Der Notstand kommt, die Genehmigung naht – und wo ist von der Leyen?

Die Watchlist EUropa vom 29. Januar 2021

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Aus Angst vor der britischen Variante des Coronavirus – und wegen mangelnder Versorgung mit Impfstoffen – rückt in vielen EU-Länder der Notstand näher.

Belgien hat bereits am Mittwoch ein Verbot für Auslandsreisen verhängt. Am Donnerstag schloß Portugal die Grenze zu Spanien.  Zudem dürfen portugiesische Staatsbürger für 15 Tage nicht mehr in andere Länder reisen.

In Frankreich denkt man über einen dritten Lockdown nach. Schon jetzt gilt in dem Land eine radikale Ausgangssperre – von 18 Uhr am Abend bis sechs Uhr morgens.

Wegen einer vergleichsweise harmlosen Ausganssperre war es in den Niederlanden drei Tage in Folge zu Krawallen gekommen, nun herrscht dort eine Art Belagerungszustand.

Auch in Deutschland wird über Flugverbote und Einreiseverbote nachgedacht. Auf der schwarzen Liste steht vor allem Großbritannien – wegen der britischen Corona-Mutation.

Allerdings ist deren Gefährlichkeit immer noch nicht erwiesen. Zudem geht das Infektionsgeschehen in Deutschland zurück, die Inzidenz fiel erstmals seit Wochen wieder unter hundert.

Verzweifelte Eurokraten

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Nervosität herrscht auch in Brüssel. Die EU-Kommission will am Freitag ihre umstrittene Exportbremse für Impfstoffe in Kraft setzen – dass man nun zu Protektionismus greift, zeigt, wie verzweifelt die Eurokraten sind.

Auch Ratspräsident Michel, der Vertreter der 27 EU-Staaten, verliert die Contenance. Der Belgier hat Notmaßnahmen ins Gespräch gebracht, um die Corona-Impfungen in Europa zu beschleunigen.

Sollten keine befriedigenden Lösungen mit den Herstellern gefunden werden, “sollten wir alle Optionen prüfen und alle juristischen Mittel und Durchsetzungsmaßnahmen nutzen”, schrieb Michel in einem Brief an mehrere EU-Chefs.

Michel erwägt Notmaßnahmen

Konkret bringt Michel Artikel 122 der EU-Verträge ins Spiel, der Notmaßnahmen bei Versorgungsengpässen ermöglicht. Die EU-Staaten könnten die EU-Kommission beauftragen, gezielte Maßnahmen zur Beschleunigung der Impfkampagne zu ergreifen.

Das wäre auch dringend nötig. Brüssel sollte sich vor allem um mehr Produktionskapazitäten kümmern, etwa durch Freigabe der Patentrechte (siehe unten) und gezielte Förderung von Fabriken.

Es gilt, alle Kräfte zu mobilisieren, statt auf Protektionismus zu setzen – und die Bürger immer mehr zu gängeln…

Siehe auch “Impf-Protektionismus made in EU und “Coronakrise: The politics of Fear”

Watchlist

Gibt die EU endlich grünes Licht für den Corona-Impfstoff von AstraZeneca? Dies wird sich am Freitag zeigen, wenn die Arzneimittelbehörde EMA über die Zulassung entscheidet. Das Vakzin hat den Vorteil, dass es deutlich billiger und leichter zu lagern ist als die anderen Impfstoffe. Allerdings gibt es offenbar nicht genug Daten zur Wirksamkeit bei älteren Menschen. Deshalb soll es bei einer Zulassung in Deutschland nur an Menschen unter 65 Jahren verabreicht werden. Auch die EMA könnte die Zulassung beschränken.

Hotlist

  • SPD-Generalsekretär Klingbeil attackiert EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. “Für die EU gilt das Gleiche wie für Deutschland”, sagte Klingbeil dem “Spiegel”. “Das Impfen ist unser Ausweg aus der Krise, das muss Chefinnensache sein. Ich bin wirklich fassungslos darüber, wie nachlässig Ursula von der Leyen den Impfstart in den letzten Monaten betreut hat.” – Ähnlich sehen das viele EU-Korrespondenten in Brüssel. Sie fordern, dass vdL sich endlich den Fragen der Presse stellt. Sie gibt Interviews in den deutschen Medien und dreht PR-Videos – doch der Welle der Kritik aus vielen EU-Ländern stellt sie sich nicht!
  • Europa darf die Produktion der Impfstoffe nicht länger den Entwicklern überlassen. Es ist höchste Zeit, dass die Lizenzen zum Gemeingut werden. Dies fordert der grüne Europaabgeordete S. Giegold in einem Gastbeitrag für die “Zeit”. Ähnliche Forderungen erheben die Linken und die Sozialdemokraten. Allerdings hat die EU rechtlich (noch) keinen Hebel, die Patente freizugeben – bisher hat sich Brüssel immer hinter die Rechte-Inhaber gestellt…
  • From hospitals to care homes, the outsourcing and privatisation of healthcare – in combination with various austerity policies promoted by the European Commission during the past decade – have significantly degraded EU member states’ capacity to deal effectively with COVID-19 – needlessly costing extra lives. Dies belegen die Lobbywatcher von CEO in einem Gastbeitrag für den EU Observer. Die dazu passende Studie steht hier. Titel: “When the market becomes deadly””