Eskalation im Stellvertreterkrieg

Die Ukraine gewinnt, Russland verliert: Die Rede von Kremlchef Putin ist in der EU mit einer Mischung aus Hochmut und Schadenfreude aufgenommen worden. Das ist kurzsichtig – und gefährlich.

Die Europäische Union hat die russische Teilmobilmachung scharf kritisiert und mit neuen Sanktionen gedroht. Die Ankündigung von Präsident Wladimir Putin sei “ein weiterer Beweis, dass Putin nicht an Frieden interessiert ist, sondern an einer Eskalation seines Angriffskriegs”, sagte der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. “Das ist auch ein weiteres Zeichen seiner Verzweiflung”, betonte er.

Ähnlich äußerte sich Kanzler Olaf Scholz. “Die jüngsten Entscheidungen der russischen Regierung sind ein Akt der Verzweiflung”, sagt Scholz am Rande der UN-Vollversammlung in New York. “Russland kann diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen.” 

In vielen Kommentaren klingt sogar Schadenfreude und Spott durch. Angesichts der erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive habe Putin eine “Panikattacke” erlitten, titelt die “taz”. “Die russische Kampfkraft schwindet“, behauptet die “FAZ”.

Das mag so sein. Wer frische Truppen mobilisieren und an die Front schicken muß, dem fehlt es offensichtlich an Kampfkraft. Wer mit dem Atomkrieg droht, dem gehen offenbar die Nerven durch. Doch das ist nur eine Seite der häßlichen Medaille.

Die andere ist, dass Putin erstmals von einem Kampf gegen den “kollektiven Westen” und die Nato spricht. Er hat den “ersten Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Nato in Europa” (FOCUS) zumindest verbal angenommen.

Bald wird sich zeigen, wie ernst seine Warnung an den Westen gemeint ist – nämlich dann, wenn sich Russland die besetzten Gebiete einverleibt. Ein Angriff auf Luhansk und Donezk wird dann als Angriff auf die Föderation begriffen.

Das ist völkerrechtswidrig, unverantwortlich und absurd. Doch es reicht nicht, das anzuprangern. Der Westen steht nun vor der brenzligen Frage, ob er die Gegenoffensive weiterführen will – auf die Gefahr hin, in einen Krieg mit Russland einzutreten.

Das Dilemma der Nato

Die Alternative wäre, an der bisherigen Doktrin feszuhalten und einem direkten Konflikt auszuweichen. Dann müßten die USA, die EU und die Nato aber auch die ukrainischen Soldaten zurückhalten, die mit westlichen Waffen kämpfen. Ein Dilemma.

“Wir sind nicht im Krieg mit Russland”, heißt es immer noch in Brüssel. Doch wenn sich Russland im Krieg mit der EU und der Nato wähnt, haben wir eine völlig andere Lage als bisher. Dann könnten wir schnell hineingezogen werden.

Schadenfreude ist daher fehl am Platze. Auch die Fortsetzung der “bewährten” Waffenlieferungen und Sanktionen, wie sie die EU plant, ist keine adäquate Antwort. Gefragt ist jetzt eine Strategie, die einen Flächenbrand verhindert.

Und bitte keine Überheblichkeit. Denn die wird nur zu einer weiteren Eskalation führen…

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Newsletter “Watchlist EUropa”. Mehr Newsletter hier. Siehe auch “Eskalation am Friedenstag”

P.S. Duma-Sprecher Wolodin richtete an die EU eine Warnung: “Und sie müssen endlich begreifen, wenn sie nicht aufhören, Waffen und Söldner an die Ukraine zu liefern, werden sie morgen Probleme haben, die viel ernster erscheinen werden, als die, die sie jetzt haben. Das muss klargestellt werden.”