Der Status quo ist nicht zu halten
Der “Aufbruch für Europa” ist vorerst gescheitert. Dies ist das bittere Fazit unserer Sommerserie. Von Kanzlerin Merkel und ihrer wohl letzten GroKo wird keine Erneuerung der EU mehr ausgehen. Doch das muss kein Drama sein.
Denn so, wie er im Koalitionsvertrag formuliert war, hätte der “Aufbruch” ohnehin nicht viel gebracht. Ein kleiner Investivhaushalt und ein Europäischer Währungsfonds (EWF) von deutschen Gnaden – das hilft der EU nicht weiter.
Auch die Vorschläge von Frankreichs Staatschef Macron, an denen sich die SPD orientiert, sind nicht das Gelbe vom Ei. Ein neues Milliardenbudget und ein Finanzminister bringen nichts, solange unklar ist, welche Ziele damit verfolgt werden.
Geht es um mehr Budgetdisziplin und Kontrolle, wie beim künftigen EWF? Oder um mehr private Investitionen, wie beim bestehenden Juncker-Plan? Brauchen wir nicht vielmehr mehr Flexibilität im Budget und mehr öffentliche Investitionen?
Brauchen wir nicht mehr Demokratie, das heißt mehr politische Entscheidungen über Ausgaben und Investitionen? Kann die Geldpolitik weiter im luftleeren Raum stattfinden, soll das Europaparlament weiter draußen bleiben?
Meine Position ist klar: Wir müssen den Sprung zur politischen Union wagen und das Maastricht-Europa der strikten Regeln und roten Linien hinter uns lassen. Ohne eine politische Union, das wusste schon Kohl, kann der Euro nicht bestehen.
Dass wir eine Politische Union brauchen, zeigt aber auch die Migrationskrise und die Debatte um den Rechtsstaat in Osteuropa. Mit Quoten und Verfahren kriegt man diese Probleme nicht mehr in den Griff.
Es handelt sich um eminent politische Probleme, die nur politisch gelöst werden können. Dabei dürfte sich die Spreu vom Weizen trennen. Bei einer Politischen Union wären sicher nicht mehr 28 bzw. 27 Länder dabei.
Sie käme also einer Neu- bzw. Ausgründung gleich. Macron hat dies verstanden, Merkel offenbar noch nicht. Sie hängt am Status quo, der für Deutschland so vorteilhaft ist, und will am liebsten gar nichts ändern.
Doch auf Dauer ist das “deutsche Europa” nicht mehrheitsfähig, der Status Quo ist schon jetzt nicht mehr zu halten. Großbritannien sagt gerade Bye Bye, Trump setzt Deutschland unter Druck, Italien stellt die deutschen Regeln in Frage.
Der “Aufbruch” ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Die Frage ist nur, ob er noch von der Berliner Elite mitgetragen und vorangetrieben wird – oder von anderen, die Deutschland weniger wohl gesonnen sind.
Statt “Aufbruch” könnte es dann “Aufstand” heißen…
Manfred Waltermannm
10. August 2018 @ 11:00
“Ohne politische Union
kann der EURO nicht bestehen”, wußte nicht erst Kanzler Kohl. Schon die Väter des EU-Gedankens – auch wenn die Union der 6 Gründerstaaten nicht EU hieß – haben Anfang der 50er Jahre “als Vollendung” die gemeinsame Währung für richtig gehalten! – Trotzdem hat man – politisch falsch entschieden – den letzten Schritt vor den vorher notwendigen gemacht!
Und dann wundert man sich, dass man “mit diesem EU-Konstrukt auf die Schnauze” fällt!?
Es gilt auch nicht, “den Sprung zu wagen und das Maastricht-Europa hinter uns zu lassen”. Das Missachten der Maastricht-Verträge war bereits der Anfang vom Ende des an sich lobenswerten Bemühens um die Versöhnung und die Freundschaft der ehemals verfeindeten Nationen. Das Brechen von Vereinbarungen wurde quasi zum Geschäftsmodell dieser EU!
Wenn jetzt Politiker politische Entscheidungen für ein Überleben dieser EU für notwendig halten, dann möchte ich daran erinnern, dass – aus meiner langjährigen aktiven Beobachtung der Politik – bei nicht plausiblen Entscheidungen es immer heißt:”Das haben wir politisch entschieden”! –
Doch letztlich müssen die Bürger “nach Europa mitgenommen werden”, sonst ist das Scheitern vorprogrammiert, wie die bisherige Entwicklung leider zeigt!!
ebo
10. August 2018 @ 11:54
@M. Waltermann – Sie haben Recht, ursprünglich sollte die Währungsunion die “Krönung” der Politischen Union sein. Das hat man dann auf den Kopf gestellt. Doch Kohl und tietmeyer wußten immerhin noch, dass eine Währungsunion ohne politische Einigung und demokratische Kontrolle nicht auf Dauer funktionieren kann. Unter Merkel und Weidmann ist dieses Wissen verloren gegangen. Was den Vertragsbruch betrifft: Auch Deutschland hat den Maastricht-Vertrag gebrochen, sogar früher als Griechenland & Co. – denn er ist schlicht realitätsfremd, genau wie viele andere EU-Regeln. Derzeit verstößt Deutschland gegen die Stabilitätsregeln für den Euro (übermäßige Überschüsse), Schengen sowie weite Teile der Klima- und Umweltgesetzgebung (VW-Dieselgate). Dennoch tut man in Berlin so, als sei alles in bester Ordnung, und man könne den Status Quo wahren – ganz ohne “Aufbruch” oder “Neugründung”…
Manfred Waltermann
10. August 2018 @ 15:28
@ebo
ich hat rwcht. – Ich habe ja nicht behauptet, dass Deutschland Maastricht eingehalten hätte: Frankreich und Deuschland waren gemeinsam die ersten, was offenbar die anderen Staaten zum Anlass genommen haben, Gleiches zu tun.
Deshalb bleibe ich bei meinem Schluß: DIESE EU ist zum Scheitern verurteilt, mögen es die Politiker auch nicht wahrhaben wollen. So sind sie eben nun mal: Unfehlbar und sendungsbewußt!
Kleopatra
10. August 2018 @ 07:27
Bei der Frage, was “wir” “brauchen”, stellt sich einerseits die Frage, wer mit “wir” gemeint ist, und andererseits, was mit “brauchen” gemeint ist. (Spielt es für die Argumentation eigentlich noch eine Rolle, was “wir” “wollen”?)
Die Begeisterung für ein Aufgehen der Nationalstaaten in einem übernationalen Europa scheint mir weitgehend eine spezifisch deutsche Angelegenheit zu sein. In Frankreich etwa ist ja schon der Maastrichter Vertrag beinahe abgelehnt worden, der Verfassungsvertrag mehr als zehn Jahre später ist wirklich durchgefallen. Was übrigens ja auch bedeutet, dass sogar die Währungsunion ohne politische Union (=Maastrichter Vertrag) in Frankeich beinahe hinuntergenehmigt wurde, und eine weitergehende politische Union dort kaum Chancen haben dürfte – und Frankreich ist hier sicher nicht ein anomaler Fall, sondern eher repräsentativ für den Rest der EU-Mitgliedstaaten.
ebo
10. August 2018 @ 10:16
@Kleopatra Frankreich hat den Maastricht-Vertrag beinahe abgelehnt, weil er als zu strikt und “deutsch” empfunden wurde – schließlich schreibt er die Unabhängigkeit er Zentralbank nach dem Vorbild der Bundesbank und die “deutschen” Schuldenregeln fest. Der Verfassungsvertrag scheiterte, weil er Großteil der französischen Linken ihn als neoliberal empfand (zu Recht, wie wir heute wissen). Dass beide Verträge dennoch durchgeboxt und umgesetzt wurden, hat zur Auflösung der proeuropäischen, reformistischen Linken in Frankreich geführt. Paradoxerweise ist es heute der Liberale Macron, der eine Neugründung der EU und ein politisches Europa fordert. Demgegenüber erleben wir in Deutschland eine Abkehr von den “Vereinigten Staaten von Europa” und teilweise auch den Rückfall in den Nationalismus.
Kleopatra
10. August 2018 @ 12:10
M.W. wurden beide Verträge von ähnlichen Wählergruppen und in ähnlichen Regionen abgelehnt, und das spricht für eine konstante soziale Basis in der Wählerschaft, die solchen Projekten skeptisch gegenübersteht. Was die “proeuropäische Linke” betrifft, so wurde der Maastrichter Vertrag ja von dem Sozialisten Mitterand vertreten, zum Verfassungsvertrag hingegen hat sich die Sozailistische Partei faktisch gespalten. Nur: Maastricht wurde von Chirac abgelehnt, von den Sozialisten vertreten; der Verfassungsvertrag wurde von Chriac vertreten, von einem Teil der Sozialisten abgelehnt; aber in beiden Fällen waren es anscheinend ähnliche Gruppen, die dagegen gestimmt haben.
ebo
10. August 2018 @ 12:16
Gut beobachtet. Von Sozialisten und Neogaullisten ist heute aber nichts mehr übrig, Macron ist der letzte Vertreter des alten, deutschlandfreundlichen Mainstreams. Mir scheint, dass die politische Klasse in Deutschland immer noch nicht verstanden hat, was in Frankreich passiert ist – und was passieren wird, wenn auch Macron am “deutschen EUropa” scheitert…
Solveig Weise
13. August 2018 @ 11:51
Ich muss immer wieder schmunzeln wenn ich die naiven und romantischen Schwärmereien deutscher Politiker und Journalisten über die “Vereinigten Staaten von Europa” höre und lese. Wie kleine Kinder im Sandkasten versuchen Sie schöne Skulpturen zu bauen und sind dann ganz entsetzt wenn ihre Kameraden damit nichts anfangen können. Wenn ein französicher Politiker (egal welcher Partei er angehört) von Europa spricht meint er Frankreich. Die Kollegen westlich des Rheins sind da ganz pragmatisch. Vereinigte Staaten von Europa nach französichem Vorbild? Da sind die schnell dabei. Falls das nicht möglich ist dann eben nicht.
Dixie Chique
9. August 2018 @ 13:51
Naja, vor dem totalen Aufstand kommt erstmal das “#Aufstehen”..
dann, als zeitnahe Reaktion, der Aufstand der Seeheimer und der ganz, ganz großen neoliberalen Querfront, gefolgt vom entrüstet anti-anti-semitischen Aufstand der Presse und McMedien, und wenn das immer noch nichts hilft, sicherlich auch noch der eine oder andere meta-tiefstaatlich background-finanzierte Strassenaufstand 😉
Und wenn das alles nicht dazu führt, dass die Aufgestandenen Deutschlands sich vor Angst wieder hinsetzen, dann könnte aus Europa als Union von Menschen tatsächlich nochmal was werden.
Peter Nemschak
9. August 2018 @ 14:02
Meteorologische Hitze ist nicht gleichbedeutend mit revolutionärer Hitze.
Peter Nemschak
9. August 2018 @ 12:27
Wer soll im eigenen politischen Interesse den Aufstand machen, mit welcher Erwartung ? Selbst das derzeit populistische Italien wird sich den Sachzwängen nicht entziehen können. Demokratie ist ein mühsames Geschäft, Demokratie Mal 27 ein noch mühsameres. Die andauernde meteorologische Hitze dürfte Aufstandsphantasien beflügeln. Der nächste Herbst wird mit kühleren Temperaturen den Realitätssinn und bürokratische Kleinarbeit zurück bringen.
ebo
9. August 2018 @ 18:40
Der Aufstand ist doch längst im Gange – der Mainstream denunziert ihn als “Populismus”