Der gescheiterte Coup – Die geklitterte Geschichte

Er wollte das britische Parlament entmachten und den “No Deal” erzwingen. Doch der Coup von Premier Johnson ist gescheitert. Wird nun aus dem Brexit-Debakel eine Staatskrise?

Diese Frage stellt sich, nachdem das Oberste Gericht in London am Dienstag die vom Regierungschef verfügte Zwangspause des Parlaments als “illegal” und “unwirksam” verworfen hat.

Johnson erkannte das Urteil zähneknirschend an; einen offenen Machtkampf mit der Justiz will er denn doch nicht wagen. Doch er will nicht zurücktreten, sondern Neuwahlen ausrufen.

Dafür braucht er jedoch die Opposition im Unterhaus – und die weigert sich. Labour-Chef Corbyn will erst sicherstellen, dass es keinen ungeordneten Brexit gibt – und danach einen neuen Premier wählen lassen, möglichst sich selbst.

Damit ist das Chaos perfekt. Kein Rücktritt, keine Wahlen, kein “No Deal”, aber auch (noch) kein Antrag auf eine Verlängerung der Deadline beim Brexit. Ohne Antrag gibt es aber auch keinen Aufschub.

Immerhin: Das britische Parlament tagt wieder, schon am Mittwoch sollen die Sitzungen weitergehen. Doch das Unterhaus löst kein Problem, im Gegenteil.

Die britischen Abgeordneten sind – genau wie Johnson – gegen den Backstop, den die EU dem Land verordnet hat. Eine Alternative ist nicht in Sicht, Brüssel sagt zu allen Ideen als London Nein.

Wenn das so weiter geht, könnte Großbritannien nach der Demokratie- in eine Staatskrise schlittern – gefangen in einer Endlosschleife, aus der es keinen (Br)Exit zu geben scheint.

Der EU kann das nicht gefallen. Egal – erst einmal wurde in Brüssel die Niederlage Johnsons gefeiert. Das Europaparlament freute sich auch über einen Sieg der parlamentarischen Demokratie.

Schade nur, dass die Europaabgeordneten ihren britischen Kollegen nicht zu Hilfe gekommen sind. Auch die EU-Kommission war seltsam still, als Johnson seinen Coup startete…

Siehe auch “Johnsons Coup” und “So enden Demokratien – nicht nur in Großbritannien”

Watchlist

  • Wie geht es weiter in der Iran-Krise? Das dürfte sich bei der Uno-Vollversammlung in New York zeigen. Am zweiten Tag der Debatte wird unter anderem eine Rede des iranischen Präsidenten Hassan Ruhani erwartet, der einen Friedensplan vorlegen will. Frankreich und Deutschland hoffen immer noch, dass Ruhani mit US-Präsident Trump zusammentreffen könnte. Allerdings machen auch sie nun Front gegen Iran. Mehr dazu hier
  • Wer darf zu den Anhörungen im Europaparlament? Darüber berät am Mittwoch der Rechtsausschuss. Die Abgeordneten haben mögliche Interessenskonflikte bei neun von insgesamt 26 designierten EU-Kommissaren ausgemacht. Sie könnten einzelne Kandidaten von den Hearings ausschließen – und so den Zeitplan für von der Leyen und ihr Team durcheinander wirbeln. Mehr dazu hier

Was fehlt

  • Der Streit um den Totalitarismus und eine mögliche Geschichtsklitterung im Europaparlament. Die Abgeordneten hatten vor einer Woche mit großer Mehrheit eine Entschließung unter dem Titel “The importance of European remembrance for the future of Europe” beschlossen.
  • Darin hätten sie die Nazi-Verbrechen unzulässigerweise mit dem Kommunismus gleichgesetzt, klagt die “Internationale Föderation der Widerstandskämpfer”. Die Antifaschisten fühlen sich an die übelsten Zeiten des Kalten Krieges erinnert und sprechen von einer “schlimmen Botschaft” des Parlaments.
  • Siehe auch “Europaparlament schwenkt auf Anti-Russland-Kurs”
  • Die Klatsche für Vestager. Die prominente Wettbewerbskommissarin hatte eine Steuernachzahlung von Starbucks in den Niederlanden angeordnet – doch das EU-Gericht kippte die Entscheidung. Bei einem ähnlichen Fall von Fiat in Luxemburg bestätigten die Richter dagegen den Beschluss der EU-Wettbewerbshüter.