Der große Schwindel – Serie zur Europawahl (1/9)

Die Europawahl sollte einen großen Sprung nach vorn für die Demokratie bringen – und entpuppte sich als großer Schwindel. Wie konnte es dazu kommen? – Teil 1 der Sommer-Serie: Wie alles anfing.

Wie konnte es zu diesem Debakel kommen? Warum haben sich Manfred Weber (CSU) und die anderen Spitzenkandidaten nicht durchgesetzt? Und das trotz der guten Vorbereitung – mit einer internen Vorwahl bei der EVP und einem Krönungs-Parteitag in Helsinki, an dem auch Kanzlerin Angela Merkel teilnahm?

Um das zu erklären, müssen wir ein wenig “zurückspulen”. Und zwar auf den Februar 2017:

Fast zur selben Stunde, in der die neue GroKo (in Berlin) besiegelt wurde, stimmten CDU und CSU im Europaparlament in Straßburg gegen die Einführung europäischer Wahllisten – und damit gegen SPD und Grüne. Der fortschrittliche, föderalistische Flügel im Europaparlament wollte erreichen, dass wenigstens ein kleiner Teil der EU-Abgeordneten künftig auf EU-weiten Listen gewählt wird. (…) Doch das passt wohl nicht in das konservative Weltbild von CDU/CSU. Statt ein bißchen mehr Demokratie zu wagen, haben selbst „überzeugte Europäer“ wie E. Brok eine Kampagne gegen europaweite Listen geführt.

Quelle: Eine Niederlage für Macron (und die Demokratie) – Lost in EUrope

Genau jene Parteienfamilie, die sich bei der Europawahl 2019 die “Demokratisierung” auf die Fahnen geschrieben hat – die CDU/CSU/EVP – hat die Grundlage für mehr Demokratie in der EU verhindert.

So weit, so bekannt. Heute – da es zu spät ist – sprechen sich sogar Weber (CSU) und Ursula von der Leyen (CDU) für paneuropäische Listen aus. Vielleicht kommen sie ja doch noch – für die nächste Wahl 2024?

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Weniger bekannt ist der innenpolitische Hintergrund der Wahlpleite 2019. Auch dazu müssen wir zurückblenden – auf den Sommer 2018. Damals tobte ein Machtkampf zwischen Merkel und Innenminister Horst Seehofer.

Er konnte nur mit Mühen und vielen Verrenkungen beigelegt werden. Doch genau in dem Moment, da sich die Wogen einigermaßen geglättet hatten, klopfte Weber im Kanzleramt an – mit einer großen Bitte.

Der CSU-Politiker wollte wissen, ob Merkel seine Kandidatur für die Europawahl mittragen würde – und wenn ja, zu welchen Bedingungen. Zuvor hatte schon EVP-Chef Joseph Daul bei der Kanzlerin antichambriert.

Merkel wollte den Burgfrieden mit der CSU sichern

Merkel war nicht begeistert, sagte aber auch nicht Nein. Denn das hätte eine neue Krise mit der CSU ausgelöst. Also teilte sie Weber ihre Vorbehalte gegenüber dem “System” der Spitzenkandidaten mit – und ließ ihn gewähren.

Allerdings stellte sie auch klar, dass Weber allein kämpfen müsse, auf ihre Hilfe könne er nicht setzen. Es war ein fauler Kompromiss, wie wir heute wissen. Denn ohne Merkel konnte Weber nicht siegen.

Doch die Kanzlerin konnte ein halbes Jahr vor der Europawahl den Burgfrieden mit der CSU sichern. Zugleich hielt sie sich alle Optionen für die Europawahl offen – ohne sich selbst engagieren zu müssen…

FAZIT: Am Anfang des Wahl-Debakel standen taktische Spielchen von CDU und CSU. Dass CSU-Mann Weber als Spitzenkandidat antrat – und kein Besserer gesucht wurde -, hat wenig mit EUropa zu tun und ganz viel mit deutscher Innenpolitik.

Siehe auch “Die Zerstörung der Spitzenkandidaten” und “Wie man die Europawahl richtig bewertet”

Teil 2 der Serie steht hier