren hinterlassen. Noch nie war der Zugriff der Christdemokraten und Konservativen auf die EU größer als jetzt, noch nie war die Kungelei so offensichtlich…
Siehe auch “Kungelei, Willkür, Korruption: Neue Vorwürfe gegen von der Leyen”
P.S. Nicht alle Konservativen finden sich mit der EVP-Dominanz ab. Die französischen Republikaner sind schon von VDL abgerückt, die italienischen Rechtsparteien halten sich die Nominierung eines eigenen Spitzenkandidaten offen. Die Umfragen sehen auch nicht gut aus…
News & Updates
- Deutschland auf der Anklagebank. Welch bittere Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Berlin muß sich aufgrund seiner fortgesetzten Waffenlieferungen an Israel wegen mutmaßlicher Beihilfe zum Völkermord in Gaza verantworten. Nicaragua hat Deutschland vor dem höchsten UN-Gericht in Den Haag der Beihilfe zum Völkermord beschuldigt und von Berlin gefordert, die Waffenlieferungen einzustellen. – Mehr im Blog
- Hat Putin in der Slowakei gewonnen? Nein, sagt der russische Politologe Wadim Truchatschow in “Iswestija”. „(Der Wahlsieger) Pellegrini ist ideologisch mit dem Regierungschef [Fico] uneins. So unterstützt er beispielsweise voll und ganz die antirussischen Sanktionen. Zwar bezweifelt er auch die Notwendigkeit unentgeltlicher Militärhilfe für die Ukraine, aber er ist bereit, Waffen zu verkaufen.” – Update im Blog
- Tusk hat in Polen verloren. Bei den Kommunalwahlen in Polen ist es dem neuen Regierungschef Donald Tusk nicht gelungen, die Machtbasis für seine liberalkonservative Bürgerkoalition auszubauen. Die nationalkonservative Oppositionspartei PiS, die von 2015 bis 2023 regierte, wurde nach ersten Prognosen stärkste politische Kraft, meldet dpa. – Offenbar trägt die “pro-europäische Wende” nicht sehr weit…
Das Letzte
Asoziale Schuldenregeln: Die geplanten neuen europäischen Schuldenregeln stehen Investitionen in Bereiche wie Gesundheit, Bildung und Umweltschutz im Weg. Bei Einhaltung der geplanten Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden seien ab 2027 nur noch Dänemark, Schweden und Irland in der Lage, sich die notwendigen Ausgaben zu leisten, heißt es in einer Studie des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB). Auch in Deutschland würden demnach Investitionen stark gehemmt, hieß es. In Belgien werden Schulden und Krankenhäusern unter dem Sparkorsett leiden, berichtet “Le Soir”. Aber davon kriegen die EU-Finanzminister, die regelmäßig in Brüssel tagen, nichts mit…
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Arthur Dent
9. April 2024 @ 11:40
Nur Wahlkampfgetöse oder doch Ämterpatronage von Frau von der Leyen? Es gibt neben Markus Pieper noch zwei Bewerberinnen für das Amt, die (nach übereinstimmenden Medienberichten) fachlich besser abgeschnitten haben sollen. Hat also die Kommissionspräsidentin einem internen Kritiker einen lukrativen Job verschafft, oder ging alles mit rechten Dingen zu? Markus Pieper wurde ja bereits im Januar ernannt, da hat das aber niemanden interessiert, zumindest in Deutschland nicht.
Wenn man Deutschland der Mittäterschaft bezichtigt, müsste dann nicht zuerst gerichtlich die Hauptschuld festgestellt werden? Wird Israel nur von Deutschland unterstützt, oder müssten im Falle einer Verurteilung dann nicht alle Unterstützer auf der Anklagebank Platz nehmen?
KK
9. April 2024 @ 16:51
Nicht zu vergessen, dass die strafrechtlichen Ermittlungen gegen vdL jetzt von der EU-Staatsanwaltschaft übernommen wurden.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=113572
Da stellt sich mir die Frage, ob diese Übernahme darin gründet, dass die Ermittlungen der belgischen StA strafrechtlich relevante Sachverhalte ergeben haben (wie auf den NDS vermutet), und/oder weil so das Verfahren per order von oben leichter eingestellt werden kann…